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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V.
credit. Der alte Hertzog von Lothringen hatte bravoure, man trauete
ihm aber nicht, weil er beständig simulirte und dissimulirte. Dem Wal-
lenstein
hat weder Freund noch Feind getrauet, und gieng er übern Hauf-
fen, er hätte können König in Böhmen werden, und hatte Franckreich
und Schweden willens ihm beyzustehen, aber sie traueten ihm nicht recht.

Von verschie-
denen Arten
der Simulation
und Dissimu-
lation.

§. 22. Silentium bestehet zwar in non facto; aber es ist nothwendig,
ut nemo possit in aula vivere, der nicht weiß zu schweigen; nicht zu ge-
dencken, daß ein Schwätzer ein eiteler Mensch ist, und sagt Sallustius;
Vanior an stolidior garrulus. Ubi multum eloquentiae, ibi parum sa-
pientiae.
Man muß nicht allein nicht zu viel reden, sondern bisweilen
gar nichts, und ein festes Schloß an seinen Mund legen. Mancher ist
zu Grunde gangen, weil er sein Maul nicht halten können. Marleborugh
hat seine grace beym König William verlohren, weil die affaire, da der
König Dünkerken wollen wegnehmen, durch ihn auskommen: denn es
wuste niemand davon, als der König, Bembrock und Marleborugh; dieser
hatte eine böse raffinirte Frau, der hat ers offenbahret, welche es an
ihre Schwester geschrieben. Wie es heraus kam, so sagte William,
ich habe niemanden was gesagt, Bembrock auch nicht, also muß es
Marleborugh gethan haben, der gestund auch, daß ers seiner Frau ge-
sagt, damit war er disgraciiret, würde auch nicht wieder in die Höhe
kommen seyn, wenn VVilliam leben blieben. Dicis: Es ist ja wohl was
leichtes still zu schweigen. Resp. Wenn es leicht wäre, würden nicht so
viel Leute anstossen. Manche Leute haben ein temperamentum aquati-
cum,
sie sind beständig in Freundlichkeit, können nichts bey sich behal-
ten, sondern wenn sie ein plaisir gehabt, wollen sie immer einem andern
was davon communiciren; drum kan ein Sanguineus wohl bey Hofe
unter Dames sein fortune machen, aber in andern affairen ist er nicht zu
gebrauchen. Ich halte also davor, daß leichter silere, als silere & ver-
bis & factis aliud significare.
Indessen ist auch dieses bisweilen noth-
wendig. Es kommt auf ein temperamentum etwas an, und auf eine
Uberlegung, daß einer sich die Gefahr vorstellig machet, was würde
heraus kommen, wenn er es wegsagte. Bisweilen aber kan einer ohn-
möglich schweigen, sie fragen ihn aus, und kan er thun, als wenn er
es nicht hörete, er kan sermonem interrumpiren. Es ist ja einer auch
eben nicht schuldig die Wahrheit zu sagen. Man hält denjenigen vor
einen Narren, welcher vera redet, da er es nicht nöthig hat, und wo der
andere ein Jus hat die Wahrheit zu verlangen. Also hat Papyrius nicht
gantz unrecht gethan, da er seiner Mutter nicht gesagt, was im Rathe
passiret. Ich traue mir, ihn zu defendiren, wenn er nur mehr das de-

co-

Cap. V.
credit. Der alte Hertzog von Lothringen hatte bravoure, man trauete
ihm aber nicht, weil er beſtaͤndig ſimulirte und diſſimulirte. Dem Wal-
lenſtein
hat weder Freund noch Feind getrauet, und gieng er uͤbern Hauf-
fen, er haͤtte koͤnnen Koͤnig in Boͤhmen werden, und hatte Franckreich
und Schweden willens ihm beyzuſtehen, aber ſie traueten ihm nicht recht.

Von verſchie-
denen Arten
der Simulation
und Diſſimu-
lation.

