Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Sultan.
welche es tragen; es sind nur die Köpfe der Verbre¬
cher, welche der Sultan hinrichten ließ, und die noch
ganz frisch von Blut träufeln! Tretet in den ersten
Hof, laßt die Kirche der heiligen Irene liegen, schau¬
dert nicht vor dem Mörser, in welchem die wider¬
spenstigen Häupter der Ulemas zerstampft werden, weil
den Mufti keines Menschen Hand berühren darf; las¬
set den ach, so leeren Schatz, den Marstall, den
Betsaal! Jetzt tretet leiser. Wir sind in der Nähe
des Harems. Lauschet nicht, was die cirkassische
Odaliske von ihrer Heimath singt, -- das Oberhaupt
der schwarzen Verschnittenen dort am Fenster setzt eine
grüne Brille auf, um eure Miene zu prüfen! Stumme
verfolgen euch und Zwerge; ein fürchterliches Schweigen
liegt auf den großen Höfen, deren Mittelpunkt ihr er¬
reicht habt; dort hinter jenen Vorhängen wohnt der
Sultan -- ein verstohlener Blick -- dort ruht er, er
trinkt Wein, er lacht, er lallt, er ist betrunken!

Keine Pedanterei! Nur aus Verzweiflung, wie
man zu sagen pflegt, übertritt er das Gesetz des Pro¬
pheten: sehen wir, wie er es früher befolgt hat!

Mahmud II. der jetzt funfzig Jahre zählt, kam
in Folge einer Revolution auf den Thron. Der ein¬
zige philanthropische Reformator, der der Pforte zuge¬

Der Sultan.
welche es tragen; es ſind nur die Koͤpfe der Verbre¬
cher, welche der Sultan hinrichten ließ, und die noch
ganz friſch von Blut traͤufeln! Tretet in den erſten
Hof, laßt die Kirche der heiligen Irene liegen, ſchau¬
dert nicht vor dem Moͤrſer, in welchem die wider¬
ſpenſtigen Haͤupter der Ulemas zerſtampft werden, weil
den Mufti keines Menſchen Hand beruͤhren darf; laſ¬
ſet den ach, ſo leeren Schatz, den Marſtall, den
Betſaal! Jetzt tretet leiſer. Wir ſind in der Naͤhe
des Harems. Lauſchet nicht, was die cirkaſſiſche
Odaliske von ihrer Heimath ſingt, — das Oberhaupt
der ſchwarzen Verſchnittenen dort am Fenſter ſetzt eine
gruͤne Brille auf, um eure Miene zu pruͤfen! Stumme
verfolgen euch und Zwerge; ein fuͤrchterliches Schweigen
liegt auf den großen Hoͤfen, deren Mittelpunkt ihr er¬
reicht habt; dort hinter jenen Vorhaͤngen wohnt der
Sultan — ein verſtohlener Blick — dort ruht er, er
trinkt Wein, er lacht, er lallt, er iſt betrunken!

Keine Pedanterei! Nur aus Verzweiflung, wie
man zu ſagen pflegt, uͤbertritt er das Geſetz des Pro¬
pheten: ſehen wir, wie er es fruͤher befolgt hat!

