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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V. De prudentia
conversation sind sie doch nichts nütze, sie sind Zäncker, verdrießliche Leu-
te, und wenn sie gleich mit einem gut sind, so verderben sie es doch
gleich wieder. Einem grossen Herrn ist es ein grosses Unglück, wenn
er einen solchen hat, und muß er denselben entweder cassiren, oder tole-
ri
ren cum dedecore. Ein Herr muß nicht alleine sehen, an quis habeat
scientiam,
sondern er braucht fideles, daher muß er die mores, conduite,
&c.
betrachten. Scientia wird praesumirt. Wer einen Leib-Medicum
abgeben will, muß freylich scientiam haben, darneben aber siehet der
Herr, ob er nicht ein Gifft-Mischer, indem man viele exempla hat, daß
grosse Herren durch die Medicos umgebracht worden. Man hat sehr
viel von der doctrina de temperamentis excoliret, und diejenigen, so die-
selbe verwerffen, reden contra judicium totius orbis. Das clima macht
corpora diversa, und sagt auch Tacitus in seinem Agricola, daß das cli-
ma
vielen Uuterscheid mache. Wenn wir auch die testimonia veterum
nicht hätten, so können wir uns doch leicht aus der experientia überfüh-
ren. Das clima und die alimenta ändern uns am meisten, an unsern
Leibe wird immer etwas zugesetzet. Drum hat VVeigel gesagt, ein
Mensch sey nicht der, so er vor sechs Jahren war, die prima stamina
bleiben wohl, aber das Ubrige verändert sich alle. Das Geblüth, so
ich vor zwantzig Jahren gehabt, ist jetzo nicht mehr da. Radix bleibet
freylich sitzen, und so ist es, wie mit denen Wein-Reben, so aus Teutsch-
land nach Spanien gebracht werden, davon hat der Wein eine Säure
und Süsse, die Säure hat er aus Teutschland behalten, deßwegen ist
er so angenehm. Gewiß ist es also, daß die Seele sich nach denen
motibus corporeis richtet, imitatur motus corporeos, und auf die letzte
bekommt sie einen habitum. Daher sagt auch Lock in seinem Tractat
de intellectu humano,
gebet mir neu Geblüth, neue Sehnen, so will ich
können voltigiren. Wir changiren uns auch nach unsern Alter, vor die-
sem habe ich können über ein Pferd weg springen, welches jetzo schon
nicht mehr angehet. Die Säffte trocknen ein, die Füsse sind nicht mehr
so agile. Man kan freylich auch seine Kräffte lange erhalten. Wer
Zeit hat, und kan immer baden, wie die Türcken, der wird agiliora
membra
behalten, von dieser materie werde noch etwas in die Gundl.
drucken lassen. Ein jeder hat von jeden temperament etwas, aber
unum praeponderat, welches aber nicht nach der quantitate, sondern nach
der vi, nach der qualitate muß betrachtet werden. Wenn einer will
das temperament eines Menschen erkennen, so kan es nicht auf einmahl
geschehen, sondern man muß es machen, wie der Richelieu. Die Leute
zeigen sich anfangs auf der schönen Seite, sie affectiren: affectatio kan

lange

Cap. V. De prudentia
converſation ſind ſie doch nichts nuͤtze, ſie ſind Zaͤncker, verdrießliche Leu-
te, und wenn ſie gleich mit einem gut ſind, ſo verderben ſie es doch
gleich wieder. Einem groſſen Herrn iſt es ein groſſes Ungluͤck, wenn
er einen ſolchen hat, und muß er denſelben entweder caſſiren, oder tole-
ri
ren cum dedecore. Ein Herr muß nicht alleine ſehen, an quis habeat
ſcientiam,
ſondern er braucht fideles, daher muß er die mores, conduite,
&c.
betrachten. Scientia wird præſumirt. Wer einen Leib-Medicum
abgeben will, muß freylich ſcientiam haben, darneben aber ſiehet der
Herr, ob er nicht ein Gifft-Miſcher, indem man viele exempla hat, daß
groſſe Herren durch die Medicos umgebracht worden. Man hat ſehr
viel von der doctrina de temperamentis excoliret, und diejenigen, ſo die-
ſelbe verwerffen, reden contra judicium totius orbis. Das clima macht
corpora diverſa, und ſagt auch Tacitus in ſeinem Agricola, daß das cli-
ma
vielen Uuterſcheid mache. Wenn wir auch die teſtimonia veterum
nicht haͤtten, ſo koͤnnen wir uns doch leicht aus der experientia uͤberfuͤh-
ren. Das clima und die alimenta aͤndern uns am meiſten, an unſern
Leibe wird immer etwas zugeſetzet. Drum hat VVeigel geſagt, ein
Menſch ſey nicht der, ſo er vor ſechs Jahren war, die prima ſtamina
bleiben wohl, aber das Ubrige veraͤndert ſich alle. Das Gebluͤth, ſo
ich vor zwantzig Jahren gehabt, iſt jetzo nicht mehr da. Radix bleibet
freylich ſitzen, und ſo iſt es, wie mit denen Wein-Reben, ſo aus Teutſch-
land nach Spanien gebracht werden, davon hat der Wein eine Saͤure
und Suͤſſe, die Saͤure hat er aus Teutſchland behalten, deßwegen iſt
er ſo angenehm. Gewiß iſt es alſo, daß die Seele ſich nach denen
motibus corporeis richtet, imitatur motus corporeos, und auf die letzte
bekommt ſie einen habitum. Daher ſagt auch Lock in ſeinem Tractat
de intellectu humano,
gebet mir neu Gebluͤth, neue Sehnen, ſo will ich
koͤnnen voltigiren. Wir changiren uns auch nach unſern Alter, vor die-
ſem habe ich koͤnnen uͤber ein Pferd weg ſpringen, welches jetzo ſchon
nicht mehr angehet. Die Saͤffte trocknen ein, die Fuͤſſe ſind nicht mehr
ſo agile. Man kan freylich auch ſeine Kraͤffte lange erhalten. Wer
Zeit hat, und kan immer baden, wie die Tuͤrcken, der wird agiliora
membra
behalten, von dieſer materie werde noch etwas in die Gundl.
drucken laſſen. Ein jeder hat von jeden temperament etwas, aber
unum præponderat, welches aber nicht nach der quantitate, ſondern nach
der vi, nach der qualitate muß betrachtet werden. Wenn einer will
das temperament eines Menſchen erkennen, ſo kan es nicht auf einmahl
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zeigen ſich anfangs auf der ſchoͤnen Seite, ſie affectiren: affectatio kan

lange
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[236/0256] Cap. V. De prudentia converſation ſind ſie doch nichts nuͤtze, ſie ſind Zaͤncker, verdrießliche Leu- te, und wenn ſie gleich mit einem gut ſind, ſo verderben ſie es doch gleich wieder. Einem groſſen Herrn iſt es ein groſſes Ungluͤck, wenn er einen ſolchen hat, und muß er denſelben entweder caſſiren, oder tole- riren cum dedecore. Ein Herr muß nicht alleine ſehen, an quis habeat ſcientiam, ſondern er braucht fideles, daher muß er die mores, conduite, &c. betrachten. Scientia wird præſumirt. Wer einen Leib-Medicum abgeben will, muß freylich ſcientiam haben, darneben aber ſiehet der Herr, ob er nicht ein Gifft-Miſcher, indem man viele exempla hat, daß groſſe Herren durch die Medicos umgebracht worden. Man hat ſehr viel von der doctrina de temperamentis excoliret, und diejenigen, ſo die- ſelbe verwerffen, reden contra judicium totius orbis. Das clima macht corpora diverſa, und ſagt auch Tacitus in ſeinem Agricola, daß das cli- ma vielen Uuterſcheid mache. Wenn wir auch die teſtimonia veterum nicht haͤtten, ſo koͤnnen wir uns doch leicht aus der experientia uͤberfuͤh- ren. Das clima und die alimenta aͤndern uns am meiſten, an unſern Leibe wird immer etwas zugeſetzet. Drum hat VVeigel geſagt, ein Menſch ſey nicht der, ſo er vor ſechs Jahren war, die prima ſtamina bleiben wohl, aber das Ubrige veraͤndert ſich alle. Das Gebluͤth, ſo ich vor zwantzig Jahren gehabt, iſt jetzo nicht mehr da. Radix bleibet freylich ſitzen, und ſo iſt es, wie mit denen Wein-Reben, ſo aus Teutſch- land nach Spanien gebracht werden, davon hat der Wein eine Saͤure und Suͤſſe, die Saͤure hat er aus Teutſchland behalten, deßwegen iſt er ſo angenehm. Gewiß iſt es alſo, daß die Seele ſich nach denen motibus corporeis richtet, imitatur motus corporeos, und auf die letzte bekommt ſie einen habitum. Daher ſagt auch Lock in ſeinem Tractat de intellectu humano, gebet mir neu Gebluͤth, neue Sehnen, ſo will ich koͤnnen voltigiren. Wir changiren uns auch nach unſern Alter, vor die- ſem habe ich koͤnnen uͤber ein Pferd weg ſpringen, welches jetzo ſchon nicht mehr angehet. Die Saͤffte trocknen ein, die Fuͤſſe ſind nicht mehr ſo agile. Man kan freylich auch ſeine Kraͤffte lange erhalten. Wer Zeit hat, und kan immer baden, wie die Tuͤrcken, der wird agiliora membra behalten, von dieſer materie werde noch etwas in die Gundl. drucken laſſen. Ein jeder hat von jeden temperament etwas, aber unum præponderat, welches aber nicht nach der quantitate, ſondern nach der vi, nach der qualitate muß betrachtet werden. Wenn einer will das temperament eines Menſchen erkennen, ſo kan es nicht auf einmahl geſchehen, ſondern man muß es machen, wie der Richelieu. Die Leute zeigen ſich anfangs auf der ſchoͤnen Seite, ſie affectiren: affectatio kan lange

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/256>, abgerufen am 24.11.2024.