§. 22. Silentium beſtehet zwar in non facto; aber es iſt nothwendig,
ut nemo poſſit in aula vivere, der nicht weiß zu ſchweigen; nicht zu ge-
dencken, daß ein Schwaͤtzer ein eiteler Menſch iſt, und ſagt Salluſtius;
Vanior an ſtolidior garrulus. Ubi multum eloquentiæ, ibi parum ſa-
pientiæ.
Man muß nicht allein nicht zu viel reden, ſondern bisweilen
gar nichts, und ein feſtes Schloß an ſeinen Mund legen. Mancher iſt
zu Grunde gangen, weil er ſein Maul nicht halten koͤnnen. Marleborugh
hat ſeine grace beym Koͤnig William verlohren, weil die affaire, da der
Koͤnig Dünkerken wollen wegnehmen, durch ihn auskommen: denn es
wuſte niemand davon, als der Koͤnig, Bembrock und Marleborugh; dieſer
hatte eine boͤſe raffinirte Frau, der hat ers offenbahret, welche es an
ihre Schweſter geſchrieben. Wie es heraus kam, ſo ſagte William,
ich habe niemanden was geſagt, Bembrock auch nicht, alſo muß es
Marleborugh gethan haben, der geſtund auch, daß ers ſeiner Frau ge-
ſagt, damit war er disgraciiret, wuͤrde auch nicht wieder in die Hoͤhe
kommen ſeyn, wenn VVilliam leben blieben. Dicis: Es iſt ja wohl was
leichtes ſtill zu ſchweigen. Reſp. Wenn es leicht waͤre, wuͤrden nicht ſo
viel Leute anſtoſſen. Manche Leute haben ein temperamentum aquati-
cum,
ſie ſind beſtaͤndig in Freundlichkeit, koͤnnen nichts bey ſich behal-
ten, ſondern wenn ſie ein plaiſir gehabt, wollen ſie immer einem andern
was davon communiciren; drum kan ein Sanguineus wohl bey Hofe
unter Dames ſein fortune machen, aber in andern affairen iſt er nicht zu
gebrauchen. Ich halte alſo davor, daß leichter ſilere, als ſilere & ver-
bis & factis aliud ſignificare.
Indeſſen iſt auch dieſes bisweilen noth-
wendig. Es kommt auf ein temperamentum etwas an, und auf eine
Uberlegung, daß einer ſich die Gefahr vorſtellig machet, was wuͤrde
heraus kommen, wenn er es wegſagte. Bisweilen aber kan einer ohn-
moͤglich ſchweigen, ſie fragen ihn aus, und kan er thun, als wenn er
es nicht hoͤrete, er kan ſermonem interrumpiren. Es iſt ja einer auch
eben nicht ſchuldig die Wahrheit zu ſagen. Man haͤlt denjenigen vor
einen Narren, welcher vera redet, da er es nicht noͤthig hat, und wo der
andere ein Jus hat die Wahrheit zu verlangen. Alſo hat Papyrius nicht
gantz unrecht gethan, da er ſeiner Mutter nicht geſagt, was im Rathe
paſſiret. Ich traue mir, ihn zu defendiren, wenn er nur mehr das de-

co-
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[490/0510] Cap. V. credit. Der alte Hertzog von Lothringen hatte bravoure, man trauete ihm aber nicht, weil er beſtaͤndig ſimulirte und diſſimulirte. Dem Wal- lenſtein hat weder Freund noch Feind getrauet, und gieng er uͤbern Hauf- fen, er haͤtte koͤnnen Koͤnig in Boͤhmen werden, und hatte Franckreich und Schweden willens ihm beyzuſtehen, aber ſie traueten ihm nicht recht. §. 22. Silentium beſtehet zwar in non facto; aber es iſt nothwendig, ut nemo poſſit in aula vivere, der nicht weiß zu ſchweigen; nicht zu ge- dencken, daß ein Schwaͤtzer ein eiteler Menſch iſt, und ſagt Salluſtius; Vanior an ſtolidior garrulus. Ubi multum eloquentiæ, ibi parum ſa- pientiæ. Man muß nicht allein nicht zu viel reden, ſondern bisweilen gar nichts, und ein feſtes Schloß an ſeinen Mund legen. Mancher iſt zu Grunde gangen, weil er ſein Maul nicht halten koͤnnen. Marleborugh hat ſeine grace beym Koͤnig William verlohren, weil die affaire, da der Koͤnig Dünkerken wollen wegnehmen, durch ihn auskommen: denn es wuſte niemand davon, als der Koͤnig, Bembrock und Marleborugh; dieſer hatte eine boͤſe raffinirte Frau, der hat ers offenbahret, welche es an ihre Schweſter geſchrieben. Wie es heraus kam, ſo ſagte William, ich habe niemanden was geſagt, Bembrock auch nicht, alſo muß es Marleborugh gethan haben, der geſtund auch, daß ers ſeiner Frau ge- ſagt, damit war er disgraciiret, wuͤrde auch nicht wieder in die Hoͤhe kommen ſeyn, wenn VVilliam leben blieben. Dicis: Es iſt ja wohl was leichtes ſtill zu ſchweigen. Reſp. Wenn es leicht waͤre, wuͤrden nicht ſo viel Leute anſtoſſen. Manche Leute haben ein temperamentum aquati- cum, ſie ſind beſtaͤndig in Freundlichkeit, koͤnnen nichts bey ſich behal- ten, ſondern wenn ſie ein plaiſir gehabt, wollen ſie immer einem andern was davon communiciren; drum kan ein Sanguineus wohl bey Hofe unter Dames ſein fortune machen, aber in andern affairen iſt er nicht zu gebrauchen. Ich halte alſo davor, daß leichter ſilere, als ſilere & ver- bis & factis aliud ſignificare. Indeſſen iſt auch dieſes bisweilen noth- wendig. Es kommt auf ein temperamentum etwas an, und auf eine Uberlegung, daß einer ſich die Gefahr vorſtellig machet, was wuͤrde heraus kommen, wenn er es wegſagte. Bisweilen aber kan einer ohn- moͤglich ſchweigen, ſie fragen ihn aus, und kan er thun, als wenn er es nicht hoͤrete, er kan ſermonem interrumpiren. Es iſt ja einer auch eben nicht ſchuldig die Wahrheit zu ſagen. Man haͤlt denjenigen vor einen Narren, welcher vera redet, da er es nicht noͤthig hat, und wo der andere ein Jus hat die Wahrheit zu verlangen. Alſo hat Papyrius nicht gantz unrecht gethan, da er ſeiner Mutter nicht geſagt, was im Rathe paſſiret. Ich traue mir, ihn zu defendiren, wenn er nur mehr das de- co-

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/510>, abgerufen am 25.11.2024.