Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.status circa religionem. hör. Unter denen Juden aber disputirt man nicht viel, da dencken wirconclamatum esse, daß sie refutirt. Die wenigsten ecclesiastici schicken sich auch in controversien. Wenn man hundert ecclesiasticos sich vor- stellig machet, die noch so mansuet sind, so verändern sie sich doch. Bey uns hatten wir einen modesten Prediger, wie aber die Reformirten eine halbe Stunde von Nürnberg eine Kirche bekamen, und sagten: Der Reformirte Prediger wäre ein wackerer Mann, weil so viele Bürger aus Nürnberg ihn angehöret, so trat jener Prediger, homo alioquin admodum modestus auf, und predigte dawider, und entstund ein grosser Streit. So ists auch dem Augustino ergangen, welcher ebenfals sehr modest gewesen, bis er in das Donatistische Gezäncke kommen, sonst er in seinen Schrifften von der tolerance unvergleichlich geschrieben, so ist er doch in casu donati feurig worden; deßwegen muß man denen Geist- lichen auf die Finger sehen, sonst kommen wir dem Pabst sehr nahe, we- nigstens nach dem verjüngten Maasstabe. Auf Cantzeln lasse man moralia predigen, und controversien anderswo tractiren. Grotius, als Schwedischer Ambassadeur, hat zwey Legations-Prediger gehabt, einen Reformirten und Lutherischen, predigte der Lutherische, so refutirte er dem Reformirten, und wenn dieser predigte, so refutirte er dem Lutheri- schen. Grotius sagte, sie sollten das Maul halten, und moralia predigen, da hat ein Eyferer gesagt: Ob er wolle dem Heil. Geist das Maul stopffen; Dieses ist dem Grotio pitoiable vorkommen, daß die Leute sich eingebildet, als wenn der Heil. Geist durch sie redete; Läßt man con- troversien zu, so jagen sie einander heraus, entstehen Kriege. Franck- reich und Teutschland hat nichts mehr ruinirt, als die Religions-Kriege. Wir sind zufrieden gewesen, da wir tolerantiam wegen der drey Reli- gionen in Teutschland erhalten haben. Es wäre gut, daß wir eine grössere tolerantiam zuliessen; Der Churfürst von Brandenburg Fridrich VVilhelm nahm Socinianer ein, und hat Doctor Fecht gemeynt, der Reichs-Fiscal werde wider den Churfürsten agiren, welches aber nicht geschehen. Wir können alle hieraus lernen, daß es uns nicht gefallen würde, wenn wir ausgejagt würden, so müssen wir es auch nicht thun. Es kan ja eine andere Secte kommen. Erst waren die Lutheraner in Teutschland, hernach kamen die Reformirten, welche die Lutheraner nicht leiden wollten, so gar, daß, da der Churfürst von Pfaltz reformirt wur- de, sie von Maximiliano II. verlangten, daß er demselben die Chur neh- men sollte, welcher ihnen aber einen Verweiß gegeben. Es ist eine wichtige Sache, daß man sich einen rechten concept mache de jure & prudentia Principis circa sacra, damit die ecclesiastici keinen Schaden thun, Y y 2
ſtatus circa religionem. hoͤr. Unter denen Juden aber diſputirt man nicht viel, da dencken wirconclamatum eſſe, daß ſie refutirt. Die wenigſten eccleſiaſtici ſchicken ſich auch in controverſien. Wenn man hundert eccleſiaſticos ſich vor- ſtellig machet, die noch ſo manſuet ſind, ſo veraͤndern ſie ſich doch. Bey uns hatten wir einen modeſten Prediger, wie aber die Reformirten eine halbe Stunde von Nuͤrnberg eine Kirche bekamen, und ſagten: Der Reformirte Prediger waͤre ein wackerer Mann, weil ſo viele Buͤrger aus Nuͤrnberg ihn angehoͤret, ſo trat jener Prediger, homo alioquin admodum modeſtus auf, und predigte dawider, und entſtund ein groſſer Streit. So iſts auch dem Auguſtino ergangen, welcher ebenfals ſehr modeſt geweſen, bis er in das Donatiſtiſche Gezaͤncke kommen, ſonſt er in ſeinen Schrifften von der tolerance unvergleichlich geſchrieben, ſo iſt er doch in caſu donati feurig worden; deßwegen muß man denen Geiſt- lichen auf die Finger ſehen, ſonſt kommen wir dem Pabſt ſehr nahe, we- nigſtens nach dem verjuͤngten Maasſtabe. Auf Cantzeln laſſe man moralia predigen, und controverſien anderswo tractiren. Grotius, als Schwediſcher Ambaſſadeur, hat zwey Legations-Prediger gehabt, einen Reformirten und Lutheriſchen, predigte der Lutheriſche, ſo refutirte er dem Reformirten, und wenn dieſer