Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.De Mediis statum conservandi. Kleid getragen, und in Winter setzte er eine grosse Mütze auf die peru-que; daher, wenn er nach Nürnberg kam, so lieffen alle Jungen hinter ihm drein. Wer klug ist, machet sich eben nicht viel hieraus, aber la canaille raisonniret hier nicht. Weil nun die prudentia nicht sine judi- cio, so wird man sehen, daß man bey der prudenz acht geben muß auf den Stand, Alter, locum, sexum. Uberall habe ich darnach mein de- cens einzurichten, wer redet als wie ein ministre, und ist keiner, der kömmt in ein ander Fach, und machet sich ridicule; Es ist nicht anders, als wenn ein Bauer sich will aufführen, wie ein Doctor, oder wie ein Edelmann. Dieses decens ist also ein affectus prudentiae, quo abstergimus taedium, ut alios possimus lucrifacere, wenn wir imitiren actus indifferentes. Da- bey siehet man am meisten auf dignitatem aetatem. Wenn ein junger Mensch thut, wie ein alter, so sagt man zum Spott, er thut, als wenn er schon alt wäre, und wenn einer schon alt ist, und er ist verliebt, so lachet man ihm aus. Wenn ein junger Mensch einmahl ein Liebes- Finckgen bekommt, den wird es nicht so verdacht, als wenn ein alter Ziegenbock Lust dazu bekommt. Man muß es so einrichten ut appateat virtus. Virtus erscheinet, wenn man siehet, es thut einer alles das, ut alios lucri faciat. Paulus hat selbst das decorum in acht genommen, er hat nihil peregrini affectiret. Ich muß solche Dinge imitiren, welche nicht vitu perabiles. Daher wenn e. g. das Vollsauffen mode, so sauf- fe ich mich nicht mit voll, wollen Leute einem forciren zum Sauffen, so kan man wohl etwas mit trincken; hernach aber muß man simuliren, daß es etwa seiner Gesundheit schädlich. Aber keine närrische raisons muß einer allegiren, wenn er nicht trincken will, als wie einer seines Kö- niges Gesundheit nicht trincken wollen, weil es wider die Reichs-Abschie- de, weßwegen man ihn sehr railliret, und auch Verse darauf gemacht. Und also wenn man exterieur recommendiret, so supponiret man auch ein interieur, sonst kommt kein recht decorum heraus. Bisweilen ist man necessitiret, einen actum mit zu machen, der einen selbst mißfället, e. g. es ist eine masquerade, da schadet es nicht, wenn ich es gleich mit thue. Es ist eben, als wenn ein grosser Herr spielte, er stünde auf, und sagte, ich sollte eine Zeitlang vor ihm spielen, wer wollte deßwegen sagen, ich wäre ein Spieler, und hätte eine grosse inclination zum Spiele, da ich doch froh bin, wenn ich abgelöset werde. Daher ist kein Zweiffel, daß ein Hofmann, der a la Cour leben muß, doch das decens observi- ren kan, & a vitiis immunis erit, wenn er klug ist. Wenn ich einen actum vitiosum sehe, kan ich ja sehen, daß ich Uhrlaub bekomme, und kan sagen, ich wäre unpäßlich. Ich thue dieses ex necessitate. Deßwe- gen Q 3
De Mediis ſtatum conſervandi. Kleid getragen, und in Winter ſetzte er eine groſſe Muͤtze auf die peru-que; daher, wenn er nach Nuͤrnberg kam, ſo lieffen alle Jungen hinter ihm drein. Wer klug iſt, machet ſich eben nicht viel hieraus, aber la canaille raiſonniret hier nicht. Weil nun die prudentia nicht ſine judi- cio, ſo wird man ſehen, daß man bey der prudenz acht geben muß auf den Stand, Alter, locum, ſexum. Uberall habe ich darnach mein de- cens einzurichten, wer redet als wie ein miniſtre, und iſt keiner, der koͤmmt in ein ander Fach, und machet ſich ridicule; Es iſt nicht anders, als wenn ein Bauer ſich will auffuͤhren, wie ein Doctor, oder wie ein Edelmann. Dieſes decens iſt alſo ein affectus prudentiæ, quo abſtergimus tædium, ut alios poſſimus lucrifacere, wenn wir imitiren actus indifferentes. Da- bey ſiehet man am meiſten auf dignitatem ætatem. Wenn ein junger Menſch thut, wie ein alter, ſo ſagt man zum Spott, er thut, als wenn er ſchon alt waͤre, und wenn einer ſchon alt iſt, und er iſt verliebt, ſo lachet man ihm aus. Wenn ein junger Menſch einmahl ein Liebes- Finckgen bekommt, den wird es nicht ſo verdacht, als wenn ein alter Ziegenbock Luſt dazu bekommt. Man muß es ſo einrichten ut appateat virtus. Virtus erſcheinet, wenn man ſiehet, es thut einer alles das, ut alios lucri faciat. Paulus hat ſelbſt das decorum in acht genommen, er hat nihil peregrini affectiret. Ich muß ſolche Dinge