Mahmud II. der jetzt funfzig Jahre zaͤhlt, kam
in Folge einer Revolution auf den Thron. Der ein¬
zige philanthropiſche Reformator, der der Pforte zuge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0334" n="316"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der Sultan</hi>.<lb/></fw>welche es tragen; es &#x017F;ind nur die Ko&#x0364;pfe der Verbre¬<lb/>
cher, welche der Sultan hinrichten ließ, und die noch<lb/>
ganz fri&#x017F;ch von Blut tra&#x0364;ufeln! Tretet in den er&#x017F;ten<lb/>
Hof, laßt die Kirche der heiligen Irene liegen, &#x017F;chau¬<lb/>
dert nicht vor dem Mo&#x0364;r&#x017F;er, in welchem die wider¬<lb/>
&#x017F;pen&#x017F;tigen Ha&#x0364;upter der Ulemas zer&#x017F;tampft werden, weil<lb/>
den Mufti keines Men&#x017F;chen Hand beru&#x0364;hren darf; la&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;et den ach, &#x017F;o leeren Schatz, den Mar&#x017F;tall, den<lb/>
Bet&#x017F;aal! Jetzt tretet lei&#x017F;er. Wir &#x017F;ind in der Na&#x0364;he<lb/>
des Harems. Lau&#x017F;chet nicht, was die cirka&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Odaliske von ihrer Heimath &#x017F;ingt, &#x2014; das Oberhaupt<lb/>
der &#x017F;chwarzen Ver&#x017F;chnittenen dort am Fen&#x017F;ter &#x017F;etzt eine<lb/>
gru&#x0364;ne Brille auf, um eure Miene zu pru&#x0364;fen! Stumme<lb/>
verfolgen euch und Zwerge; ein fu&#x0364;rchterliches Schweigen<lb/>
liegt auf den großen Ho&#x0364;fen, deren Mittelpunkt ihr er¬<lb/>
reicht habt; dort hinter jenen Vorha&#x0364;ngen wohnt der<lb/>
Sultan &#x2014; ein ver&#x017F;tohlener Blick &#x2014; dort ruht er, er<lb/>
trinkt Wein, er lacht, er lallt, er i&#x017F;t betrunken!</p><lb/>
        <p>Keine Pedanterei! Nur aus Verzweiflung, wie<lb/>
man zu &#x017F;agen pflegt, u&#x0364;bertritt er das Ge&#x017F;etz des Pro¬<lb/>
pheten: &#x017F;ehen wir, wie er es fru&#x0364;her befolgt hat!</p><lb/>
        <p>Mahmud <hi rendition="#aq">II</hi>. der jetzt funfzig Jahre za&#x0364;hlt, kam<lb/>
in Folge einer Revolution auf den Thron. Der ein¬<lb/>
zige philanthropi&#x017F;che Reformator, der der Pforte zuge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0334] Der Sultan. welche es tragen; es ſind nur die Koͤpfe der Verbre¬ cher, welche der Sultan hinrichten ließ, und die noch ganz friſch von Blut traͤufeln! Tretet in den erſten Hof, laßt die Kirche der heiligen Irene liegen, ſchau¬ dert nicht vor dem Moͤrſer, in welchem die wider¬ ſpenſtigen Haͤupter der Ulemas zerſtampft werden, weil den Mufti keines Menſchen Hand beruͤhren darf; laſ¬ ſet den ach, ſo leeren Schatz, den Marſtall, den Betſaal! Jetzt tretet leiſer. Wir ſind in der Naͤhe des Harems. Lauſchet nicht, was die cirkaſſiſche Odaliske von ihrer Heimath ſingt, — das Oberhaupt der ſchwarzen Verſchnittenen dort am Fenſter ſetzt eine gruͤne Brille auf, um eure Miene zu pruͤfen! Stumme verfolgen euch und Zwerge; ein fuͤrchterliches Schweigen liegt auf den großen Hoͤfen, deren Mittelpunkt ihr er¬ reicht habt; dort hinter jenen Vorhaͤngen wohnt der Sultan — ein verſtohlener Blick — dort ruht er, er trinkt Wein, er lacht, er lallt, er iſt betrunken! Keine Pedanterei! Nur aus Verzweiflung, wie man zu ſagen pflegt, uͤbertritt er das Geſetz des Pro¬ pheten: ſehen wir, wie er es fruͤher befolgt hat! Mahmud II. der jetzt funfzig Jahre zaͤhlt, kam in Folge einer Revolution auf den Thron. Der ein¬ zige philanthropiſche Reformator, der der Pforte zuge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/334
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/334>, abgerufen am 22.11.2024.