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Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796.

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Tod zur Vergeltung. Da getraute sich keiner
mehr an das königliche Raubthier, und die Un-
terthanen trugen forthin das äherne Joch des
Despotismus, bis sie sich endlich ihres Menschen-
rechts bewusst wurden und überall die Wehen
einer Revolution, das Innere des Staats zu durch-
dringen begannen. Da jammerte den Braman
Nassir das Elend seines Vaterlandes, und er be-
schloss, alles zu wagen, um den Wütrich zu
Verstande zu bringen. Er erfand das Schach, ein
Spiel, worin der König die Rolle eines Ohnmäch-
tigen spielt, aber worin seine Diener und Bauern
alles thun, um ihn vor den Angriffen der Geg-
ner zu schützen; worin die niedrigsten Steine,
wenn man sie gehörig behandelt, zur Vertheidi-
gung von grossem Werthe sind, aber wo der
Verlust eines Einzigen oft den König schachmatt
macht. Der König hörte bald von dem Spiele,
das dem Hange des Orients zur Körperruhe so
angemessen war und sich daher schnell bekannt
machte. Nassir, der Sohn Dahers, musste er-
scheinen, um das Spiel zu zeigen. Er lehrte es
dem (den) jungen Tyrannen und verflochte in
die Erklärung der Steine und Züge auf eine so
feine und doch anschauliche Art die Regeln der
Regentenweisheit, dass der König sich getroffen
fühlte, überzeugt wurde, seine Regierungsart
abänderte und sich nun die Liebe seiner Unter-

Tod zur Vergeltung. Da getraute ſich keiner
mehr an das königliche Raubthier, und die Un-
terthanen trugen forthin das äherne Joch des
Deſpotiſmus, bis ſie ſich endlich ihres Menſchen-
rechts bewuſst wurden und überall die Wehen
einer Revolution, das Innere des Staats zu durch-
dringen begannen. Da jammerte den Braman
Naſſir das Elend ſeines Vaterlandes, und er be-
ſchloſs, alles zu wagen, um den Wütrich zu
Verſtande zu bringen. Er erfand das Schach, ein
Spiel, worin der König die Rolle eines Ohnmäch-
tigen ſpielt, aber worin ſeine Diener und Bauern
alles thun, um ihn vor den Angriffen der Geg-
ner zu ſchützen; worin die niedrigſten Steine,
wenn man ſie gehörig behandelt, zur Vertheidi-
gung von groſsem Werthe ſind, aber wo der
Verluſt eines Einzigen oft den König ſchachmatt
macht. Der König hörte bald von dem Spiele,
das dem Hange des Orients zur Körperruhe ſo
angemeſſen war und ſich daher ſchnell bekannt
machte. Naſſir, der Sohn Dahers, muſste er-
ſcheinen, um das Spiel zu zeigen. Er lehrte es
dem (den) jungen Tyrannen und verflochte in
die Erklärung der Steine und Züge auf eine ſo
feine und doch anſchauliche Art die Regeln der
Regentenweisheit, daſs der König ſich getroffen
fühlte, überzeugt wurde, ſeine Regierungsart
abänderte und ſich nun die Liebe ſeiner Unter-

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[442/0474] Tod zur Vergeltung. Da getraute ſich keiner mehr an das königliche Raubthier, und die Un- terthanen trugen forthin das äherne Joch des Deſpotiſmus, bis ſie ſich endlich ihres Menſchen- rechts bewuſst wurden und überall die Wehen einer Revolution, das Innere des Staats zu durch- dringen begannen. Da jammerte den Braman Naſſir das Elend ſeines Vaterlandes, und er be- ſchloſs, alles zu wagen, um den Wütrich zu Verſtande zu bringen. Er erfand das Schach, ein Spiel, worin der König die Rolle eines Ohnmäch- tigen ſpielt, aber worin ſeine Diener und Bauern alles thun, um ihn vor den Angriffen der Geg- ner zu ſchützen; worin die niedrigſten Steine, wenn man ſie gehörig behandelt, zur Vertheidi- gung von groſsem Werthe ſind, aber wo der Verluſt eines Einzigen oft den König ſchachmatt macht. Der König hörte bald von dem Spiele, das dem Hange des Orients zur Körperruhe ſo angemeſſen war und ſich daher ſchnell bekannt machte. Naſſir, der Sohn Dahers, muſste er- ſcheinen, um das Spiel zu zeigen. Er lehrte es dem (den) jungen Tyrannen und verflochte in die Erklärung der Steine und Züge auf eine ſo feine und doch anſchauliche Art die Regeln der Regentenweisheit, daſs der König ſich getroffen fühlte, überzeugt wurde, ſeine Regierungsart abänderte und ſich nun die Liebe ſeiner Unter-

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Zitationshilfe: Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/474>, abgerufen am 24.11.2024.