Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.verstehe mich recht! Die moralischen Maaßstäbe sind in Verruf gekommen, seitdem sie von der Prüderie und der Scheinheiligkeit angelegt wurden. Börne's moralischer Maaßstab war ein weit höherer; es war das Maaß des Gemüths und der Ehre. Das Malhonnette, Unhonorige war ihm tief verhaßt. Wir werden später, bei Entwickelung seines Charakters, auf diesen Adel des Herzens und eine ganz eigenthümliche Form, in der er sich bei ihm aussprach, zurückkommen; hier interessirt uns nur die Anwendung desselben auf seine Kritik. Börne verachtete z. B. den Schiller'schen Wilhelm Tell. Dieser gepriesene Held der schweizerischen Freiheit war ihm schon in seiner Wage, nicht nur ein Philister, sondern sogar ein schlechter, unedler Mensch. Börne konnte entschuldigen, daß Jemand für die Freiheit seines Vaterlandes vielleicht einen Mord beging, vielleicht einen falschen Eid schwor; aber er konnte nicht entschuldigen, daß Jemand, um Allen dienlich zu sein, sein Kind opfert. Daß Tell den Apfel vom Haupt seines Kindes schoß, empörte ihn; er ruft aus: "Tell hätte nicht auf seinen Sohn schießen dürfen und wäre aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden!" Etwas Trübes liegt, genau geprüft, allerdings auch in dieser Ideenverbindung, doch hängt sie mit verstehe mich recht! Die moralischen Maaßstäbe sind in Verruf gekommen, seitdem sie von der Prüderie und der Scheinheiligkeit angelegt wurden. Börne’s moralischer Maaßstab war ein weit höherer; es war das Maaß des Gemüths und der Ehre. Das Malhonnette, Unhonorige war ihm tief verhaßt. Wir werden später, bei Entwickelung seines Charakters, auf diesen Adel des Herzens und eine ganz eigenthümliche Form, in der er sich bei ihm aussprach, zurückkommen; hier interessirt uns nur die Anwendung desselben auf seine Kritik. Börne verachtete z. B. den Schiller’schen Wilhelm Tell. Dieser gepriesene Held der schweizerischen Freiheit war ihm schon in seiner Wage, nicht nur ein Philister, sondern sogar ein schlechter, unedler Mensch. Börne konnte entschuldigen, daß Jemand für die Freiheit seines Vaterlandes vielleicht einen Mord beging, vielleicht einen falschen Eid schwor; aber er konnte nicht entschuldigen, daß Jemand, um Allen dienlich zu sein, sein Kind opfert. Daß Tell den Apfel vom Haupt seines Kindes schoß, empörte ihn; er ruft aus: „Tell hätte nicht auf seinen Sohn schießen dürfen und wäre aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden!“ Etwas Trübes liegt, genau geprüft, allerdings auch in dieser Ideenverbindung, doch hängt sie mit <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0156" n="114"/> verstehe mich recht! Die moralischen Maaßstäbe sind in Verruf gekommen, seitdem sie von der Prüderie und der Scheinheiligkeit angelegt wurden. Börne’s moralischer Maaßstab war ein weit höherer; es war das Maaß des <hi rendition="#g">Gemüths</hi> und der <hi rendition="#g">Ehre</hi>. Das Malhonnette, Unhonorige war ihm tief verhaßt. Wir werden später, bei Entwickelung seines Charakters, auf diesen Adel des Herzens und eine ganz eigenthümliche Form, in der er sich bei ihm aussprach, zurückkommen; hier interessirt uns nur die Anwendung desselben auf seine Kritik. Börne verachtete z. B. den Schiller’schen Wilhelm Tell. Dieser gepriesene Held der schweizerischen Freiheit war ihm schon in seiner <hi rendition="#g">Wage</hi>, nicht nur ein Philister, sondern sogar ein schlechter, unedler Mensch. Börne konnte entschuldigen, daß Jemand für die Freiheit seines Vaterlandes vielleicht einen Mord beging, vielleicht einen falschen Eid schwor; aber er konnte nicht entschuldigen, daß Jemand, um Allen dienlich zu sein, sein Kind opfert. Daß Tell den Apfel vom Haupt seines Kindes schoß, empörte ihn; er ruft aus: „Tell hätte nicht auf seinen Sohn schießen dürfen und wäre aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden!“ Etwas Trübes liegt, genau geprüft, allerdings auch in dieser Ideenverbindung, doch hängt sie mit </p> </div> </body> </text> </TEI> [114/0156]
verstehe mich recht! Die moralischen Maaßstäbe sind in Verruf gekommen, seitdem sie von der Prüderie und der Scheinheiligkeit angelegt wurden. Börne’s moralischer Maaßstab war ein weit höherer; es war das Maaß des Gemüths und der Ehre. Das Malhonnette, Unhonorige war ihm tief verhaßt. Wir werden später, bei Entwickelung seines Charakters, auf diesen Adel des Herzens und eine ganz eigenthümliche Form, in der er sich bei ihm aussprach, zurückkommen; hier interessirt uns nur die Anwendung desselben auf seine Kritik. Börne verachtete z. B. den Schiller’schen Wilhelm Tell. Dieser gepriesene Held der schweizerischen Freiheit war ihm schon in seiner Wage, nicht nur ein Philister, sondern sogar ein schlechter, unedler Mensch. Börne konnte entschuldigen, daß Jemand für die Freiheit seines Vaterlandes vielleicht einen Mord beging, vielleicht einen falschen Eid schwor; aber er konnte nicht entschuldigen, daß Jemand, um Allen dienlich zu sein, sein Kind opfert. Daß Tell den Apfel vom Haupt seines Kindes schoß, empörte ihn; er ruft aus: „Tell hätte nicht auf seinen Sohn schießen dürfen und wäre aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden!“ Etwas Trübes liegt, genau geprüft, allerdings auch in dieser Ideenverbindung, doch hängt sie mit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/156 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/156>, abgerufen am 15.08.2024. |