Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Die Napoleoniden. theidigen, wenn ich von den kleinen Funken des zer¬sprungenen Sternes Napoleon nicht mit jener Andacht spreche, welche in neuem Zeiten bei Nennung seines Namens Sitte geworden ist. Die Poesie hat sich immer sehr erhitzt, wenn sie Warum lag in allen diesen Benennungen nichts so Die Napoleoniden. theidigen, wenn ich von den kleinen Funken des zer¬ſprungenen Sternes Napoleon nicht mit jener Andacht ſpreche, welche in neuem Zeiten bei Nennung ſeines Namens Sitte geworden iſt. Die Poeſie hat ſich immer ſehr erhitzt, wenn ſie Warum lag in allen dieſen Benennungen nichts ſo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0136" n="118"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Napoleoniden</hi>.<lb/></fw>theidigen, wenn ich von den kleinen Funken des zer¬<lb/> ſprungenen Sternes Napoleon nicht mit jener Andacht<lb/> ſpreche, welche in neuem Zeiten bei Nennung ſeines<lb/> Namens Sitte geworden iſt.</p><lb/> <p>Die Poeſie hat ſich immer ſehr erhitzt, wenn ſie<lb/> auf Laͤtitia, die vierundachtzigjaͤhrige Mutter des erlo¬<lb/> ſchenen Koͤnigshauſes, zu ſprechen kam. Sie wurde bald<lb/> mit Hekuba, bald mit Niobe verglichen; chriſtliche Phan¬<lb/> taſten nannten ſie die Rahel oder auch die Maria des<lb/> neunzehnten Jahrhunderts.</p><lb/> <p>Warum lag in allen dieſen Benennungen nichts ſo<lb/> Erhabenes, als es das Schickſal dieſer alten Dame vor¬<lb/> zuſtellen ſcheint? Vielleicht weil Niobe mit einem Schlage<lb/> alle ihre Erzeugniſſe hinſinken ſah, Hekuba außer einer<lb/> Mutter auch eine greiſe Gattin war, welche ihren al¬<lb/> ten Herrn Priamus zaͤrtlich liebte; vielleicht, weil Rahel<lb/> in ihren gemordeten Kindern junge Keime ſterben ſah,<lb/> Hoffnungen, die noch nicht Maͤnner geworden waren,<lb/> und den Schmerz ihres Verluſtes nach dem Maaße<lb/> deſſen, was man von ihnen noch nicht wußte, vergroͤ¬<lb/> ßerten. Verſchwindet doch ſelbſt der Schmerz einer Ma¬<lb/> ria vor den Leiden ihres Sohnes, deſſen goͤttliche Voll¬<lb/> kommenheit ſie uͤberſtrahlte: „Weib, was hab' ich mit<lb/> dir zu ſchaffen!“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [118/0136]
Die Napoleoniden.
theidigen, wenn ich von den kleinen Funken des zer¬
ſprungenen Sternes Napoleon nicht mit jener Andacht
ſpreche, welche in neuem Zeiten bei Nennung ſeines
Namens Sitte geworden iſt.
Die Poeſie hat ſich immer ſehr erhitzt, wenn ſie
auf Laͤtitia, die vierundachtzigjaͤhrige Mutter des erlo¬
ſchenen Koͤnigshauſes, zu ſprechen kam. Sie wurde bald
mit Hekuba, bald mit Niobe verglichen; chriſtliche Phan¬
taſten nannten ſie die Rahel oder auch die Maria des
neunzehnten Jahrhunderts.
Warum lag in allen dieſen Benennungen nichts ſo
Erhabenes, als es das Schickſal dieſer alten Dame vor¬
zuſtellen ſcheint? Vielleicht weil Niobe mit einem Schlage
alle ihre Erzeugniſſe hinſinken ſah, Hekuba außer einer
Mutter auch eine greiſe Gattin war, welche ihren al¬
ten Herrn Priamus zaͤrtlich liebte; vielleicht, weil Rahel
in ihren gemordeten Kindern junge Keime ſterben ſah,
Hoffnungen, die noch nicht Maͤnner geworden waren,
und den Schmerz ihres Verluſtes nach dem Maaße
deſſen, was man von ihnen noch nicht wußte, vergroͤ¬
ßerten. Verſchwindet doch ſelbſt der Schmerz einer Ma¬
ria vor den Leiden ihres Sohnes, deſſen goͤttliche Voll¬
kommenheit ſie uͤberſtrahlte: „Weib, was hab' ich mit
dir zu ſchaffen!“
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