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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Rothschild.
Gewiß ist dieser Glaube grundlos, aber die Stille des
Ortes nährt ihn.

Mitten unter Auskehricht, Resten kauscherer Mit¬
tagsmahlzeiten, mitten unter Gerüchen, welche für ein
Land berechnet scheinen, wie der Orient ist mit seinen
Rosenwäldern, um sie zu unterdrücken, tönt hier Al¬
les fast wie eine geheime Verabredung, wie ein nächt¬
licher Ueberfall, wie die eben aus Portugal erhaltene
Nachricht von des wahren Messias endlicher Erschei¬
nung. Stechende Blicke begleiten ein lakonisches, mit
humoristischer Freiheit gesprochenes Deutsch. Die Ge¬
sichtsbildungen mit ihren barocken Unregelmäßigkeiten,
die mir aus einem unerklärlich geilen und wuchernden
Triebe der jüdischen Natur zu entstehen scheinen, das
nachlässige, die Hand in die Hosen gesteckte Hinleh¬
nen an die rußige Mauer, das wie von Siegellack-
Roth prunkende Antlitz der Kattun-Verkäuferin mit
ihrem angeschwollenen Leibe, kurz alles jüdisch Cha¬
rakteristische trägt in sich einen vielleicht ganz harmlo¬
sen Ausdruck, aber dem bösen Gewissen des Christen,
einer jahrtausendjährigen Verschuldung dünkt er wie
Rache. Den Kopf haben wir voll von abgezapftem
Blute, vom Feuertod, von der mittelalterlichen Ser¬
vitut der reingekehrten Gasse und den jährlich 14

Rothſchild.
Gewiß iſt dieſer Glaube grundlos, aber die Stille des
Ortes naͤhrt ihn.

Mitten unter Auskehricht, Reſten kauſcherer Mit¬
tagsmahlzeiten, mitten unter Geruͤchen, welche fuͤr ein
Land berechnet ſcheinen, wie der Orient iſt mit ſeinen
Roſenwaͤldern, um ſie zu unterdruͤcken, toͤnt hier Al¬
les faſt wie eine geheime Verabredung, wie ein naͤcht¬
licher Ueberfall, wie die eben aus Portugal erhaltene
Nachricht von des wahren Meſſias endlicher Erſchei¬
nung. Stechende Blicke begleiten ein lakoniſches, mit
humoriſtiſcher Freiheit geſprochenes Deutſch. Die Ge¬
ſichtsbildungen mit ihren barocken Unregelmaͤßigkeiten,
die mir aus einem unerklaͤrlich geilen und wuchernden
Triebe der juͤdiſchen Natur zu entſtehen ſcheinen, das
nachlaͤſſige, die Hand in die Hoſen geſteckte Hinleh¬
nen an die rußige Mauer, das wie von Siegellack-
Roth prunkende Antlitz der Kattun-Verkaͤuferin mit
ihrem angeſchwollenen Leibe, kurz alles juͤdiſch Cha¬
rakteriſtiſche traͤgt in ſich einen vielleicht ganz harmlo¬
ſen Ausdruck, aber dem boͤſen Gewiſſen des Chriſten,
einer jahrtauſendjaͤhrigen Verſchuldung duͤnkt er wie
Rache. Den Kopf haben wir voll von abgezapftem
Blute, vom Feuertod, von der mittelalterlichen Ser¬
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[282/0300] Rothſchild. Gewiß iſt dieſer Glaube grundlos, aber die Stille des Ortes naͤhrt ihn. Mitten unter Auskehricht, Reſten kauſcherer Mit¬ tagsmahlzeiten, mitten unter Geruͤchen, welche fuͤr ein Land berechnet ſcheinen, wie der Orient iſt mit ſeinen Roſenwaͤldern, um ſie zu unterdruͤcken, toͤnt hier Al¬ les faſt wie eine geheime Verabredung, wie ein naͤcht¬ licher Ueberfall, wie die eben aus Portugal erhaltene Nachricht von des wahren Meſſias endlicher Erſchei¬ nung. Stechende Blicke begleiten ein lakoniſches, mit humoriſtiſcher Freiheit geſprochenes Deutſch. Die Ge¬ ſichtsbildungen mit ihren barocken Unregelmaͤßigkeiten, die mir aus einem unerklaͤrlich geilen und wuchernden Triebe der juͤdiſchen Natur zu entſtehen ſcheinen, das nachlaͤſſige, die Hand in die Hoſen geſteckte Hinleh¬ nen an die rußige Mauer, das wie von Siegellack- Roth prunkende Antlitz der Kattun-Verkaͤuferin mit ihrem angeſchwollenen Leibe, kurz alles juͤdiſch Cha¬ rakteriſtiſche traͤgt in ſich einen vielleicht ganz harmlo¬ ſen Ausdruck, aber dem boͤſen Gewiſſen des Chriſten, einer jahrtauſendjaͤhrigen Verſchuldung duͤnkt er wie Rache. Den Kopf haben wir voll von abgezapftem Blute, vom Feuertod, von der mittelalterlichen Ser¬ vitut der reingekehrten Gaſſe und den jaͤhrlich 14

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Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/300>, abgerufen am 09.11.2024.