Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Anblick von Leidenden, ja ein gewisses Vorgefühl mochte ihm wohl sagen, daß er in seinem künftigen Leben die Bestimmung hätte, sich zur Medizin mehr als Patient, denn als Arzt zu verhalten. Wenn man seinem spätern Mistrauen gegen die Arzneiwissenschaft, das er oft genug aussprach, folgen darf, so fühlte er sich auch durch die Unsicherheit ihrer Prinzipien bei seinem ernsten, wahrheitsuchenden Sinne nicht befriedigt. Er besaß nicht den Muth, mit der leidenden Menschheit Experimente zu machen. Das mochte vollends den Ausschlag geben, sich von einer Wissenschaft zu trennen, deren praktische Ausübung ihm keine Zukunft mehr vorspiegelte die ihm erwünscht und willkommen gewesen wäre.

Man kann sich denken, wie misliebig der Vater diese Erklärung seines Sohnes aufnahm. Die außerordentlichen Summen, die er bisher für die Ausbildung des künftigen Arztes aufgewandt hatte, die drei Jahre eines wie er gehofft hatte, gründlichen und gewissenhaften Studiums sah er für unersetzlich verloren an. Und dennoch überraschte ihn die plötzliche von den Zeitläuften geschenkte Möglichkeit, seinen Sohn sich in einer offiziellen Laufbahn bewegen zu sehen, selbst so sehr, daß er sich dem veränderten Entschlusse

Anblick von Leidenden, ja ein gewisses Vorgefühl mochte ihm wohl sagen, daß er in seinem künftigen Leben die Bestimmung hätte, sich zur Medizin mehr als Patient, denn als Arzt zu verhalten. Wenn man seinem spätern Mistrauen gegen die Arzneiwissenschaft, das er oft genug aussprach, folgen darf, so fühlte er sich auch durch die Unsicherheit ihrer Prinzipien bei seinem ernsten, wahrheitsuchenden Sinne nicht befriedigt. Er besaß nicht den Muth, mit der leidenden Menschheit Experimente zu machen. Das mochte vollends den Ausschlag geben, sich von einer Wissenschaft zu trennen, deren praktische Ausübung ihm keine Zukunft mehr vorspiegelte die ihm erwünscht und willkommen gewesen wäre.

Man kann sich denken, wie misliebig der Vater diese Erklärung seines Sohnes aufnahm. Die außerordentlichen Summen, die er bisher für die Ausbildung des künftigen Arztes aufgewandt hatte, die drei Jahre eines wie er gehofft hatte, gründlichen und gewissenhaften Studiums sah er für unersetzlich verloren an. Und dennoch überraschte ihn die plötzliche von den Zeitläuften geschenkte Möglichkeit, seinen Sohn sich in einer offiziellen Laufbahn bewegen zu sehen, selbst so sehr, daß er sich dem veränderten Entschlusse

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0118" n="76"/>
Anblick von Leidenden, ja ein gewisses Vorgefühl mochte ihm wohl sagen, daß er in seinem künftigen Leben die Bestimmung hätte, sich zur Medizin mehr als Patient, denn als Arzt zu verhalten. Wenn man seinem spätern Mistrauen gegen die Arzneiwissenschaft, das er oft genug aussprach, folgen darf, so fühlte er sich auch durch die Unsicherheit ihrer Prinzipien bei seinem ernsten, wahrheitsuchenden Sinne nicht befriedigt. Er besaß nicht den Muth, mit der leidenden Menschheit Experimente zu machen. Das mochte vollends den Ausschlag geben, sich von einer Wissenschaft zu trennen, deren praktische Ausübung ihm keine Zukunft mehr vorspiegelte die ihm erwünscht und willkommen gewesen wäre.</p>
        <p>Man kann sich denken, wie misliebig der Vater diese Erklärung seines Sohnes aufnahm. Die außerordentlichen Summen, die er bisher für die Ausbildung des künftigen Arztes aufgewandt hatte, die drei Jahre eines wie er gehofft hatte, gründlichen und gewissenhaften Studiums sah er für unersetzlich verloren an. Und dennoch überraschte ihn die plötzliche von den Zeitläuften geschenkte Möglichkeit, seinen Sohn sich in einer offiziellen Laufbahn bewegen zu sehen, selbst so sehr, daß er sich dem veränderten Entschlusse
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0118] Anblick von Leidenden, ja ein gewisses Vorgefühl mochte ihm wohl sagen, daß er in seinem künftigen Leben die Bestimmung hätte, sich zur Medizin mehr als Patient, denn als Arzt zu verhalten. Wenn man seinem spätern Mistrauen gegen die Arzneiwissenschaft, das er oft genug aussprach, folgen darf, so fühlte er sich auch durch die Unsicherheit ihrer Prinzipien bei seinem ernsten, wahrheitsuchenden Sinne nicht befriedigt. Er besaß nicht den Muth, mit der leidenden Menschheit Experimente zu machen. Das mochte vollends den Ausschlag geben, sich von einer Wissenschaft zu trennen, deren praktische Ausübung ihm keine Zukunft mehr vorspiegelte die ihm erwünscht und willkommen gewesen wäre. Man kann sich denken, wie misliebig der Vater diese Erklärung seines Sohnes aufnahm. Die außerordentlichen Summen, die er bisher für die Ausbildung des künftigen Arztes aufgewandt hatte, die drei Jahre eines wie er gehofft hatte, gründlichen und gewissenhaften Studiums sah er für unersetzlich verloren an. Und dennoch überraschte ihn die plötzliche von den Zeitläuften geschenkte Möglichkeit, seinen Sohn sich in einer offiziellen Laufbahn bewegen zu sehen, selbst so sehr, daß er sich dem veränderten Entschlusse

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-03T11:49:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-07-03T11:49:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/118
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/118>, abgerufen am 24.11.2024.