Von der Reli- gion über- haupt und ob es rathsam, mehr, als eine Religion in dem Staat zu dulden.
MAn muß wohl wahrnehmen: Principem non condere dogmata in religione. Die dogmata gehen ihn so wenig an, als mir. Ich kan nach meinem Gutdüncken nicht dogmata etabliren, er auch nicht. Dogmata müssen gelehrt erkannt werden. Wenn man von dogmatibus redet, redet man von Wahrheiten. Veritas docetur. Das principium: Sic volo, sic jubeo, stat pro ratione voluntas, hat kei- ne statt allhier. Meine ratio müste alsdenn exuliren, und ist absurd, wenn man statuirt, ein Princeps könne einen zwingen, ja wenn ich auch selbst gesagt, hoc esse verum, me velle id defendere, ich erkenne es aber jetzo besser, so kan ich doch davon abgehen. De veritate nemo pacisci potest. Dem Luthero hat man vorgeworffen, er habe als Doctor Theologiae geschworen, die Catholische Religion zu defendiren, und nun gehe er doch davon ab; Darauf hat er aber ebensals geantwortet, daß man de veritate nicht pacisciren könne; Hobbesius hat etwas über die Schnur gehauen, wenn er gemeynet: Principem posse condere dogmata. Wenn nur die Leute glaubten Christum esse Messiam, das Ubrige könnte er alles determiniren. Hobbesius defendirete Monarchiam, weil er nun gesehen, daß die Quacker in Engeland die Fürsten herunter geworffen- so hat er gemeynt, man müsse dem Principi eine grosse Gewalt geben. Bey dieser doctrina ratione religionis minimum spirituali, welche socie- tatem man ecclesiam nennt. Die ecclesia ist eine Universitas, eine per- sona moralis, mystica. Gleichwie nun alle personae mysticae, alle colle- gia unter dem imperante stehen, sic ecclesiae quoque imperium effugere nequeunt; Sie stehen unter dem imperante nicht anders als alle andere civitates. Der Princeps muß auf alle Universitates acht geben, daß die- selben in ihren Schrancken bleiben ne tumultus excitetur. Da ohnedem die Religion viele tumultus machen kan, si seditiose doceatur, so muß der Princeps zusehen, was gelehret wird, was vor Leute da sind? Ob sie ca pable sind, was sie vor ein Leben führen? Diejenigen, welche wollen Lehrer der Wahrheit seyn, dogmata proponere de sapientia Dei, von
dem
Cap. V. De prudentia
Sect. IX. de Prudentia ſtatus circa religionem.
§. 1-10.
Von der Reli- gion uͤber- haupt und ob es rathſam, mehr, als eine Religion in dem Staat zu dulden.
MAn muß wohl wahrnehmen: Principem non condere dogmata in religione. Die dogmata gehen ihn ſo wenig an, als mir. Ich kan nach meinem Gutduͤncken nicht dogmata etabliren, er auch nicht. Dogmata muͤſſen gelehrt erkannt werden. Wenn man von dogmatibus redet, redet man von Wahrheiten. Veritas docetur. Das principium: Sic volo, ſic jubeo, ſtat pro ratione voluntas, hat kei- ne ſtatt allhier. Meine ratio muͤſte alsdenn exuliren, und iſt abſurd, wenn man ſtatuirt, ein Princeps koͤnne einen zwingen, ja wenn ich auch ſelbſt geſagt, hoc eſſe verum, me velle id defendere, ich erkenne es aber jetzo beſſer, ſo kan ich doch davon abgehen. De veritate nemo paciſci poteſt. Dem Luthero hat man vorgeworffen, er habe als Doctor Theologiæ geſchworen, die Catholiſche Religion zu defendiren, und nun gehe er doch davon ab; Darauf hat er aber ebenſals geantwortet, daß man de veritate nicht paciſciren koͤnne; Hobbeſius hat etwas uͤber die Schnur gehauen, wenn er gemeynet: Principem poſſe condere dogmata. Wenn nur die Leute glaubten Chriſtum eſſe Meſſiam, das Ubrige koͤnnte er alles determiniren. Hobbeſius defendirete Monarchiam, weil er nun geſehen, daß die Quacker in Engeland die Fuͤrſten herunter geworffen- ſo hat er gemeynt, man muͤſſe dem Principi eine groſſe Gewalt geben. Bey dieſer doctrina ratione religionis minimum ſpirituali, welche ſocie- tatem man eccleſiam nennt. Die eccleſia iſt eine Univerſitas, eine per- ſona moralis, myſtica. Gleichwie nun alle perſonæ myſticæ, alle colle- gia unter dem imperante ſtehen, ſic eccleſiæ quoque imperium effugere nequeunt; Sie ſtehen unter dem imperante nicht anders als alle andere civitates. Der Princeps muß auf alle Univerſitates acht geben, daß die- ſelben in ihren Schrancken bleiben ne tumultus excitetur. Da ohnedem die Religion viele tumultus machen kan, ſi ſeditioſe doceatur, ſo muß der Princeps zuſehen, was gelehret wird, was vor Leute da ſind? Ob ſie ca pable ſind, was ſie vor ein Leben fuͤhren? Diejenigen, welche wollen Lehrer der Wahrheit ſeyn, dogmata proponere de ſapientia Dei, von
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Cap. V. De prudentia
Sect. IX.
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Prudentia ſtatus circa religionem.
§. 1-10.
MAn muß wohl wahrnehmen: Principem non condere dogmata
in religione. Die dogmata gehen ihn ſo wenig an, als mir.
Ich kan nach meinem Gutduͤncken nicht dogmata etabliren,
er auch nicht. Dogmata muͤſſen gelehrt erkannt werden. Wenn man
von dogmatibus redet, redet man von Wahrheiten. Veritas docetur.
Das principium: Sic volo, ſic jubeo, ſtat pro ratione voluntas, hat kei-
ne ſtatt allhier. Meine ratio muͤſte alsdenn exuliren, und iſt abſurd,
wenn man ſtatuirt, ein Princeps koͤnne einen zwingen, ja wenn ich auch
ſelbſt geſagt, hoc eſſe verum, me velle id defendere, ich erkenne es aber
jetzo beſſer, ſo kan ich doch davon abgehen. De veritate nemo paciſci
poteſt. Dem Luthero hat man vorgeworffen, er habe als Doctor
Theologiæ geſchworen, die Catholiſche Religion zu defendiren, und nun
gehe er doch davon ab; Darauf hat er aber ebenſals geantwortet, daß
man de veritate nicht paciſciren koͤnne; Hobbeſius hat etwas uͤber die
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Wenn nur die Leute glaubten Chriſtum eſſe Meſſiam, das Ubrige koͤnnte
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Bey dieſer doctrina ratione religionis minimum ſpirituali, welche ſocie-
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gia unter dem imperante ſtehen, ſic eccleſiæ quoque imperium effugere
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civitates. Der Princeps muß auf alle Univerſitates acht geben, daß die-
ſelben in ihren Schrancken bleiben ne tumultus excitetur. Da ohnedem
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Princeps zuſehen, was gelehret wird, was vor Leute da ſind? Ob ſie ca
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Lehrer der Wahrheit ſeyn, dogmata proponere de ſapientia Dei, von
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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/366>, abgerufen am 24.11.2024.
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