Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Cap. V. De prudentia nöthig Advocaten zu halten. Weil wir sie aber jetzt nicht entrathen kön-nen, so muß man dieselbe suchen zu temperiren. Ehe man bey denen Römern Advocaten hatte, so gieng man zu denen vornehmen Leuten, wenn einer ein dubium hatte. Die patres nobiles haben sichs vor eine Ehre gehalten, wenn sie viele zu ihren Clienten gehabt. Und wenn sich keine maliz, kein interesse bey denen patriciis eingefunden, so würde es auch so geblieben seyn, aber so verursachte das interesse, daß der peuple anfieng zu tumultuiren. Ein jeder wird ja selbst seine animi sensa können vorbringen, was braucht man eben Advocaten. Kan einer nicht alles so accurat sagen, so kan ihm ja der Richter fragen. Wenn ich absolute Gewalt haben sollte, einen proceß zu dirigiren wie ich wollte, so wollte ich alle processe bald ausmachen: denn man könnte nur die Leute fragen, wenn sie sich nicht gleich helffen könnten; da sind aber so viele praesidia juris, welche die Partheyen haben. Man muß nicht dencken, daß die Pro- ceß-Ordnung allein daran schuld, und hilfft es nicht alleine, wenn man die Proceß-Ordnung ändert, die leges müssen geändert werden, die vie- len effugia. e. g. Es soll ein Kerl dem andern Geld leihen, er trauet ihm nicht, da stellt er ihm einen Bürgen, er denckt, nun sey er sicher; wie er das Geld von dem Bürgeu haben will, so opponiret derselbe ex- ceptionem excussionis. Die Teutschen sagten, den Bürgen muß man würgen, aber die Römer haben das beneficium excussionis erst recen- tiori aetate sub Imperatoribus eingeführet, und sagten, der Bürge wäre nur in subsidium obligiret. Das währet nun zehn, zwantzig Jahr, und sagen sie: excutile debitorem usque ad peram & saccum, kan der nicht bezahlen, alsdenn sollte erst der Bürge können belanget werden. Das sind contradictoriae leges, wenn man sagt, der Proceß solle abgekürtzet werden, und man verpachtet die justiz, verkaufft die Aemter, und der Kerl hat so viele exceptiones. Wenn man alle Handschrifften ließ gel- ten wie Wechsel, so würde man viele processe abkürtzen, da würden sie schon Anstalt machen eher zu bezahlen; denn es will keiner gerne ins Gefängniß gehen, oder sein Vaterland verlassen. Dicis: Mancher kan nicht reden, er muß einen Advocaten haben? Respond. Es sind wenig Leute in der Welt, so nicht können reden, warum soll man andere im- mer lassen reden, welche nur Geld schneiden? Kan nicht der Richter fra- gen? Das thut man im Reich, da nicht der zwantzigste Theil soviel Processe als hier zu Lande. Es ist da ein Schimpf, wenn einer verkla- get wird. Wo man eine Republic anfängt, da ist gut, daß man keine Advocaten läst dahin kommen. Daher, als die Spanier Americam unter sich gebracht, so haben sie auch keine Advocaten dahin gelassen, und
