Staatsrath und Erzieher des damals eilfjährigen Er¬ ben der preußischen Monarchie.
Es gab damals in Berlin eine Philosophie, welche durch Kiesewetter repräsentirt wurde.
Kiesewetter gab sich damit ab, die Kantische Philo¬ sophie zu trivialisiren, und behauptete in den Straßen Berlins eine Reputation, welche er mehr seinen beque¬ men Manieren und seiner Stellung verdankte, als einer besondern Fähigkeit, welche seinen flachen Geist ausgezeichnet hätte. Kiesewetter milderte den Ernst der Philosophie, er lehrte, wie Seneka, eine Wahrheit, welche zuweilen an den Scherz und die Leidenschaft ein kleines Zugeständniß machte; er zog es vor, statt am Hofe den kategorischen Imperativ zu vertreten, für kleine Vergnügungen zu sorgen und arrangirte Bals masques, Pompzüge und dergleichen, wobei ihn Hof¬ rath Hirt, gleichfalls Hofpädagog, unterstützte.
Der Ernst der Zeit machte diesen Resten des al¬ ten Regimes ein Ende; Ancillons puritanische Strenge stach gegen die Vergangenheit grell ab; Prinzenerzie¬ hung wurde wieder ein Ideal, über das man mit Enthusiasmus und Entsagung nachdachte. Die Hoff¬ nung des Vaterlandes war in des Erziehers Hand ge¬
Ancillon.
Staatsrath und Erzieher des damals eilfjaͤhrigen Er¬ ben der preußiſchen Monarchie.
Es gab damals in Berlin eine Philoſophie, welche durch Kieſewetter repraͤſentirt wurde.
Kieſewetter gab ſich damit ab, die Kantiſche Philo¬ ſophie zu trivialiſiren, und behauptete in den Straßen Berlins eine Reputation, welche er mehr ſeinen beque¬ men Manieren und ſeiner Stellung verdankte, als einer beſondern Faͤhigkeit, welche ſeinen flachen Geiſt ausgezeichnet haͤtte. Kieſewetter milderte den Ernſt der Philoſophie, er lehrte, wie Seneka, eine Wahrheit, welche zuweilen an den Scherz und die Leidenſchaft ein kleines Zugeſtaͤndniß machte; er zog es vor, ſtatt am Hofe den kategoriſchen Imperativ zu vertreten, fuͤr kleine Vergnuͤgungen zu ſorgen und arrangirte Bals masqués, Pompzuͤge und dergleichen, wobei ihn Hof¬ rath Hirt, gleichfalls Hofpaͤdagog, unterſtuͤtzte.
Der Ernſt der Zeit machte dieſen Reſten des al¬ ten Regimes ein Ende; Ancillons puritaniſche Strenge ſtach gegen die Vergangenheit grell ab; Prinzenerzie¬ hung wurde wieder ein Ideal, uͤber das man mit Enthuſiasmus und Entſagung nachdachte. Die Hoff¬ nung des Vaterlandes war in des Erziehers Hand ge¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0279"n="261"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Ancillon</hi>.<lb/></fw> Staatsrath und Erzieher des damals eilfjaͤhrigen Er¬<lb/>
ben der preußiſchen Monarchie.</p><lb/><p>Es gab damals in Berlin eine Philoſophie, welche<lb/>
durch Kieſewetter repraͤſentirt wurde.</p><lb/><p>Kieſewetter gab ſich damit ab, die Kantiſche Philo¬<lb/>ſophie zu trivialiſiren, und behauptete in den Straßen<lb/>
Berlins eine Reputation, welche er mehr ſeinen beque¬<lb/>
men Manieren und ſeiner Stellung verdankte, als<lb/>
einer beſondern Faͤhigkeit, welche ſeinen flachen Geiſt<lb/>
ausgezeichnet haͤtte. Kieſewetter milderte den Ernſt der<lb/>
Philoſophie, er lehrte, wie Seneka, eine Wahrheit,<lb/>
welche zuweilen an den Scherz und die Leidenſchaft ein<lb/>
kleines Zugeſtaͤndniß machte; er zog es vor, ſtatt am<lb/>
Hofe den kategoriſchen Imperativ zu vertreten, fuͤr<lb/>
kleine Vergnuͤgungen zu ſorgen und arrangirte Bals<lb/>
masqu<hirendition="#aq">é</hi>s, Pompzuͤge und dergleichen, wobei ihn Hof¬<lb/>
rath Hirt, gleichfalls Hofpaͤdagog, unterſtuͤtzte.</p><lb/><p>Der Ernſt der Zeit machte dieſen Reſten des al¬<lb/>
ten Regimes ein Ende; Ancillons puritaniſche Strenge<lb/>ſtach gegen die Vergangenheit grell ab; Prinzenerzie¬<lb/>
hung wurde wieder ein Ideal, uͤber das man mit<lb/>
Enthuſiasmus und Entſagung nachdachte. Die Hoff¬<lb/>
nung des Vaterlandes war in des Erziehers Hand ge¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[261/0279]
Ancillon.
Staatsrath und Erzieher des damals eilfjaͤhrigen Er¬
ben der preußiſchen Monarchie.
Es gab damals in Berlin eine Philoſophie, welche
durch Kieſewetter repraͤſentirt wurde.
Kieſewetter gab ſich damit ab, die Kantiſche Philo¬
ſophie zu trivialiſiren, und behauptete in den Straßen
Berlins eine Reputation, welche er mehr ſeinen beque¬
men Manieren und ſeiner Stellung verdankte, als
einer beſondern Faͤhigkeit, welche ſeinen flachen Geiſt
ausgezeichnet haͤtte. Kieſewetter milderte den Ernſt der
Philoſophie, er lehrte, wie Seneka, eine Wahrheit,
welche zuweilen an den Scherz und die Leidenſchaft ein
kleines Zugeſtaͤndniß machte; er zog es vor, ſtatt am
Hofe den kategoriſchen Imperativ zu vertreten, fuͤr
kleine Vergnuͤgungen zu ſorgen und arrangirte Bals
masqués, Pompzuͤge und dergleichen, wobei ihn Hof¬
rath Hirt, gleichfalls Hofpaͤdagog, unterſtuͤtzte.
Der Ernſt der Zeit machte dieſen Reſten des al¬
ten Regimes ein Ende; Ancillons puritaniſche Strenge
ſtach gegen die Vergangenheit grell ab; Prinzenerzie¬
hung wurde wieder ein Ideal, uͤber das man mit
Enthuſiasmus und Entſagung nachdachte. Die Hoff¬
nung des Vaterlandes war in des Erziehers Hand ge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/279>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.