Madrid, in Kassel eine Depesche von Paris ankam, so zitterte man; denn die Brüder wußten, daß sie schon wieder Etwas nicht recht gemacht hatten.
Niemand hatte von Napoleons Mißlaunen mehr zu dulden, als Ludwig, der hinter seinen Deichen und Poldern, mit einem fürchterlichen Defizit der Kasse, mit Feuersbrünsten, auffliegenden Pulverschissen, Ueberschwem¬ mungen und republikanischen Tendenzen bemitleidens¬ werth geplagt war. Er war etwas weitläuftig in sei¬ nen Bewegungen, nahm zu den kleinen Sprüngen, die er machen durfte, immer große Anläufe, und liebte es freilich, mehr zu sprechen, als Napoleons despotischer Lakonismus gut hieß. Auf Ludwig häufte sich des Kaisers Unmuth; er moralisirte ihm zu viel; Napo¬ leon fand es lächerlich, wenn sich sein Bruder, statt gefürchtet, populair machen wollte, wenn er von Na¬ tionalität und republikanischen Erinnerungen und allge¬ meiner Menschenliebe sprach; er nannte mit einem sei¬ ner klassischen Ausdrücke diese Dinge an seinem Bru¬ der "Humanitätswahnsinn" und schrieb ihm Einmal über das Andre, jetzt möcht' er nur machen, daß er bald zu den Engländern überginge. Ludwig verließ Holland, und hat sich mit seinem Bruder nie wieder ausgesöhnt.
Die Napoleoniden.
Madrid, in Kaſſel eine Depeſche von Paris ankam, ſo zitterte man; denn die Bruͤder wußten, daß ſie ſchon wieder Etwas nicht recht gemacht hatten.
Niemand hatte von Napoleons Mißlaunen mehr zu dulden, als Ludwig, der hinter ſeinen Deichen und Poldern, mit einem fuͤrchterlichen Defizit der Kaſſe, mit Feuersbruͤnſten, auffliegenden Pulverſchiſſen, Ueberſchwem¬ mungen und republikaniſchen Tendenzen bemitleidens¬ werth geplagt war. Er war etwas weitlaͤuftig in ſei¬ nen Bewegungen, nahm zu den kleinen Spruͤngen, die er machen durfte, immer große Anlaͤufe, und liebte es freilich, mehr zu ſprechen, als Napoleons deſpotiſcher Lakonismus gut hieß. Auf Ludwig haͤufte ſich des Kaiſers Unmuth; er moraliſirte ihm zu viel; Napo¬ leon fand es laͤcherlich, wenn ſich ſein Bruder, ſtatt gefuͤrchtet, populair machen wollte, wenn er von Na¬ tionalitaͤt und republikaniſchen Erinnerungen und allge¬ meiner Menſchenliebe ſprach; er nannte mit einem ſei¬ ner klaſſiſchen Ausdruͤcke dieſe Dinge an ſeinem Bru¬ der „Humanitaͤtswahnſinn“ und ſchrieb ihm Einmal uͤber das Andre, jetzt moͤcht' er nur machen, daß er bald zu den Englaͤndern uͤberginge. Ludwig verließ Holland, und hat ſich mit ſeinem Bruder nie wieder ausgeſoͤhnt.
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Die Napoleoniden.
Madrid, in Kaſſel eine Depeſche von Paris ankam, ſo
zitterte man; denn die Bruͤder wußten, daß ſie ſchon
wieder Etwas nicht recht gemacht hatten.
Niemand hatte von Napoleons Mißlaunen mehr
zu dulden, als Ludwig, der hinter ſeinen Deichen und
Poldern, mit einem fuͤrchterlichen Defizit der Kaſſe, mit
Feuersbruͤnſten, auffliegenden Pulverſchiſſen, Ueberſchwem¬
mungen und republikaniſchen Tendenzen bemitleidens¬
werth geplagt war. Er war etwas weitlaͤuftig in ſei¬
nen Bewegungen, nahm zu den kleinen Spruͤngen, die
er machen durfte, immer große Anlaͤufe, und liebte es
freilich, mehr zu ſprechen, als Napoleons deſpotiſcher
Lakonismus gut hieß. Auf Ludwig haͤufte ſich des
Kaiſers Unmuth; er moraliſirte ihm zu viel; Napo¬
leon fand es laͤcherlich, wenn ſich ſein Bruder, ſtatt
gefuͤrchtet, populair machen wollte, wenn er von Na¬
tionalitaͤt und republikaniſchen Erinnerungen und allge¬
meiner Menſchenliebe ſprach; er nannte mit einem ſei¬
ner klaſſiſchen Ausdruͤcke dieſe Dinge an ſeinem Bru¬
der „Humanitaͤtswahnſinn“ und ſchrieb ihm Einmal
uͤber das Andre, jetzt moͤcht' er nur machen, daß er
bald zu den Englaͤndern uͤberginge. Ludwig verließ
Holland, und hat ſich mit ſeinem Bruder nie wieder
ausgeſoͤhnt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/143>, abgerufen am 28.07.2024.
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