Cap. V. De prudentia noͤthig Advocaten zu halten. Weil wir ſie aber jetzt nicht entrathen koͤn-nen, ſo muß man dieſelbe ſuchen zu temperiren. Ehe man bey denen Roͤmern Advocaten hatte, ſo gieng man zu denen vornehmen Leuten, wenn einer ein dubium hatte. Die patres nobiles haben ſichs vor eine Ehre gehalten, wenn ſie viele zu ihren Clienten gehabt. Und wenn ſich keine maliz, kein intereſſe bey denen patriciis eingefunden, ſo wuͤrde es auch ſo geblieben ſeyn, aber ſo verurſachte das intereſſe, daß der peuple anfieng zu tumultuiren. Ein jeder wird ja ſelbſt ſeine animi ſenſa koͤnnen vorbringen, was braucht man eben Advocaten. Kan einer nicht alles ſo accurat ſagen, ſo kan ihm ja der Richter fragen. Wenn ich abſolute Gewalt haben ſollte, einen proceß zu dirigiren wie ich wollte, ſo wollte ich alle proceſſe bald ausmachen: denn man koͤnnte nur die Leute fragen, wenn ſie ſich nicht gleich helffen koͤnnten; da ſind aber ſo viele præſidia juris, welche die Partheyen haben. Man muß nicht dencken, daß die Pro- ceß-Ordnung allein daran ſchuld, und hilfft es nicht alleine, wenn man die Proceß-Ordnung aͤndert, die leges muͤſſen geaͤndert werden, die vie- len effugia. e. g. Es ſoll ein Kerl dem andern Geld leihen, er trauet ihm nicht, da ſtellt er ihm einen Buͤrgen, er denckt, nun ſey er ſicher; wie er das Geld von dem Buͤrgeu haben will, ſo opponiret derſelbe ex- ceptionem excuſſionis. Die Teutſchen ſagten, den Buͤrgen muß man wuͤrgen, aber die Roͤmer haben das beneficium excuſſionis erſt recen- tiori ætate ſub Imperatoribus eingefuͤhret, und ſagten, der Buͤrge waͤre nur in ſubſidium obligiret. Das waͤhret nun zehn, zwantzig Jahr, und ſagen ſie: excutile debitorem usque ad peram & ſaccum, kan der nicht bezahlen, alsdenn ſollte erſt der Buͤrge koͤnnen belanget werden. Das ſind contradictoriæ leges, wenn man ſagt, der Proceß ſolle abgekuͤrtzet werden, und man verpachtet die juſtiz, verkaufft die Aemter, und der Kerl hat ſo viele exceptiones. Wenn man alle Handſchrifften ließ gel- ten wie Wechſel, ſo wuͤrde man viele proceſſe abkuͤrtzen, da wuͤrden ſie ſchon Anſtalt machen eher zu bezahlen; denn es will keiner gerne ins Gefaͤngniß gehen, oder ſein Vaterland verlaſſen. Dicis: Mancher kan nicht reden, er muß einen Advocaten haben? Reſpond. Es ſind wenig Leute in der Welt, ſo nicht koͤnnen reden, warum ſoll man andere im- mer laſſen reden, welche nur Geld ſchneiden? Kan nicht der Richter fra- gen? Das thut man im Reich, da nicht der zwantzigſte Theil ſoviel Proceſſe als hier zu Lande. Es iſt da ein Schimpf, wenn einer verkla- get wird. Wo man eine Republic anfaͤngt, da iſt gut, daß man keine Advocaten laͤſt dahin kommen. Daher, als die Spanier Americam unter ſich gebracht, ſo haben ſie auch keine Advocaten dahin gelaſſen, und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0218" n="198"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">Cap.</hi></hi> V. De prudentia</hi></fw><lb/> noͤthig <hi rendition="#aq">Advoca</hi>ten zu halten. Weil wir ſie aber jetzt nicht entrathen koͤn-<lb/> nen, ſo muß man dieſelbe ſuchen zu <hi rendition="#aq">temperi</hi>ren. Ehe man bey denen<lb/> Roͤmern <hi rendition="#aq">Advocat</hi>en hatte, ſo gieng man zu denen vornehmen Leuten,<lb/> wenn einer ein <hi rendition="#aq">dubium</hi> hatte. Die <hi rendition="#aq">patres nobiles</hi> haben ſichs vor eine<lb/> Ehre gehalten, wenn ſie viele zu ihren <hi rendition="#aq">Client</hi>en gehabt. Und wenn ſich<lb/> keine <hi