[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.unsere Zustände bis jetzt noch immer nicht das Werk unserer eigenen Entwickelung? weil unsere Wortführer früher nichts Edleres, Höheres empfanden, und als ihre Meinung auszusprechen wagten, als was unter der Menge der Geringsten Einer nur denken und fühlen mochte. Wenn ein Roß den Sieg in der Rennbahn davongetragen hat, wie kann es auch dann gekränzt werden, wenn es sich auf die Hinterfüße stellt! Manche haben sich zwar als Verächter ihrer Zeitgenossen angestellt; ist es aber nicht die Weise der Cokette und Buhlerin durch scheinbare Ungunst den begünstigten Liebhaber nur noch mehr an sich zu fesseln? Wo ist die Macht -- vergiß nicht, Du Gute, ich meine nicht den blinden Wahn irgend einer schwachen Leidenschaft, eines in sich schon erstorbenen Irrthums, -- wo ist die sanctionirte Macht, die zu ihren Füßen je einen Fehdehandschuh gefunden, von jenen ihr hingeworfen? So sind z. B. die geheimsten, innersten Schwächen unseres kirchlichen Zustandes von Tausenden, die sich zum heiligen Schlüsselamt der Feder berufen dachten, erkannt worden. Die Einen ließen einmal zwei Worte davon fallen, und beim dritten gingen ihnen schon vor Thränen die Augen über. Die Andern wußten es noch viel besser, sie hüteten sich aber wohl, es auch nur bis zum ersten Worte kommen zu unsere Zustände bis jetzt noch immer nicht das Werk unserer eigenen Entwickelung? weil unsere Wortführer früher nichts Edleres, Höheres empfanden, und als ihre Meinung auszusprechen wagten, als was unter der Menge der Geringsten Einer nur denken und fühlen mochte. Wenn ein Roß den Sieg in der Rennbahn davongetragen hat, wie kann es auch dann gekränzt werden, wenn es sich auf die Hinterfüße stellt! Manche haben sich zwar als Verächter ihrer Zeitgenossen angestellt; ist es aber nicht die Weise der Cokette und Buhlerin durch scheinbare Ungunst den begünstigten Liebhaber nur noch mehr an sich zu fesseln? Wo ist die Macht — vergiß nicht, Du Gute, ich meine nicht den blinden Wahn irgend einer schwachen Leidenschaft, eines in sich schon erstorbenen Irrthums, — wo ist die sanctionirte Macht, die zu ihren Füßen je einen Fehdehandschuh gefunden, von jenen ihr hingeworfen? So sind z. B. die geheimsten, innersten Schwächen unseres kirchlichen Zustandes von Tausenden, die sich zum heiligen Schlüsselamt der Feder berufen dachten, erkannt worden. Die Einen ließen einmal zwei Worte davon fallen, und beim dritten gingen ihnen schon vor Thränen die Augen über. Die Andern wußten es noch viel besser, sie hüteten sich aber wohl, es auch nur bis zum ersten Worte kommen zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0141" n="128"/> unsere Zustände bis jetzt noch immer nicht das Werk unserer eigenen Entwickelung? weil unsere Wortführer früher nichts Edleres, Höheres empfanden, und als ihre Meinung auszusprechen wagten, als was unter der Menge der Geringsten Einer nur denken und fühlen mochte. Wenn ein Roß den Sieg in der Rennbahn davongetragen hat, wie kann es auch dann gekränzt werden, wenn es sich auf die Hinterfüße stellt! Manche haben sich zwar als Verächter ihrer Zeitgenossen angestellt; ist es aber nicht die Weise der Cokette und Buhlerin durch scheinbare Ungunst den begünstigten Liebhaber nur noch mehr an sich zu fesseln? Wo ist die Macht — vergiß nicht, Du Gute, ich meine nicht den blinden Wahn irgend einer schwachen Leidenschaft, eines in sich schon erstorbenen Irrthums, — wo ist die sanctionirte Macht, die zu ihren Füßen je einen Fehdehandschuh gefunden, von jenen ihr hingeworfen? So sind z. B. die geheimsten, innersten Schwächen unseres kirchlichen Zustandes von Tausenden, die sich zum heiligen Schlüsselamt der Feder berufen dachten, erkannt worden. Die Einen ließen einmal zwei Worte davon fallen, und beim dritten gingen ihnen schon vor Thränen die Augen über. Die Andern wußten es noch viel besser, sie hüteten sich aber wohl, es auch nur bis zum ersten Worte kommen zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0141]
unsere Zustände bis jetzt noch immer nicht das Werk unserer eigenen Entwickelung? weil unsere Wortführer früher nichts Edleres, Höheres empfanden, und als ihre Meinung auszusprechen wagten, als was unter der Menge der Geringsten Einer nur denken und fühlen mochte. Wenn ein Roß den Sieg in der Rennbahn davongetragen hat, wie kann es auch dann gekränzt werden, wenn es sich auf die Hinterfüße stellt! Manche haben sich zwar als Verächter ihrer Zeitgenossen angestellt; ist es aber nicht die Weise der Cokette und Buhlerin durch scheinbare Ungunst den begünstigten Liebhaber nur noch mehr an sich zu fesseln? Wo ist die Macht — vergiß nicht, Du Gute, ich meine nicht den blinden Wahn irgend einer schwachen Leidenschaft, eines in sich schon erstorbenen Irrthums, — wo ist die sanctionirte Macht, die zu ihren Füßen je einen Fehdehandschuh gefunden, von jenen ihr hingeworfen? So sind z. B. die geheimsten, innersten Schwächen unseres kirchlichen Zustandes von Tausenden, die sich zum heiligen Schlüsselamt der Feder berufen dachten, erkannt worden. Die Einen ließen einmal zwei Worte davon fallen, und beim dritten gingen ihnen schon vor Thränen die Augen über. Die Andern wußten es noch viel besser, sie hüteten sich aber wohl, es auch nur bis zum ersten Worte kommen zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/141 |
Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/141>, abgerufen am 16.02.2025. |