Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.Camilla in Houwalds Bild mit Grund getadelt und als nicht gemacht, um unser Mitleid zu erregen, dargestellt hätte. Börne entgegnete sehr wahr, daß physische Gebrechen uns im Leben das größte Mitleid abgewinnen könnten, auf der Bühne uns aber kalt lassen. Er erwiederte schlagend, daß das von Müllner angeführte Beispiel des blinden Oedipus den vorliegenden Fall nicht träfe. Oedipus ist blind geworden vor unsern Augen, wir kennen die Ursache derselben und empfinden diese Blindheit durchaus als ein zur Handlung gehörendes tragisches Motiv. Eine unmotivirte Blindheit aber, ein physisches Leiden a priori, das außer dem Zusammenhang der entwickelten Fabel liegt, nimmt, auf der Bühne wenigstens, neben der geschilderten Handlung kein besonderes Interesse in Anspruch. Börne hätte noch hinzufügen können, daß grade in dieser Zumuthung Müllner's und Houwald's, uns für eine unmotivirte Blindheit einer ihrer dramatischen Figuren zu interessiren, die Grundschwäche der dramatischen Leistungen dieser Dichter erkennbar ist. Sie setzten Novellen in Scene, aber keine Handlungen. In der Erzählung kömmt uns allerdings durch die Notiz, daß diese oder jene geschilderte Person, auch noch blind sey, noch ein eignes Interesse zu Camilla in Houwalds Bild mit Grund getadelt und als nicht gemacht, um unser Mitleid zu erregen, dargestellt hätte. Börne entgegnete sehr wahr, daß physische Gebrechen uns im Leben das größte Mitleid abgewinnen könnten, auf der Bühne uns aber kalt lassen. Er erwiederte schlagend, daß das von Müllner angeführte Beispiel des blinden Oedipus den vorliegenden Fall nicht träfe. Oedipus ist blind geworden vor unsern Augen, wir kennen die Ursache derselben und empfinden diese Blindheit durchaus als ein zur Handlung gehörendes tragisches Motiv. Eine unmotivirte Blindheit aber, ein physisches Leiden a priori, das außer dem Zusammenhang der entwickelten Fabel liegt, nimmt, auf der Bühne wenigstens, neben der geschilderten Handlung kein besonderes Interesse in Anspruch. Börne hätte noch hinzufügen können, daß grade in dieser Zumuthung Müllner’s und Houwald’s, uns für eine unmotivirte Blindheit einer ihrer dramatischen Figuren zu interessiren, die Grundschwäche der dramatischen Leistungen dieser Dichter erkennbar ist. Sie setzten Novellen in Scene, aber keine Handlungen. In der Erzählung kömmt uns allerdings durch die Notiz, daß diese oder jene geschilderte Person, auch noch blind sey, noch ein eignes Interesse zu <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0179" n="137"/> Camilla in Houwalds Bild mit Grund getadelt und als nicht gemacht, um unser Mitleid zu erregen, dargestellt hätte. Börne entgegnete sehr wahr, daß physische Gebrechen uns im Leben das größte Mitleid abgewinnen könnten, auf der Bühne uns aber kalt lassen. Er erwiederte schlagend, daß das von Müllner angeführte Beispiel des blinden Oedipus den vorliegenden Fall nicht träfe. Oedipus ist blind <hi rendition="#g">geworden</hi> vor unsern Augen, wir kennen die Ursache derselben und empfinden diese Blindheit durchaus als ein zur Handlung gehörendes tragisches Motiv. Eine unmotivirte Blindheit aber, ein physisches Leiden <hi rendition="#aq">a priori</hi>, das außer dem Zusammenhang der entwickelten Fabel liegt, nimmt, auf der Bühne wenigstens, neben der geschilderten Handlung kein <hi rendition="#g">besonderes</hi> Interesse in Anspruch. Börne hätte noch hinzufügen können, daß grade in dieser Zumuthung Müllner’s und Houwald’s, uns für eine unmotivirte Blindheit einer ihrer dramatischen Figuren zu interessiren, die Grundschwäche der dramatischen Leistungen dieser Dichter erkennbar ist. Sie setzten Novellen in Scene, aber keine Handlungen. In der Erzählung kömmt uns allerdings durch die Notiz, daß diese oder jene geschilderte Person, <hi rendition="#g">auch</hi> noch blind sey, noch ein eignes Interesse zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [137/0179]
Camilla in Houwalds Bild mit Grund getadelt und als nicht gemacht, um unser Mitleid zu erregen, dargestellt hätte. Börne entgegnete sehr wahr, daß physische Gebrechen uns im Leben das größte Mitleid abgewinnen könnten, auf der Bühne uns aber kalt lassen. Er erwiederte schlagend, daß das von Müllner angeführte Beispiel des blinden Oedipus den vorliegenden Fall nicht träfe. Oedipus ist blind geworden vor unsern Augen, wir kennen die Ursache derselben und empfinden diese Blindheit durchaus als ein zur Handlung gehörendes tragisches Motiv. Eine unmotivirte Blindheit aber, ein physisches Leiden a priori, das außer dem Zusammenhang der entwickelten Fabel liegt, nimmt, auf der Bühne wenigstens, neben der geschilderten Handlung kein besonderes Interesse in Anspruch. Börne hätte noch hinzufügen können, daß grade in dieser Zumuthung Müllner’s und Houwald’s, uns für eine unmotivirte Blindheit einer ihrer dramatischen Figuren zu interessiren, die Grundschwäche der dramatischen Leistungen dieser Dichter erkennbar ist. Sie setzten Novellen in Scene, aber keine Handlungen. In der Erzählung kömmt uns allerdings durch die Notiz, daß diese oder jene geschilderte Person, auch noch blind sey, noch ein eignes Interesse zu
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