rendition="#aq">maliz,</hi> kein <hi rendition="#aq">intereſſe</hi> bey denen <hi rendition="#aq">patriciis</hi> eingefunden, ſo wuͤrde es auch<lb/> ſo geblieben ſeyn, aber ſo verurſachte das <hi rendition="#aq">intereſſe,</hi> daß der <hi rendition="#aq">peuple</hi> anfieng zu<lb/><hi rendition="#aq">tumultui</hi>ren. Ein jeder wird ja ſelbſt ſeine <hi rendition="#aq">animi ſenſa</hi> koͤnnen vorbringen,<lb/> was braucht man eben <hi rendition="#aq">Advoca</hi>ten. Kan einer nicht alles ſo <hi rendition="#aq">accurat</hi><lb/> ſagen, ſo kan ihm ja der Richter fragen. Wenn ich <hi rendition="#aq">abſolute</hi> Gewalt<lb/> haben ſollte, einen <hi rendition="#aq">proceß</hi> zu <hi rendition="#aq">dirigi</hi>ren wie ich wollte, ſo wollte ich alle<lb/><hi rendition="#aq">proceſſe</hi> bald ausmachen: denn man koͤnnte nur die Leute fragen, wenn<lb/> ſie ſich nicht gleich helffen koͤnnten; da ſind aber ſo viele <hi rendition="#aq">præſidia juris,</hi><lb/> welche die Partheyen haben. Man muß nicht dencken, daß die Pro-<lb/> ceß-Ordnung allein daran ſchuld, und hilfft es nicht alleine, wenn man<lb/> die Proceß-Ordnung aͤndert, die <hi rendition="#aq">leges</hi> muͤſſen geaͤndert werden, die vie-<lb/> len <hi rendition="#aq">effugia. e. g.</hi> Es ſoll ein Kerl dem andern Geld leihen, er trauet<lb/> ihm nicht, da ſtellt er ihm einen Buͤrgen, er denckt, nun ſey er ſicher;<lb/> wie er das Geld von dem Buͤrgeu haben will, ſo <hi rendition="#aq">opponi</hi>ret derſelbe <hi rendition="#aq">ex-<lb/> ceptionem excuſſionis</hi>. Die Teutſchen ſagten, den Buͤrgen muß man<lb/> wuͤrgen, aber die Roͤmer haben das <hi rendition="#aq">beneficium excuſſionis</hi> erſt <hi rendition="#aq">recen-<lb/> tiori ætate ſub Imperatoribus</hi> eingefuͤhret, und ſagten, der Buͤrge waͤre<lb/> nur <hi rendition="#aq">in ſubſidium obligi</hi>ret. Das waͤhret nun zehn, zwantzig Jahr, und<lb/> ſagen ſie: <hi rendition="#aq">excutile debitorem usque ad peram & ſaccum,</hi> kan der nicht<lb/> bezahlen, alsdenn ſollte erſt der Buͤrge koͤnnen belanget werden. Das<lb/> ſind <hi rendition="#aq">contradictoriæ leges,</hi> wenn man ſagt, der <hi rendition="#aq">Proceß</hi> ſolle abgekuͤrtzet<lb/> werden, und man verpachtet die <hi rendition="#aq">juſtiz,</hi> verkaufft die Aemter, und der<lb/> Kerl hat ſo viele <hi rendition="#aq">exceptiones</hi>. Wenn man alle Handſchrifften ließ gel-<lb/> ten wie Wechſel, ſo wuͤrde man viele <hi rendition="#aq">proceſſe</hi> abkuͤrtzen, da wuͤrden ſie<lb/> ſchon Anſtalt machen eher zu bezahlen; denn es will keiner gerne ins<lb/> Gefaͤngniß gehen, oder ſein Vaterland verlaſſen. <hi rendition="#aq">Dicis</hi>: Mancher kan<lb/> nicht reden, er muß einen <hi rendition="#aq">Advoca</hi>ten haben? <hi rendition="#aq">Reſpond</hi>. Es ſind wenig<lb/> Leute in der Welt, ſo nicht koͤnnen reden, warum ſoll man andere im-<lb/> mer laſſen reden, welche nur Geld ſchneiden? Kan nicht der Richter fra-<lb/> gen? Das thut man im Reich, da nicht der zwantzigſte Theil ſoviel<lb/><hi rendition="#aq">Proceſſe</hi> als hier zu Lande. Es iſt da ein Schimpf, wenn einer verkla-<lb/> get wird. Wo man eine Republic anfaͤngt, da iſt gut, daß man keine<lb/><hi rendition="#aq">Advoca</hi>ten laͤſt dahin kommen. Daher, als die Spanier <hi rendition="#aq">Americam</hi><lb/> unter ſich gebracht, ſo haben ſie auch keine <hi rendition="#aq">Advoca</hi>ten dahin gelaſſen,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [198/0218]
