Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Cap. V. der Hand berühre. Es verdrießt einen sehr, wenn der andere den Huthsitzen läßt. Je tiefer einer den Huth abziehet, je angenehmer ist es dem andern; daher sagt man auch: pileo parantur amici. Das bleibt aber doch eine indifferente Sache. Gesetzt nun, ich wäre ein Teutscher, kä- me aus Constantinopel zurück, und wollte mich so aufführen, wie es die Türcken thun, wenn die Leute dächten, ich nähme den Huth ab, so griffe ich nur dran, setzte man mich zur Rede, warum ich den Huth nicht gantz abzöge, so antwortete ich, ich machte es Türckisch, da würde mich ein je- der auslachen. Also wird keiner sagen non dari indifferentes actus. Sie bleiben indifferent; wenn ich aber solche brauche, so habe ich einen guten Endzweck darunter, nemlich, damit die Leute nicht einen schlechten concept von mir bekommen, wie würde es nicht lassen, wenn ich ange- zogen käme mit einer grossen Mütze, mit einem grossen Säbel, mit al- bernen Strümpfen, einen Mausefarbenen Rock und Zeißig-grünen Fut- ter; ein jeder würde mich ansehen und auslachen. Daher ist es auch was albernes, wenn Cavalliers aus Franckreich kommen, alles wollen nachmachen, wie sie es dort gesehen. In Franckreich, wenn man bey Dames ist, setzet man den Huth auf; Hingegen wenn es einer in Teutsch- land thun wollte, würden sie ihn alle ansehen, und wohl fragen: Ob es ihm nicht wohl wäre? Sagte er: Er lebte nach der Frantzösischen mode, so würden sie dencken, der Kerl sey nicht klug. Man kan also viel tae- diosa an sich haben, welche an andern Orten auch taediös. Alles resol- viret sich dahin, wer will decens seyn, muß taediosa removiren; daher sagt man offt von einem: Bey Hofe könne er seine fortun nicht machen, weil er das decens nicht habe, er stolpert, kan nicht recht gehen, hat einen Ka- tzen-Buckel, kan keine reverence machen, er ist nicht so erzogen. De- corum malum ist in der That kein decorum: denn vitium ist nicht de- cens. Wenn einer gleich was gutes an sich hat, er ist aber grob, so has- set man ihn, und das Gute, das er hat, ist verborgen. Die Tugend ist freylich decens, und virtus indecens ist keine Tugend; nur muß man die mores inconditas weglassen, ut virtus in oculos incurrat; ich muß mich nach andern accommodiren, e. g. es ist indifferent, ob ich an meiner paruque eine grosse oder keine fronte trage, aber wenn alle kleine fron- ten tragen, so muß ich mich accommodiren; damit ich mich nicht ridi- cule mache. Man gehet fast lieber in der Welt mit einem Menschen um der lasterhafft ist, wenn er nur noch einiges exterieur hat, als mit ei- nem, der sich ridicule machet, welchen die Jungen nachlauffen. Ich habe einen Professorem in Altorff gekennet, welcher in Spanien gewe- sen, und sich in ihre moden so verliebt, daß er beständig ein Spanisch Kleid
Cap. V. der Hand beruͤhre. Es verdrießt einen ſehr, wenn der andere den Huthſitzen laͤßt. Je tiefer einer den Huth abziehet, je angenehmer iſt es dem andern; daher ſagt man auch: pileo parantur amici. Das bleibt aber doch eine indifferente Sache. Geſetzt nun, ich waͤre ein Teutſcher, kaͤ- me aus Conſtantinopel zuruͤck, und wollte mich ſo auffuͤhren, wie es die Tuͤrcken thun, wenn die Leute daͤchten, ich naͤhme den Huth ab, ſo griffe ich nur dran, ſetzte man mich zur Rede, warum ich den Huth nicht gantz abzoͤge, ſo antwortete ich, ich machte es Tuͤrckiſch, da wuͤrde mich ein je- der auslachen. Alſo wird keiner ſagen non dari indifferentes actus. Sie bleiben indifferent; wenn ich aber ſolche brauche, ſo habe ich einen guten Endzweck darunter, nemlich, damit die Leute nicht einen ſchlechten concept von mir bekommen, wie wuͤrde es nicht laſſen, wenn ich ange- zogen kaͤme mit einer groſſen Muͤtze, mit einem groſſen Saͤbel, mit al- bernen Struͤmpfen, einen Mauſefarbenen Rock und Zeißig-gruͤnen Fut- ter; ein jeder wuͤrde mich anſehen und auslachen. Daher iſt es auch was albernes, wenn Cavalliers aus Franckreich kommen, alles wollen nachmachen, wie ſie es dort geſehen. In Franckreich, wenn man bey Dames iſt, ſetzet man den Huth auf; Hingegen wenn es einer in Teutſch- land thun wollte, wuͤrden ſie ihn alle anſehen, und wohl fragen: Ob es ihm nicht wohl waͤre? Sagte er: Er lebte nach der Frantzoͤſiſchen mode, ſo wuͤrden ſie dencken, der Kerl ſey nicht klug. Man kan alſo viel tæ- dioſa an ſich haben, welche an andern Orten auch tædiös. Alles reſol- viret ſich dahin, wer will decens ſeyn, muß tædioſa removiren; daher ſagt man offt von einem: Bey Hofe koͤnne er ſeine fortun nicht machen, weil er das decens nicht habe, er ſtolpert, kan nicht recht gehen, hat einen Ka- tzen-Buckel, kan keine reverence machen, er iſt nicht ſo erzogen. De- corum malum iſt in der That kein decorum: denn vitium iſt nicht de- cens. Wenn einer gleich was gutes an ſich hat, er iſt aber grob, ſo haſ- ſet man ihn, und das Gute, das er hat, iſt verborgen. Die Tugend iſt freylich decens, und virtus indecens iſt keine Tugend; nur muß man die mores inconditas weglaſſen, ut virtus in oculos incurrat; ich muß mich nach andern accommodiren, e. g. es iſt indifferent, ob ich an meiner paruque eine groſſe oder keine fronte trage, aber wenn alle kleine fron- ten tragen, ſo muß ich mich accommodiren; damit ich mich nicht ridi- cule mache. Man gehet faſt lieber in der Welt mit einem Menſchen um der laſterhafft iſt, wenn er nur noch einiges exterieur hat, als mit ei- nem, der ſich ridicule machet, welchen die Jungen nachlauffen. Ich habe einen Profeſſorem in Altorff gekennet, welcher in Spanien gewe- ſen, und ſich in ihre moden ſo verliebt, daß er beſtaͤndig ein Spaniſch Kleid
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Cap. V.
