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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Doktor Francia.
freilich daheim in seinem Urwalde Niemand erlangt ha¬
ben konnte. Er legte ihnen Traktate vor in den aus¬
ländischsten Sprachen, citirte die ökonomischen Schrif¬
ten Xenophons, um einen kleinen Geldposten des Bud¬
gets zu erläutern und verlangte von ihnen, daß sie
über Adam Smith und den Physiokratismus ihre
Stimme abgeben sollten. Dazu kam noch, daß sein
drittes Wort Uneigennützigkeit war, und er von den
Deputirten so viel Patriotismus verlangte, daß sie
keine Entschädigung in Anspruch nehmen durften.

Da sehnte sich dann Jeder aus der theuern Haupt¬
stadt nach seinem Meierhof zurück: Jeder fühlte, daß
ohne Diäten und Kenntnisse auch die Demokratie eine
unvollkommene Verfassung wäre, und in einer der
schönen südamerikanischen Nächte, beim Scheine der
Laternenkäfer und goldglänzenden brasilianischen Nacht¬
falter waren die Deputirten, die Revolution und die
Unbequemlichkeiten des Philosophen von Assumcion ver¬
schwunden.

Wir wollen uns wohl hüten, zu scherzen, wenn
Francia seine Indianer erschießen läßt, die sich unter¬
stehen, ihn anzublicken. Wir können nur nicht zuge¬
ben, daß Francia eine angeborne Grausamkeit besitzt.

Solche Erscheinungen, wie Nero und Francia,

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Doktor Francia.
freilich daheim in ſeinem Urwalde Niemand erlangt ha¬
ben konnte. Er legte ihnen Traktate vor in den aus¬
laͤndiſchſten Sprachen, citirte die oͤkonomiſchen Schrif¬
ten Xenophons, um einen kleinen Geldpoſten des Bud¬
gets zu erlaͤutern und verlangte von ihnen, daß ſie
uͤber Adam Smith und den Phyſiokratismus ihre
Stimme abgeben ſollten. Dazu kam noch, daß ſein
drittes Wort Uneigennuͤtzigkeit war, und er von den
Deputirten ſo viel Patriotismus verlangte, daß ſie
keine Entſchaͤdigung in Anſpruch nehmen durften.

Da ſehnte ſich dann Jeder aus der theuern Haupt¬
ſtadt nach ſeinem Meierhof zuruͤck: Jeder fuͤhlte, daß
ohne Diaͤten und Kenntniſſe auch die Demokratie eine
unvollkommene Verfaſſung waͤre, und in einer der
ſchoͤnen ſuͤdamerikaniſchen Naͤchte, beim Scheine der
Laternenkaͤfer und goldglaͤnzenden braſilianiſchen Nacht¬
falter waren die Deputirten, die Revolution und die
Unbequemlichkeiten des Philoſophen von Aſſumcion ver¬
ſchwunden.

Wir wollen uns wohl huͤten, zu ſcherzen, wenn
Francia ſeine Indianer erſchießen laͤßt, die ſich unter¬
ſtehen, ihn anzublicken. Wir koͤnnen nur nicht zuge¬
ben, daß Francia eine angeborne Grauſamkeit beſitzt.

Solche Erſcheinungen, wie Nero und Francia,

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[211/0229] Doktor Francia. freilich daheim in ſeinem Urwalde Niemand erlangt ha¬ ben konnte. Er legte ihnen Traktate vor in den aus¬ laͤndiſchſten Sprachen, citirte die oͤkonomiſchen Schrif¬ ten Xenophons, um einen kleinen Geldpoſten des Bud¬ gets zu erlaͤutern und verlangte von ihnen, daß ſie uͤber Adam Smith und den Phyſiokratismus ihre Stimme abgeben ſollten. Dazu kam noch, daß ſein drittes Wort Uneigennuͤtzigkeit war, und er von den Deputirten ſo viel Patriotismus verlangte, daß ſie keine Entſchaͤdigung in Anſpruch nehmen durften. Da ſehnte ſich dann Jeder aus der theuern Haupt¬ ſtadt nach ſeinem Meierhof zuruͤck: Jeder fuͤhlte, daß ohne Diaͤten und Kenntniſſe auch die Demokratie eine unvollkommene Verfaſſung waͤre, und in einer der ſchoͤnen ſuͤdamerikaniſchen Naͤchte, beim Scheine der Laternenkaͤfer und goldglaͤnzenden braſilianiſchen Nacht¬ falter waren die Deputirten, die Revolution und die Unbequemlichkeiten des Philoſophen von Aſſumcion ver¬ ſchwunden. Wir wollen uns wohl huͤten, zu ſcherzen, wenn Francia ſeine Indianer erſchießen laͤßt, die ſich unter¬ ſtehen, ihn anzublicken. Wir koͤnnen nur nicht zuge¬ ben, daß Francia eine angeborne Grauſamkeit beſitzt. Solche Erſcheinungen, wie Nero und Francia, 14*

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/229>, abgerufen am 24.11.2024.