Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.Cap. V. Daß es nichtgenug sey ju- ste, honeste a- gere; sondern es muß auch das äusserliche decorum dar- zu kommen? §. 8. Aeusserlich aber ist noch etwas in acht zu nehmen: Denn dere * Er war erst bey dem Louis XIV. Praeceptor, man nahm ihn aber weg, und that
ihn bey des Hertzogs von Orleans des Regenten Vater. Er hatte ein treff- lich jugement, man hat seine opera zusammen gedruckt in Folio, sonst aber hat man auch in Paris eine kleine edition in 15. Bänden edirt; Es ist keine materie, davon man nicht Nachricht darinnen findet, denn er hat eine grosse Belesenheit gehabt. Es ist mein Handbuch, weil ich darinne eine seriem von alten und nenen Dingen finden kan, und kan es einem statt einer kleinen Bi- bliothec dienen. Cap. V. Daß es nichtgenug ſey ju- ſte, honeſte a- gere; ſondern es muß auch das aͤuſſerliche decorum dar- zu kommen? §. 8. Aeuſſerlich aber iſt noch etwas in acht zu nehmen: Denn dere * Er war erſt bey dem Louis XIV. Præceptor, man nahm ihn aber weg, und that
ihn bey des Hertzogs von Orleans des Regenten Vater. Er hatte ein treff- lich jugement, man hat ſeine opera zuſammen gedruckt in Folio, ſonſt aber hat man auch in Paris eine kleine edition in 15. Baͤnden edirt; Es iſt keine materie, davon man nicht Nachricht darinnen findet, denn er hat eine groſſe Beleſenheit gehabt. Es iſt mein Handbuch, weil ich darinne eine ſeriem von alten und nenen Dingen finden kan, und kan es einem ſtatt einer kleinen Bi- bliothec dienen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0140" n="120"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">Cap.</hi></hi> V.</hi> </fw><lb/> <note place="left">Daß es nicht<lb/> genug ſey <hi rendition="#aq">ju-<lb/> ſte, honeſte a-<lb/> gere;</hi> ſondern<lb/> es muß auch<lb/> das aͤuſſerliche<lb/><hi rendition="#aq">decorum</hi> dar-<lb/> zu kommen?</note> <p>§. 8. 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Damit man nun dieſes <hi rendition="#aq">ſen-<lb/> ſibiliter</hi> erkennen moͤge, ſo iſt folgendes Exempel zu mercken: die <hi rendition="#aq">Cynici</hi><lb/> waren Leute, denen man nichts <hi rendition="#aq">reprochi</hi>ren koͤnnen in ihrem Leben, ſie<lb/> thaten nichts boͤſes, <hi rendition="#aq">neminem lædebant, ſuum cuique tribuebant,</hi> ſie nah-<lb/> men die <hi rendition="#aq">obligationes connatas</hi> in acht, lebten <hi rendition="#aq">frugaliter, caſte,</hi> aber ſie<lb/> wurden <hi rendition="#aq">Cynici</hi> deßwegen genennet, weil man ſagte, ſie haͤtten hundiſche<lb/><hi rendition="#aq">mores.</hi> Sie waren zwar tugendhafft, wie man damahls die Tugend<lb/> unter denen Heyden abgemahlet, aber ſie hatten keine <hi rendition="#aq">prudentiam;</hi> kein<lb/><hi rendition="#aq">decorum;</hi> waren <hi rendition="#aq">nulli utiles;</hi> konnten ſich auch keine <hi rendition="#aq">amicos concili</hi>ren.<lb/> Alle haſſeten dieſelben, ſie <hi rendition="#aq">concumbi</hi>rten <hi rendition="#aq">in publico, alvum exonerabunt<lb/> in publico, emittebant urinam in publico. 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Cap. V.
§. 8. Aeuſſerlich aber iſt noch etwas in acht zu nehmen: Denn
wenn du gleich groſſe Tugend haſt, es fehlt dir aber das decens, deco-
rum, ſo iſt es doch nichts. Virtus thut freylich viel, aber ſie hat noch
kein Kleid, damit die virtus wohl ausſehe. Damit man nun dieſes ſen-
ſibiliter erkennen moͤge, ſo iſt folgendes Exempel zu mercken: die Cynici
waren Leute, denen man nichts reprochiren koͤnnen in ihrem Leben, ſie
thaten nichts boͤſes, neminem lædebant, ſuum cuique tribuebant, ſie nah-
men die obligationes connatas in acht, lebten frugaliter, caſte, aber ſie
wurden Cynici deßwegen genennet, weil man ſagte, ſie haͤtten hundiſche
mores. Sie waren zwar tugendhafft, wie man damahls die Tugend
unter denen Heyden abgemahlet, aber ſie hatten keine prudentiam; kein
decorum; waren nulli utiles; konnten ſich auch keine amicos conciliren.
Alle haſſeten dieſelben, ſie concumbirten in publico, alvum exonerabunt
in publico, emittebant urinam in publico. Monſ. de la Mathe le Vayer
hat einen artigen Tractat de la Vertu des Payens geſchrieben. * Darin-
nen hat er gewieſen, was ſie vor ein principium gehabt, ſie ſagten: quic-
quid ſemel licet, ſemper licet, omni loco, omni tempore licet. Nun
iſts erlaubt, concumbere cum conjuge. Ergo kan ich es allezeit thun,
ſemper alvum ex onerare. Das iſt aber das decorum, es giebt einen
Eckel, ein ſcandalum. Die Tugend iſt wohl Tugend, aber ſie muß ſich
auch wohl præſentiren, ut alii alliciantur, hinc neceſſe eſt, ut omne tæ-
dium abſtergas; damit man ſich keine Feinde mache. Das iſt die façon
in der Welt, daß man ſolche Sachen nicht publiquement verrichtet.
Qui coit, der iſt libidinös, das laͤßt er nicht gerne ſehen, und ſchließt ſich
in ſein Kaͤmmerlein, wenn er ſolches thun will. Alvum exonerirt man
nicht publice, weil es faſtidiös, man thut es heimlich, daher hat man die
Oerter auch heimliche Gemaͤcher genennet. Wer nun ſagt: Was frage
ich darnach. Der iſt ein Cynicus, und ſagt ſo viel, licet me omnes ho-
mines odio proſequantur. Wer unter Menſchen iſt, und will nicht ſo
leben wie Menſchen, der muß unter die Thiere gehen. Mit denen im-
perfectionibus ſind auch andere incommoditæten verknuͤpfft, wodurch an-
dere
* Er war erſt bey dem Louis XIV. Præceptor, man nahm ihn aber weg, und that
ihn bey des Hertzogs von Orleans des Regenten Vater. Er hatte ein treff-
lich jugement, man hat ſeine opera zuſammen gedruckt in Folio, ſonſt aber
hat man auch in Paris eine kleine edition in 15. Baͤnden edirt; Es iſt keine
materie, davon man nicht Nachricht darinnen findet, denn er hat eine groſſe
Beleſenheit gehabt. Es iſt mein Handbuch, weil ich darinne eine ſeriem von
alten und nenen Dingen finden kan, und kan es einem ſtatt einer kleinen Bi-
bliothec dienen.
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