der alles Vorangegangene, die alten Schwüre und Betheuerungen widerrief, hatte ihn sein Henker schon an der zugänglichsten Stelle gefaßt und erdrosselt. Das ist türkische Sentimentalität.
Erst da, als Griechenland seine Kreuzesfahne er¬ hob und die Brander verderbenschwanger auf den Ge¬ wässern kreuzten, als von den Inseln das vergossene Christenblut herabtröpfelte in das Meer: da haben die Europäer angefangen, Mahmud für einen riesigen Cha¬ rakter auszugeben, gleichsam als wenn das Aushalten¬ können in jeder Lage Größe verriethe. Nein, klein war jener ohnmächtige Zorn, der auf dem höchsten Minaret eines Pavillons am Marmormeere in die Ferne des seit uralten Zeiten trauerumflorten ägäischen Meeres blickte und nichts als schwarze Segel heimkeh¬ ren sah. Dann zu wüthen wie ein angeschossenes Thier, und Mord und Tod über die ganze Welt aus¬ zuheulen, und aus Verzweiflung sich zuletzt dem Trunke zu ergeben: das ist türkisch groß, aber sehr klein für die wahrhafte Charaktergröße, welche über dem Nationalen steht und mäßig im Zorn, kraftvoll und voraussichtig in ihren Entschlüssen ist.
Durch Mehemed Ali besiegte Mahmud die Grie¬
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Der Sultan.
der alles Vorangegangene, die alten Schwuͤre und Betheuerungen widerrief, hatte ihn ſein Henker ſchon an der zugaͤnglichſten Stelle gefaßt und erdroſſelt. Das iſt tuͤrkiſche Sentimentalitaͤt.
Erſt da, als Griechenland ſeine Kreuzesfahne er¬ hob und die Brander verderbenſchwanger auf den Ge¬ waͤſſern kreuzten, als von den Inſeln das vergoſſene Chriſtenblut herabtroͤpfelte in das Meer: da haben die Europaͤer angefangen, Mahmud fuͤr einen rieſigen Cha¬ rakter auszugeben, gleichſam als wenn das Aushalten¬ koͤnnen in jeder Lage Groͤße verriethe. Nein, klein war jener ohnmaͤchtige Zorn, der auf dem hoͤchſten Minaret eines Pavillons am Marmormeere in die Ferne des ſeit uralten Zeiten trauerumflorten aͤgaͤiſchen Meeres blickte und nichts als ſchwarze Segel heimkeh¬ ren ſah. Dann zu wuͤthen wie ein angeſchoſſenes Thier, und Mord und Tod uͤber die ganze Welt aus¬ zuheulen, und aus Verzweiflung ſich zuletzt dem Trunke zu ergeben: das iſt tuͤrkiſch groß, aber ſehr klein fuͤr die wahrhafte Charaktergroͤße, welche uͤber dem Nationalen ſteht und maͤßig im Zorn, kraftvoll und vorausſichtig in ihren Entſchluͤſſen iſt.
Durch Mehemed Ali beſiegte Mahmud die Grie¬
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Der Sultan.
der alles Vorangegangene, die alten Schwuͤre und
Betheuerungen widerrief, hatte ihn ſein Henker ſchon
an der zugaͤnglichſten Stelle gefaßt und erdroſſelt.
Das iſt tuͤrkiſche Sentimentalitaͤt.
Erſt da, als Griechenland ſeine Kreuzesfahne er¬
hob und die Brander verderbenſchwanger auf den Ge¬
waͤſſern kreuzten, als von den Inſeln das vergoſſene
Chriſtenblut herabtroͤpfelte in das Meer: da haben die
Europaͤer angefangen, Mahmud fuͤr einen rieſigen Cha¬
rakter auszugeben, gleichſam als wenn das Aushalten¬
koͤnnen in jeder Lage Groͤße verriethe. Nein, klein
war jener ohnmaͤchtige Zorn, der auf dem hoͤchſten
Minaret eines Pavillons am Marmormeere in die
Ferne des ſeit uralten Zeiten trauerumflorten aͤgaͤiſchen
Meeres blickte und nichts als ſchwarze Segel heimkeh¬
ren ſah. Dann zu wuͤthen wie ein angeſchoſſenes
Thier, und Mord und Tod uͤber die ganze Welt aus¬
zuheulen, und aus Verzweiflung ſich zuletzt dem
Trunke zu ergeben: das iſt tuͤrkiſch groß, aber ſehr
klein fuͤr die wahrhafte Charaktergroͤße, welche uͤber dem
Nationalen ſteht und maͤßig im Zorn, kraftvoll und
vorausſichtig in ihren Entſchluͤſſen iſt.
Durch Mehemed Ali beſiegte Mahmud die Grie¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/341>, abgerufen am 29.07.2024.
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