nuchen zuwarfen. Wie mancher türkische Herrscher siechte von der Wiege her an heimlicher Vergiftung, und mußte doch noch früher, als die gütige und nach¬ giebige Natur es gewollt hatte, an einer seidenen Schnur sterben, welche ihm sein eigener Sohn schickte!
Das ganze Ansehen, welches die Pforte Europa und ihren eigenen Satrapen gegenüber noch behaup¬ ten konnte, entwickelte sich aus zwei Ursachen, aus dem Zufalle und einer Kaste: aus dem Zufalle, wel¬ cher zuweilen kräftige und weise Veziere an die Spitze des Reiches stellte, und aus einer Kaste, welche das Privilegium des Krieges an sich gerissen hatte, aus den Janitscharen.
Diese stehende Miliz, welche sich erst nur aus den Gefangenen rekrutirte, dann aus einer bestimmten von den Griechen zu liefernden Menschenzahl, und welche deshalb einen so unbesiegbaren Korporationsgeist bekam, weil sie von Kindheit auf für ihre Stellung erzogen wurde, riß eine Gewalt an sich, welche, ob¬ schon sie die eigentliche Stütze des schwankenden Staa¬ tes war, Niemandem fürchterlicher wurde, als dem Staate selbst. Den römischen Prätorianern gleich, welche außerhalb der Stadt ihr Lager hatten, zogen sie oft mit der Fahne des Aufruhrs vor die Woh¬
Der Sultan.
nuchen zuwarfen. Wie mancher tuͤrkiſche Herrſcher ſiechte von der Wiege her an heimlicher Vergiftung, und mußte doch noch fruͤher, als die guͤtige und nach¬ giebige Natur es gewollt hatte, an einer ſeidenen Schnur ſterben, welche ihm ſein eigener Sohn ſchickte!
Das ganze Anſehen, welches die Pforte Europa und ihren eigenen Satrapen gegenuͤber noch behaup¬ ten konnte, entwickelte ſich aus zwei Urſachen, aus dem Zufalle und einer Kaſte: aus dem Zufalle, wel¬ cher zuweilen kraͤftige und weiſe Veziere an die Spitze des Reiches ſtellte, und aus einer Kaſte, welche das Privilegium des Krieges an ſich geriſſen hatte, aus den Janitſcharen.
Dieſe ſtehende Miliz, welche ſich erſt nur aus den Gefangenen rekrutirte, dann aus einer beſtimmten von den Griechen zu liefernden Menſchenzahl, und welche deshalb einen ſo unbeſiegbaren Korporationsgeiſt bekam, weil ſie von Kindheit auf fuͤr ihre Stellung erzogen wurde, riß eine Gewalt an ſich, welche, ob¬ ſchon ſie die eigentliche Stuͤtze des ſchwankenden Staa¬ tes war, Niemandem fuͤrchterlicher wurde, als dem Staate ſelbſt. Den roͤmiſchen Praͤtorianern gleich, welche außerhalb der Stadt ihr Lager hatten, zogen ſie oft mit der Fahne des Aufruhrs vor die Woh¬
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Der Sultan.
nuchen zuwarfen. Wie mancher tuͤrkiſche Herrſcher
ſiechte von der Wiege her an heimlicher Vergiftung,
und mußte doch noch fruͤher, als die guͤtige und nach¬
giebige Natur es gewollt hatte, an einer ſeidenen
Schnur ſterben, welche ihm ſein eigener Sohn ſchickte!
Das ganze Anſehen, welches die Pforte Europa
und ihren eigenen Satrapen gegenuͤber noch behaup¬
ten konnte, entwickelte ſich aus zwei Urſachen, aus
dem Zufalle und einer Kaſte: aus dem Zufalle, wel¬
cher zuweilen kraͤftige und weiſe Veziere an die Spitze
des Reiches ſtellte, und aus einer Kaſte, welche das
Privilegium des Krieges an ſich geriſſen hatte, aus
den Janitſcharen.
Dieſe ſtehende Miliz, welche ſich erſt nur aus den
Gefangenen rekrutirte, dann aus einer beſtimmten
von den Griechen zu liefernden Menſchenzahl, und
welche deshalb einen ſo unbeſiegbaren Korporationsgeiſt
bekam, weil ſie von Kindheit auf fuͤr ihre Stellung
erzogen wurde, riß eine Gewalt an ſich, welche, ob¬
ſchon ſie die eigentliche Stuͤtze des ſchwankenden Staa¬
tes war, Niemandem fuͤrchterlicher wurde, als dem
Staate ſelbſt. Den roͤmiſchen Praͤtorianern gleich,
welche außerhalb der Stadt ihr Lager hatten, zogen
ſie oft mit der Fahne des Aufruhrs vor die Woh¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/328>, abgerufen am 16.02.2025.
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