imitiren, welche nicht vitu perabiles. Daher wenn e. g. das Vollſauffen mode, ſo ſauf- fe ich mich nicht mit voll, wollen Leute einem forciren zum Sauffen, ſo kan man wohl etwas mit trincken; hernach aber muß man ſimuliren, daß es etwa ſeiner Geſundheit ſchaͤdlich. Aber keine naͤrriſche raiſons muß einer allegiren, wenn er nicht trincken will, als wie einer ſeines Koͤ- niges Geſundheit nicht trincken wollen, weil es wider die Reichs-Abſchie- de, weßwegen man ihn ſehr railliret, und auch Verſe darauf gemacht. Und alſo wenn man exterieur recommendiret, ſo ſupponiret man auch ein interieur, ſonſt kommt kein recht decorum heraus. Bisweilen iſt man neceſſitiret, einen actum mit zu machen, der einen ſelbſt mißfaͤllet, e. g. es iſt eine maſquerade, da ſchadet es nicht, wenn ich es gleich mit thue. Es iſt eben, als wenn ein groſſer Herr ſpielte, er ſtuͤnde auf, und ſagte, ich ſollte eine Zeitlang vor ihm ſpielen, wer wollte deßwegen ſagen, ich waͤre ein Spieler, und haͤtte eine groſſe inclination zum Spiele, da ich doch froh bin, wenn ich abgeloͤſet werde. Daher iſt kein Zweiffel, daß ein Hofmann, der a la Cour leben muß, doch das decens obſervi- ren kan, & a vitiis immunis erit, wenn er klug iſt. Wenn ich einen actum vitioſum ſehe, kan ich ja ſehen, daß ich Uhrlaub bekomme, und kan ſagen, ich waͤre unpaͤßlich. Ich thue dieſes ex neceſſitate. Deßwe- gen Q 3
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De Mediis ſtatum conſervandi.
Kleid getragen, und in Winter ſetzte er eine groſſe Muͤtze auf die peru-
que; daher, wenn er nach Nuͤrnberg kam, ſo lieffen alle Jungen hinter
ihm drein. Wer klug iſt, machet ſich eben nicht viel hieraus, aber la
canaille raiſonniret hier nicht. Weil nun die prudentia nicht ſine judi-
cio, ſo wird man ſehen, daß man bey der prudenz acht geben muß auf
den Stand, Alter, locum, ſexum. Uberall habe ich darnach mein de-
cens einzurichten, wer redet als wie ein miniſtre, und iſt keiner, der koͤmmt
in ein ander Fach, und machet ſich ridicule; Es iſt nicht anders, als wenn
ein Bauer ſich will auffuͤhren, wie ein Doctor, oder wie ein Edelmann.
Dieſes decens iſt alſo ein affectus prudentiæ, quo abſtergimus tædium,
ut alios poſſimus lucrifacere, wenn wir imitiren actus indifferentes. Da-
bey ſiehet man am meiſten auf dignitatem ætatem. Wenn ein junger
Menſch thut, wie ein alter, ſo ſagt man zum Spott, er thut, als wenn
er ſchon alt waͤre, und wenn einer ſchon alt iſt, und er iſt verliebt, ſo
lachet man ihm aus. Wenn ein junger Menſch einmahl ein Liebes-
Finckgen bekommt, den wird es nicht ſo verdacht, als wenn ein alter
Ziegenbock Luſt dazu bekommt. Man muß es ſo einrichten ut appateat
virtus. Virtus erſcheinet, wenn man ſiehet, es thut einer alles das, ut
alios lucri faciat. Paulus hat ſelbſt das decorum in acht genommen, er
hat nihil peregrini affectiret. Ich muß ſolche Dinge imitiren, welche
nicht vitu perabiles. Daher wenn e. g. das Vollſauffen mode, ſo ſauf-
fe ich mich nicht mit voll, wollen Leute einem forciren zum Sauffen, ſo
kan man wohl etwas mit trincken; hernach aber muß man ſimuliren,
daß es etwa ſeiner Geſundheit ſchaͤdlich. Aber keine naͤrriſche raiſons
muß einer allegiren, wenn er nicht trincken will, als wie einer ſeines Koͤ-
niges Geſundheit nicht trincken wollen, weil es wider die Reichs-Abſchie-
de, weßwegen man ihn ſehr railliret, und auch Verſe darauf gemacht.
Und alſo wenn man exterieur recommendiret, ſo ſupponiret man auch
ein interieur, ſonſt kommt kein recht decorum heraus. Bisweilen iſt
man neceſſitiret, einen actum mit zu machen, der einen ſelbſt mißfaͤllet,
e. g. es iſt eine maſquerade, da ſchadet es nicht, wenn ich es gleich mit
thue. Es iſt eben, als wenn ein groſſer Herr ſpielte, er ſtuͤnde auf, und
ſagte, ich ſollte eine Zeitlang vor ihm ſpielen, wer wollte deßwegen ſagen,
ich waͤre ein Spieler, und haͤtte eine groſſe inclination zum Spiele, da
ich doch froh bin, wenn ich abgeloͤſet werde. Daher iſt kein Zweiffel,
daß ein Hofmann, der a la Cour leben muß, doch das decens obſervi-
ren kan, & a vitiis immunis erit, wenn er klug iſt. Wenn ich einen
actum vitioſum ſehe, kan ich ja ſehen, daß ich Uhrlaub bekomme, und
kan ſagen, ich waͤre unpaͤßlich. Ich thue dieſes ex neceſſitate. Deßwe-
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