Cap. V. De prudentia
noͤthig Advocaten zu halten. Weil wir ſie aber jetzt nicht entrathen koͤn-
nen, ſo muß man dieſelbe ſuchen zu temperiren. Ehe man bey denen
Roͤmern Advocaten hatte, ſo gieng man zu denen vornehmen Leuten,
wenn einer ein dubium hatte. Die patres nobiles haben ſichs vor eine
Ehre gehalten, wenn ſie viele zu ihren Clienten gehabt. Und wenn ſich
keine maliz, kein intereſſe bey denen patriciis eingefunden, ſo wuͤrde es auch
ſo geblieben ſeyn, aber ſo verurſachte das intereſſe, daß der peuple anfieng zu
tumultuiren. Ein jeder wird ja ſelbſt ſeine animi ſenſa koͤnnen vorbringen,
was braucht man eben Advocaten. Kan einer nicht alles ſo accurat
ſagen, ſo kan ihm ja der Richter fragen. Wenn ich abſolute Gewalt
haben ſollte, einen proceß zu dirigiren wie ich wollte, ſo wollte ich alle
proceſſe bald ausmachen: denn man koͤnnte nur die Leute fragen, wenn
ſie ſich nicht gleich helffen koͤnnten; da ſind aber ſo viele præſidia juris,
welche die Partheyen haben. Man muß nicht dencken, daß die Pro-
ceß-Ordnung allein daran ſchuld, und hilfft es nicht alleine, wenn man
die Proceß-Ordnung aͤndert, die leges muͤſſen geaͤndert werden, die vie-
len effugia. e. g. Es ſoll ein Kerl dem andern Geld leihen, er trauet
ihm nicht, da ſtellt er ihm einen Buͤrgen, er denckt, nun ſey er ſicher;
wie er das Geld von dem Buͤrgeu haben will, ſo opponiret derſelbe ex-
ceptionem excuſſionis. Die Teutſchen ſagten, den Buͤrgen muß man
wuͤrgen, aber die Roͤmer haben das beneficium excuſſionis erſt recen-
tiori ætate ſub Imperatoribus eingefuͤhret, und ſagten, der Buͤrge waͤre
nur in ſubſidium obligiret. Das waͤhret nun zehn, zwantzig Jahr, und
ſagen ſie: excutile debitorem usque ad peram & ſaccum, kan der nicht
bezahlen, alsdenn ſollte erſt der Buͤrge koͤnnen belanget werden. Das
ſind contradictoriæ leges, wenn man ſagt, der Proceß ſolle abgekuͤrtzet
werden, und man verpachtet die juſtiz, verkaufft die Aemter, und der
Kerl hat ſo viele exceptiones. Wenn man alle Handſchrifften ließ gel-
ten wie Wechſel, ſo wuͤrde man viele proceſſe abkuͤrtzen, da wuͤrden ſie
ſchon Anſtalt machen eher zu bezahlen; denn es will keiner gerne ins
Gefaͤngniß gehen, oder ſein Vaterland verlaſſen. Dicis: Mancher kan
nicht reden, er muß einen Advocaten haben? Reſpond. Es ſind wenig
Leute in der Welt, ſo nicht koͤnnen reden, warum ſoll man andere im-
mer laſſen reden, welche nur Geld ſchneiden? Kan nicht der Richter fra-
gen? Das thut man im Reich, da nicht der zwantzigſte Theil ſoviel
Proceſſe als hier zu Lande. Es iſt da ein Schimpf, wenn einer verkla-
get wird. Wo man eine Republic anfaͤngt, da iſt gut, daß man keine
Advocaten laͤſt dahin kommen. Daher, als die Spanier Americam
unter ſich gebracht, ſo haben ſie auch keine Advocaten dahin gelaſſen,
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |