Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, - die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: - seht, das heißt menschlich leben!

Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: "Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten." Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber anerkannt zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung

eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, – die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: – seht, das heißt menschlich leben!

Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: „Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten.“ Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber anerkannt zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0048" n="6"/>
eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, &#x2013; die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: &#x2013; seht, das heißt menschlich leben!</p>
        <p>Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: &#x201E;Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten.&#x201C; Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber <hi rendition="#g">anerkannt</hi> zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0048] eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, – die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: – seht, das heißt menschlich leben! Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: „Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten.“ Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber anerkannt zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-03T11:49:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-07-03T11:49:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/48
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/48>, abgerufen am 23.11.2024.