Lätitia ist keine feudale Fürstin, keine trauernde Königin aus "dem Schloß am Meer," sie gebar nicht, um große Erscheinungen hervorzubringen; Lätitia kann uns nur als Mutter rühren, als Mutter, wo sie im Vergleich ziemlich glücklich ist; denn ist sie nicht von Enkeln und Kindern umgeben?
Das gute Mütterchen wurde auf den Schauplatz der Welt gebracht, wie in einem Ifflandischen Stücke zuletzt die alten Väter und Großväter aus ihren Dach¬ stuben kriechen, um das Glück ihrer Kinder zu theilen, deren Tugend sie im Verlauf eines Theaterabends aus Justizräthen zu Präsidenten machte.
Lätitia würde sich in alle die Wunder, welche ihr Sohn verrichtete, nicht gefunden haben, wenn Söhne, Schwiegerkinder und Stiefenkel nicht die Associes der Weltgeschäfte geworden wären, so daß ihr Alles in die handgreiflichste Nähe gerückt wurde. Sie sah keine Hoff¬ nungen sterben, keine Privilegien der Geschichte, keine Berechtigungen, die, wenn sie nicht eintreffen, zuweilen poetisch sind; die Früchte ihres Leibes waren größer als der Stamm, sie machten den Schoos vergessen, welchem die Geschichte ein so großes Ereigniß verdankt.
Glaubt Ihr, daß Madame Mere so unglücklich ist? Thorheit! Sie wohnt zu Rom auf der Via San
Die Napoleoniden.
Laͤtitia iſt keine feudale Fuͤrſtin, keine trauernde Koͤnigin aus „dem Schloß am Meer,“ ſie gebar nicht, um große Erſcheinungen hervorzubringen; Laͤtitia kann uns nur als Mutter ruͤhren, als Mutter, wo ſie im Vergleich ziemlich gluͤcklich iſt; denn iſt ſie nicht von Enkeln und Kindern umgeben?
Das gute Muͤtterchen wurde auf den Schauplatz der Welt gebracht, wie in einem Ifflandiſchen Stuͤcke zuletzt die alten Vaͤter und Großvaͤter aus ihren Dach¬ ſtuben kriechen, um das Gluͤck ihrer Kinder zu theilen, deren Tugend ſie im Verlauf eines Theaterabends aus Juſtizraͤthen zu Praͤſidenten machte.
Laͤtitia wuͤrde ſich in alle die Wunder, welche ihr Sohn verrichtete, nicht gefunden haben, wenn Soͤhne, Schwiegerkinder und Stiefenkel nicht die Aſſociés der Weltgeſchaͤfte geworden waͤren, ſo daß ihr Alles in die handgreiflichſte Naͤhe geruͤckt wurde. Sie ſah keine Hoff¬ nungen ſterben, keine Privilegien der Geſchichte, keine Berechtigungen, die, wenn ſie nicht eintreffen, zuweilen poetiſch ſind; die Fruͤchte ihres Leibes waren groͤßer als der Stamm, ſie machten den Schoos vergeſſen, welchem die Geſchichte ein ſo großes Ereigniß verdankt.
Glaubt Ihr, daß Madame Mère ſo ungluͤcklich iſt? Thorheit! Sie wohnt zu Rom auf der Via San
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Die Napoleoniden.
Laͤtitia iſt keine feudale Fuͤrſtin, keine trauernde
Koͤnigin aus „dem Schloß am Meer,“ ſie gebar nicht,
um große Erſcheinungen hervorzubringen; Laͤtitia kann
uns nur als Mutter ruͤhren, als Mutter, wo ſie im
Vergleich ziemlich gluͤcklich iſt; denn iſt ſie nicht von
Enkeln und Kindern umgeben?
Das gute Muͤtterchen wurde auf den Schauplatz
der Welt gebracht, wie in einem Ifflandiſchen Stuͤcke
zuletzt die alten Vaͤter und Großvaͤter aus ihren Dach¬
ſtuben kriechen, um das Gluͤck ihrer Kinder zu theilen,
deren Tugend ſie im Verlauf eines Theaterabends aus
Juſtizraͤthen zu Praͤſidenten machte.
Laͤtitia wuͤrde ſich in alle die Wunder, welche ihr
Sohn verrichtete, nicht gefunden haben, wenn Soͤhne,
Schwiegerkinder und Stiefenkel nicht die Aſſociés der
Weltgeſchaͤfte geworden waͤren, ſo daß ihr Alles in die
handgreiflichſte Naͤhe geruͤckt wurde. Sie ſah keine Hoff¬
nungen ſterben, keine Privilegien der Geſchichte, keine
Berechtigungen, die, wenn ſie nicht eintreffen, zuweilen
poetiſch ſind; die Fruͤchte ihres Leibes waren groͤßer als
der Stamm, ſie machten den Schoos vergeſſen, welchem
die Geſchichte ein ſo großes Ereigniß verdankt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/137>, abgerufen am 16.02.2025.
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