der Hand beruͤhre. Es verdrießt einen ſehr, wenn der andere den Huth
ſitzen laͤßt. Je tiefer einer den Huth abziehet, je angenehmer iſt es dem
andern; daher ſagt man auch: pileo parantur amici. Das bleibt aber
doch eine indifferente Sache. Geſetzt nun, ich waͤre ein Teutſcher, kaͤ-
me aus Conſtantinopel zuruͤck, und wollte mich ſo auffuͤhren, wie es die
Tuͤrcken thun, wenn die Leute daͤchten, ich naͤhme den Huth ab, ſo griffe
ich nur dran, ſetzte man mich zur Rede, warum ich den Huth nicht gantz
abzoͤge, ſo antwortete ich, ich machte es Tuͤrckiſch, da wuͤrde mich ein je-
der auslachen. Alſo wird keiner ſagen non dari indifferentes actus.
Sie bleiben indifferent; wenn ich aber ſolche brauche, ſo habe ich einen
guten Endzweck darunter, nemlich, damit die Leute nicht einen ſchlechten
concept von mir bekommen, wie wuͤrde es nicht laſſen, wenn ich ange-
zogen kaͤme mit einer groſſen Muͤtze, mit einem groſſen Saͤbel, mit al-
bernen Struͤmpfen, einen Mauſefarbenen Rock und Zeißig-gruͤnen Fut-
ter; ein jeder wuͤrde mich anſehen und auslachen. Daher iſt es auch
was albernes, wenn Cavalliers aus Franckreich kommen, alles wollen
nachmachen, wie ſie es dort geſehen. In Franckreich, wenn man bey
Dames iſt, ſetzet man den Huth auf; Hingegen wenn es einer in Teutſch-
land thun wollte, wuͤrden ſie ihn alle anſehen, und wohl fragen: Ob es
ihm nicht wohl waͤre? Sagte er: Er lebte nach der Frantzoͤſiſchen mode,
ſo wuͤrden ſie dencken, der Kerl ſey nicht klug. Man kan alſo viel tæ-
dioſa an ſich haben, welche an andern Orten auch tædiös. Alles reſol-
viret ſich dahin, wer will decens ſeyn, muß tædioſa removiren; daher ſagt
man offt von einem: Bey Hofe koͤnne er ſeine fortun nicht machen, weil
er das decens nicht habe, er ſtolpert, kan nicht recht gehen, hat einen Ka-
tzen-Buckel, kan keine reverence machen, er iſt nicht ſo erzogen. De-
corum malum iſt in der That kein decorum: denn vitium iſt nicht de-
cens. Wenn einer gleich was gutes an ſich hat, er iſt aber grob, ſo haſ-
ſet man ihn, und das Gute, das er hat, iſt verborgen. Die Tugend iſt
freylich decens, und virtus indecens iſt keine Tugend; nur muß man die
mores inconditas weglaſſen, ut virtus in oculos incurrat; ich muß mich
nach andern accommodiren, e. g. es iſt indifferent, ob ich an meiner
paruque eine groſſe oder keine fronte trage, aber wenn alle kleine fron-
ten tragen, ſo muß ich mich accommodiren; damit ich mich nicht ridi-
cule mache. Man gehet faſt lieber in der Welt mit einem Menſchen
um der laſterhafft iſt, wenn er nur noch einiges exterieur hat, als mit ei-
nem, der ſich ridicule machet, welchen die Jungen nachlauffen. Ich
habe einen Profeſſorem in Altorff gekennet, welcher in Spanien gewe-
ſen, und ſich in ihre moden ſo verliebt, daß er beſtaͤndig ein Spaniſch
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