predigte, ſo refutirte er dem Lutheri- ſchen. Grotius ſagte, ſie ſollten das Maul halten, und moralia predigen, da hat ein Eyferer geſagt: Ob er wolle dem Heil. Geiſt das Maul ſtopffen; Dieſes iſt dem Grotio pitoiable vorkommen, daß die Leute ſich eingebildet, als wenn der Heil. Geiſt durch ſie redete; Laͤßt man con- troverſien zu, ſo jagen ſie einander heraus, entſtehen Kriege. Franck- reich und Teutſchland hat nichts mehr ruinirt, als die Religions-Kriege. Wir ſind zufrieden geweſen, da wir tolerantiam wegen der drey Reli- gionen in Teutſchland erhalten haben. Es waͤre gut, daß wir eine groͤſſere tolerantiam zulieſſen; Der Churfuͤrſt von Brandenburg Fridrich VVilhelm nahm Socinianer ein, und hat Doctor Fecht gemeynt, der Reichs-Fiſcal werde wider den Churfuͤrſten agiren, welches aber nicht geſchehen. Wir koͤnnen alle hieraus lernen, daß es uns nicht gefallen wuͤrde, wenn wir ausgejagt wuͤrden, ſo muͤſſen wir es auch nicht thun. Es kan ja eine andere Secte kommen. Erſt waren die Lutheraner in Teutſchland, hernach kamen die Reformirten, welche die Lutheraner nicht leiden wollten, ſo gar, daß, da der Churfuͤrſt von Pfaltz reformirt wur- de, ſie von Maximiliano II. verlangten, daß er demſelben die Chur neh- men ſollte, welcher ihnen aber einen Verweiß gegeben. Es iſt eine wichtige Sache, daß man ſich einen rechten concept mache de jure & prudentia Principis circa ſacra, damit die eccleſiaſtici keinen Schaden thun, Y y 2
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ſich auch in controverſien. Wenn man hundert eccleſiaſticos ſich vor-
ſtellig machet, die noch ſo manſuet ſind, ſo veraͤndern ſie ſich doch. Bey
uns hatten wir einen modeſten Prediger, wie aber die Reformirten eine
halbe Stunde von Nuͤrnberg eine Kirche bekamen, und ſagten: Der
Reformirte Prediger waͤre ein wackerer Mann, weil ſo viele Buͤrger
aus Nuͤrnberg ihn angehoͤret, ſo trat jener Prediger, homo alioquin
admodum modeſtus auf, und predigte dawider, und entſtund ein groſſer
Streit. So iſts auch dem Auguſtino ergangen, welcher ebenfals ſehr
modeſt geweſen, bis er in das Donatiſtiſche Gezaͤncke kommen, ſonſt er
in ſeinen Schrifften von der tolerance unvergleichlich geſchrieben, ſo iſt
er doch in caſu donati feurig worden; deßwegen muß man denen Geiſt-
lichen auf die Finger ſehen, ſonſt kommen wir dem Pabſt ſehr nahe, we-
nigſtens nach dem verjuͤngten Maasſtabe. Auf Cantzeln laſſe man
moralia predigen, und controverſien anderswo tractiren. Grotius, als
Schwediſcher Ambaſſadeur, hat zwey Legations-Prediger gehabt, einen
Reformirten und Lutheriſchen, predigte der Lutheriſche, ſo refutirte er
dem Reformirten, und wenn dieſer predigte, ſo refutirte er dem Lutheri-
ſchen. Grotius ſagte, ſie ſollten das Maul halten, und moralia predigen,
da hat ein Eyferer geſagt: Ob er wolle dem Heil. Geiſt das Maul
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eingebildet, als wenn der Heil. Geiſt durch ſie redete; Laͤßt man con-
troverſien zu, ſo jagen ſie einander heraus, entſtehen Kriege. Franck-
reich und Teutſchland hat nichts mehr ruinirt, als die Religions-Kriege.
Wir ſind zufrieden geweſen, da wir tolerantiam wegen der drey Reli-
gionen in Teutſchland erhalten haben. Es waͤre gut, daß wir eine
groͤſſere tolerantiam zulieſſen; Der Churfuͤrſt von Brandenburg Fridrich
VVilhelm nahm Socinianer ein, und hat Doctor Fecht gemeynt, der
Reichs-Fiſcal werde wider den Churfuͤrſten agiren, welches aber nicht
geſchehen. Wir koͤnnen alle hieraus lernen, daß es uns nicht gefallen
wuͤrde, wenn wir ausgejagt wuͤrden, ſo muͤſſen wir es auch nicht thun.
Es kan ja eine andere Secte kommen. Erſt waren die Lutheraner in
Teutſchland, hernach kamen die Reformirten, welche die Lutheraner nicht
leiden wollten, ſo gar, daß, da der Churfuͤrſt von Pfaltz reformirt wur-
de, ſie von Maximiliano II. verlangten, daß er demſelben die Chur neh-
men ſollte, welcher ihnen aber einen Verweiß gegeben. Es iſt eine
wichtige Sache, daß man ſich einen rechten concept mache de jure &
prudentia Principis circa ſacra, damit die eccleſiaſtici keinen Schaden
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