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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Ancillon.
Staatsrath und Erzieher des damals eilfjährigen Er¬
ben der preußischen Monarchie.

Es gab damals in Berlin eine Philosophie, welche
durch Kiesewetter repräsentirt wurde.

Kiesewetter gab sich damit ab, die Kantische Philo¬
sophie zu trivialisiren, und behauptete in den Straßen
Berlins eine Reputation, welche er mehr seinen beque¬
men Manieren und seiner Stellung verdankte, als
einer besondern Fähigkeit, welche seinen flachen Geist
ausgezeichnet hätte. Kiesewetter milderte den Ernst der
Philosophie, er lehrte, wie Seneka, eine Wahrheit,
welche zuweilen an den Scherz und die Leidenschaft ein
kleines Zugeständniß machte; er zog es vor, statt am
Hofe den kategorischen Imperativ zu vertreten, für
kleine Vergnügungen zu sorgen und arrangirte Bals
masques, Pompzüge und dergleichen, wobei ihn Hof¬
rath Hirt, gleichfalls Hofpädagog, unterstützte.

Der Ernst der Zeit machte diesen Resten des al¬
ten Regimes ein Ende; Ancillons puritanische Strenge
stach gegen die Vergangenheit grell ab; Prinzenerzie¬
hung wurde wieder ein Ideal, über das man mit
Enthusiasmus und Entsagung nachdachte. Die Hoff¬
nung des Vaterlandes war in des Erziehers Hand ge¬

Ancillon.
Staatsrath und Erzieher des damals eilfjaͤhrigen Er¬
ben der preußiſchen Monarchie.

Es gab damals in Berlin eine Philoſophie, welche
durch Kieſewetter repraͤſentirt wurde.

Kieſewetter gab ſich damit ab, die Kantiſche Philo¬
ſophie zu trivialiſiren, und behauptete in den Straßen
Berlins eine Reputation, welche er mehr ſeinen beque¬
men Manieren und ſeiner Stellung verdankte, als
einer beſondern Faͤhigkeit, welche ſeinen flachen Geiſt
ausgezeichnet haͤtte. Kieſewetter milderte den Ernſt der
Philoſophie, er lehrte, wie Seneka, eine Wahrheit,
welche zuweilen an den Scherz und die Leidenſchaft ein
kleines Zugeſtaͤndniß machte; er zog es vor, ſtatt am
Hofe den kategoriſchen Imperativ zu vertreten, fuͤr
kleine Vergnuͤgungen zu ſorgen und arrangirte Bals
masqués, Pompzuͤge und dergleichen, wobei ihn Hof¬
rath Hirt, gleichfalls Hofpaͤdagog, unterſtuͤtzte.

Der Ernſt der Zeit machte dieſen Reſten des al¬
ten Regimes ein Ende; Ancillons puritaniſche Strenge
ſtach gegen die Vergangenheit grell ab; Prinzenerzie¬
hung wurde wieder ein Ideal, uͤber das man mit
Enthuſiasmus und Entſagung nachdachte. Die Hoff¬
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[261/0279] Ancillon. Staatsrath und Erzieher des damals eilfjaͤhrigen Er¬ ben der preußiſchen Monarchie. Es gab damals in Berlin eine Philoſophie, welche durch Kieſewetter repraͤſentirt wurde. Kieſewetter gab ſich damit ab, die Kantiſche Philo¬ ſophie zu trivialiſiren, und behauptete in den Straßen Berlins eine Reputation, welche er mehr ſeinen beque¬ men Manieren und ſeiner Stellung verdankte, als einer beſondern Faͤhigkeit, welche ſeinen flachen Geiſt ausgezeichnet haͤtte. Kieſewetter milderte den Ernſt der Philoſophie, er lehrte, wie Seneka, eine Wahrheit, welche zuweilen an den Scherz und die Leidenſchaft ein kleines Zugeſtaͤndniß machte; er zog es vor, ſtatt am Hofe den kategoriſchen Imperativ zu vertreten, fuͤr kleine Vergnuͤgungen zu ſorgen und arrangirte Bals masqués, Pompzuͤge und dergleichen, wobei ihn Hof¬ rath Hirt, gleichfalls Hofpaͤdagog, unterſtuͤtzte. Der Ernſt der Zeit machte dieſen Reſten des al¬ ten Regimes ein Ende; Ancillons puritaniſche Strenge ſtach gegen die Vergangenheit grell ab; Prinzenerzie¬ hung wurde wieder ein Ideal, uͤber das man mit Enthuſiasmus und Entſagung nachdachte. Die Hoff¬ nung des Vaterlandes war in des Erziehers Hand ge¬

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/279>, abgerufen am 24.11.2024.