Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.nicht schicklich zu gebrauchen und man sieht sie gleich jenem Häuptling der Wilden ein Ludwigskreuz am Ohrläppchen tragen." Börne hat zunächst nichts von dem Style Jean Pauls angenommen, als was dessen großes und befruchtendes Prinzip für die ganze neuere Literaturrichtung ist, die Unmittelbarkeit und die Subjektivität. Der Styl, in welchem Goethe schrieb, war nicht Goethe selbst. Man lese die frühsten Briefe Goethe's, z. B. die an die Gräfin Stollberg, welche kürzlich erschienen sind, und man wird erstaunen über die Unregelmäßigkeit seiner Schreibart. Eine Parthie ganz unmittelbar, wie ihm der Styl aus der Seele quillt - und plötzlich eine angeeignete Periode, eine schriftstellerische Passage, die ihm zwar auch innerlichst gehörte, aber doch mit Rücksicht auf den Leser gebildet war. In spätern Jahren steigerte sich bei Goethe dieser Zwiespalt so sehr, daß seine Wahlverwandtschaften und spätern prosaischen Leistungen in einem eignen Kunststyle geschrieben sind, der immer in einer gewissen Distanz von dem unmittelbaren Entströmen des Gedankens aus dem Herzen entfernt lag. Diese Weise kannte Börne nicht. Seine Briefe an die vertrautesten Freunde sind alle in derselben Manier, in nicht schicklich zu gebrauchen und man sieht sie gleich jenem Häuptling der Wilden ein Ludwigskreuz am Ohrläppchen tragen." Börne hat zunächst nichts von dem Style Jean Pauls angenommen, als was dessen großes und befruchtendes Prinzip für die ganze neuere Literaturrichtung ist, die Unmittelbarkeit und die Subjektivität. Der Styl, in welchem Goethe schrieb, war nicht Goethe selbst. Man lese die frühsten Briefe Goethe’s, z. B. die an die Gräfin Stollberg, welche kürzlich erschienen sind, und man wird erstaunen über die Unregelmäßigkeit seiner Schreibart. Eine Parthie ganz unmittelbar, wie ihm der Styl aus der Seele quillt – und plötzlich eine angeeignete Periode, eine schriftstellerische Passage, die ihm zwar auch innerlichst gehörte, aber doch mit Rücksicht auf den Leser gebildet war. In spätern Jahren steigerte sich bei Goethe dieser Zwiespalt so sehr, daß seine Wahlverwandtschaften und spätern prosaischen Leistungen in einem eignen Kunststyle geschrieben sind, der immer in einer gewissen Distanz von dem unmittelbaren Entströmen des Gedankens aus dem Herzen entfernt lag. Diese Weise kannte Börne nicht. Seine Briefe an die vertrautesten Freunde sind alle in derselben Manier, in <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0204" n="162"/> nicht schicklich zu gebrauchen und man sieht sie gleich jenem Häuptling der Wilden ein Ludwigskreuz am Ohrläppchen tragen."</p> <p>Börne hat zunächst nichts von dem Style Jean Pauls angenommen, als was dessen großes und befruchtendes Prinzip für die ganze neuere Literaturrichtung ist, die Unmittelbarkeit und die Subjektivität. Der Styl, in welchem Goethe schrieb, war nicht Goethe selbst. Man lese die frühsten Briefe Goethe’s, z. B. die an die Gräfin Stollberg, welche kürzlich erschienen sind, und man wird erstaunen über die Unregelmäßigkeit seiner Schreibart. Eine Parthie ganz unmittelbar, wie ihm der Styl aus der Seele quillt – und plötzlich eine angeeignete Periode, eine schriftstellerische Passage, die ihm zwar auch innerlichst gehörte, aber doch mit Rücksicht auf den Leser gebildet war. In spätern Jahren steigerte sich bei Goethe dieser Zwiespalt so sehr, daß seine Wahlverwandtschaften und spätern prosaischen Leistungen in einem eignen <hi rendition="#g">Kunststyle</hi> geschrieben sind, der immer in einer gewissen Distanz von dem unmittelbaren Entströmen des Gedankens aus dem Herzen entfernt lag. Diese Weise kannte Börne nicht. Seine Briefe an die vertrautesten Freunde sind alle in derselben Manier, in </p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0204]
nicht schicklich zu gebrauchen und man sieht sie gleich jenem Häuptling der Wilden ein Ludwigskreuz am Ohrläppchen tragen."
Börne hat zunächst nichts von dem Style Jean Pauls angenommen, als was dessen großes und befruchtendes Prinzip für die ganze neuere Literaturrichtung ist, die Unmittelbarkeit und die Subjektivität. Der Styl, in welchem Goethe schrieb, war nicht Goethe selbst. Man lese die frühsten Briefe Goethe’s, z. B. die an die Gräfin Stollberg, welche kürzlich erschienen sind, und man wird erstaunen über die Unregelmäßigkeit seiner Schreibart. Eine Parthie ganz unmittelbar, wie ihm der Styl aus der Seele quillt – und plötzlich eine angeeignete Periode, eine schriftstellerische Passage, die ihm zwar auch innerlichst gehörte, aber doch mit Rücksicht auf den Leser gebildet war. In spätern Jahren steigerte sich bei Goethe dieser Zwiespalt so sehr, daß seine Wahlverwandtschaften und spätern prosaischen Leistungen in einem eignen Kunststyle geschrieben sind, der immer in einer gewissen Distanz von dem unmittelbaren Entströmen des Gedankens aus dem Herzen entfernt lag. Diese Weise kannte Börne nicht. Seine Briefe an die vertrautesten Freunde sind alle in derselben Manier, in
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/204>, abgerufen am 16.02.2025. |