Montaigne hätte sprechen und sie vorziehen wollen zu¬ erst dem Koran, dann den Dschihan-Ruma oder dem Belvedere der Welt, dem Ussulül-Hikem oder den philosophischen Grundsätzen und zuletzt den "ausgewähl¬ ten und wohlangereihten Perlen," welche Werke alle früher oder später in Konstantinopel gedruckt wor¬ den sind.
Der einzige Selim III. scheint nicht freigeblieben zu sein von den Aufklärungsideen, welche das Zeital¬ ter Gustavs von Schweden und Josephs von Oest¬ reich charakterisirten.
Alles Andere aber, was vor und nach ihm war, reformirte in unmittelbarer Beziehung auf die Janit¬ scharen. Ihr Untergang war nicht die Losung der Civilisation, sondern der Autokratie des Sultans. Die Sultane wollten weiter herrschen, als innerhalb der engen Mauern ihres Serails.
Erst im gegenwärtigen Augenblicke, wo die gefahr¬ volle Stütze der türkischen Alleinherrschaft vernichtet ist, sollte sich die Rolle entwickeln können, welche der Orient dem Occident gegenüber zu spielen gedenkt. Wir sehen das stolze Vermächtniß der Khalifen, eine Herrschaft, welche die schönsten Striche der Erde um¬ faßt, einen Staat, dessen Wächter der europäische
Der Sultan.
Montaigne haͤtte ſprechen und ſie vorziehen wollen zu¬ erſt dem Koran, dann den Dſchihan-Ruma oder dem Belvedere der Welt, dem Uſſuluͤl-Hikem oder den philoſophiſchen Grundſaͤtzen und zuletzt den „ausgewaͤhl¬ ten und wohlangereihten Perlen,“ welche Werke alle fruͤher oder ſpaͤter in Konſtantinopel gedruckt wor¬ den ſind.
Der einzige Selim III. ſcheint nicht freigeblieben zu ſein von den Aufklaͤrungsideen, welche das Zeital¬ ter Guſtavs von Schweden und Joſephs von Oeſt¬ reich charakteriſirten.
Alles Andere aber, was vor und nach ihm war, reformirte in unmittelbarer Beziehung auf die Janit¬ ſcharen. Ihr Untergang war nicht die Loſung der Civiliſation, ſondern der Autokratie des Sultans. Die Sultane wollten weiter herrſchen, als innerhalb der engen Mauern ihres Serails.
Erſt im gegenwaͤrtigen Augenblicke, wo die gefahr¬ volle Stuͤtze der tuͤrkiſchen Alleinherrſchaft vernichtet iſt, ſollte ſich die Rolle entwickeln koͤnnen, welche der Orient dem Occident gegenuͤber zu ſpielen gedenkt. Wir ſehen das ſtolze Vermaͤchtniß der Khalifen, eine Herrſchaft, welche die ſchoͤnſten Striche der Erde um¬ faßt, einen Staat, deſſen Waͤchter der europaͤiſche
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Der Sultan.
Montaigne haͤtte ſprechen und ſie vorziehen wollen zu¬
erſt dem Koran, dann den Dſchihan-Ruma oder dem
Belvedere der Welt, dem Uſſuluͤl-Hikem oder den
philoſophiſchen Grundſaͤtzen und zuletzt den „ausgewaͤhl¬
ten und wohlangereihten Perlen,“ welche Werke alle
fruͤher oder ſpaͤter in Konſtantinopel gedruckt wor¬
den ſind.
Der einzige Selim III. ſcheint nicht freigeblieben
zu ſein von den Aufklaͤrungsideen, welche das Zeital¬
ter Guſtavs von Schweden und Joſephs von Oeſt¬
reich charakteriſirten.
Alles Andere aber, was vor und nach ihm war,
reformirte in unmittelbarer Beziehung auf die Janit¬
ſcharen. Ihr Untergang war nicht die Loſung der
Civiliſation, ſondern der Autokratie des Sultans. Die
Sultane wollten weiter herrſchen, als innerhalb der
engen Mauern ihres Serails.
Erſt im gegenwaͤrtigen Augenblicke, wo die gefahr¬
volle Stuͤtze der tuͤrkiſchen Alleinherrſchaft vernichtet iſt,
ſollte ſich die Rolle entwickeln koͤnnen, welche der
Orient dem Occident gegenuͤber zu ſpielen gedenkt.
Wir ſehen das ſtolze Vermaͤchtniß der Khalifen, eine
Herrſchaft, welche die ſchoͤnſten Striche der Erde um¬
faßt, einen Staat, deſſen Waͤchter der europaͤiſche
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/332>, abgerufen am 16.02.2025.
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