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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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De vera cujuslibet status felicitate.
brauchen vieles nothwendig, was andere nicht gebrauchen. Der Seneca
hat in seiner Epist. ad Lucinium eine schöne Pensee, welche uns Gelegen-
heit giebet, die Sache recht zu verstehen. Man muß nicht über den
Bauch so ansehen, quid sit necessarium, utile, commodum, sondern
man muß den Menschen selbst, seine Natur und Zustand relative betrach-
ten, in welchen er lebet. Seneca sagt: qui tantum detrahit cupiditati-
bus suis, quantum sibi deest,
der habe necessarium, denn quod tibi de-
est, non cupis.
Wir verlangen aber vieles, quod deest. Daher ent-
stehet eine närrische concupiscenz, und schaden wir uns auch dadurch, e. g.
Wir haben hier keine Austern, und doch wollen wir bisweilen Austern
essen, daher lassen wir solche anders woher hohlen. Hier sind keine Fo-
rellen, die lassen wir über zehn Meilweges herhohlen, daher kommt es,
daß wir sein Tage nicht vergnügt leben, sondern beständig in Unruhe sind,
und dasjenige verlangen, was sie an andern Orten haben. Alle con-
fusion
kommt daher. Ein Bauer will haben, quod deest, und leben,
wie ein Bürger, er will in Schlaffrock gehen; wenn die Kutscher Thee
und Coffee trincken, da siehet es gewiß auch närrisch aus. Pessundant
sese,
sie werden arm, und wenn sie es nicht mehr haben, sterben sie.
Es ist eben, wie mit einem Kerl, der sich an Brantewein und Schnupff-
Toback gewöhnet, der kan auch nicht leicht davon abgehen, und thut sich
damit Schaden. Wenn ich das principium mercke, so fället vieles weg,
was andere pro necessario halten; und also kan man den Autorem bes-
ser verstehen, wenn man sagt: Die Glückseligkeit in statu composito sey,
daß man commode lebe, und alles dasjenige thue, so ad necessitatem,
und auch ad jucunditatem etwas beytrage. Denn beständig kan man
nicht arbeiten, man muß bisweilen sich eine recreation machen, und ad
indifferentia
dencken, non semper anima potest operari seria. Das
necessarium aber muß man einschräncken, nemlich ich muß keine cupidi-
tatem
haben nach demjenigen, quod mihi deest. Langet man aber im-
mer mehr solche Sachen von fremden her, so denckt man hernach, es sey
necessarium, und machet eine Gewohnheit draus. Als wir machen je-
tzo ein necessarium draus, daß man muß Coffee trincken. Wer Kinder
hat, gewöhne sie ja nicht dazu, denn unsere Vorfahren haben ja auch
keinen getruncken, wenn sie ja haben wollen des Morgens was essen, ha-
ben sie sich lassen eine Kümmel-Suppe machen. Ein Mensch, der sich
nicht angewöhnt Coffee zu trincken, machet sich nichts draus, und kan
seine Sache eben sowohl verrichten. Die abundantia machet uns mor-
bos,
sie machet uns luxuriös, sie bringet uns in Unordnung, wo aber
Unordnung ist, da ist keine sapientia. Wir können also sagen, daß der-

jenige
M 2

De vera cujuslibet ſtatus felicitate.
brauchen vieles nothwendig, was andere nicht gebrauchen. Der Seneca
hat in ſeiner Epiſt. ad Lucinium eine ſchoͤne Penſée, welche uns Gelegen-
heit giebet, die Sache recht zu verſtehen. Man muß nicht uͤber den
Bauch ſo anſehen, quid ſit neceſſarium, utile, commodum, ſondern
man muß den Menſchen ſelbſt, ſeine Natur und Zuſtand relative betrach-
ten, in welchen er lebet. Seneca ſagt: qui tantum detrahit cupiditati-
bus ſuis, quantum ſibi deeſt,
der habe neceſſarium, denn quod tibi de-
eſt, non cupis.
Wir verlangen aber vieles, quod deeſt. Daher ent-
ſtehet eine naͤrriſche concupiſcenz, und ſchaden wir uns auch dadurch, e. g.
Wir haben hier keine Auſtern, und doch wollen wir bisweilen Auſtern
eſſen, daher laſſen wir ſolche anders woher hohlen. Hier ſind keine Fo-
rellen, die laſſen wir uͤber zehn Meilweges herhohlen, daher kommt es,
daß wir ſein Tage nicht vergnuͤgt leben, ſondern beſtaͤndig in Unruhe ſind,
und dasjenige verlangen, was ſie an andern Orten haben. Alle con-
fuſion
kommt daher. Ein Bauer will haben, quod deeſt, und leben,
wie ein Buͤrger, er will in Schlaffrock gehen; wenn die Kutſcher Thée
und Coffée trincken, da ſiehet es gewiß auch naͤrriſch aus. Peſſundant
ſeſe,
ſie werden arm, und wenn ſie es nicht mehr haben, ſterben ſie.
Es iſt eben, wie mit einem Kerl, der ſich an Brantewein und Schnupff-
Toback gewoͤhnet, der kan auch nicht leicht davon abgehen, und thut ſich
damit Schaden. Wenn ich das principium mercke, ſo faͤllet vieles weg,
was andere pro neceſſario halten; und alſo kan man den Autorem beſ-
ſer verſtehen, wenn man ſagt: Die Gluͤckſeligkeit in ſtatu compoſito ſey,
daß man commode lebe, und alles dasjenige thue, ſo ad neceſſitatem,
und auch ad jucunditatem etwas beytrage. Denn beſtaͤndig kan man
nicht arbeiten, man muß bisweilen ſich eine recreation machen, und ad
indifferentia
dencken, non ſemper anima poteſt operari ſeria. Das
neceſſarium aber muß man einſchraͤncken, nemlich ich muß keine cupidi-
tatem
haben nach demjenigen, quod mihi deeſt. Langet man aber im-
mer mehr ſolche Sachen von fremden her, ſo denckt man hernach, es ſey
neceſſarium, und machet eine Gewohnheit draus. Als wir machen je-
tzo ein neceſſarium draus, daß man muß Coffée trincken. Wer Kinder
hat, gewoͤhne ſie ja nicht dazu, denn unſere Vorfahren haben ja auch
keinen getruncken, wenn ſie ja haben wollen des Morgens was eſſen, ha-
ben ſie ſich laſſen eine Kuͤmmel-Suppe machen. Ein Menſch, der ſich
nicht angewoͤhnt Coffée zu trincken, machet ſich nichts draus, und kan
ſeine Sache eben ſowohl verrichten. Die abundantia machet uns mor-
bos,
ſie machet uns luxuriös, ſie bringet uns in Unordnung, wo aber
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jenige
M 2
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[91/0111] De vera cujuslibet ſtatus felicitate. brauchen vieles nothwendig, was andere nicht gebrauchen. Der Seneca hat in ſeiner Epiſt. ad Lucinium eine ſchoͤne Penſée, welche uns Gelegen- heit giebet, die Sache recht zu verſtehen. Man muß nicht uͤber den Bauch ſo anſehen, quid ſit neceſſarium, utile, commodum, ſondern man muß den Menſchen ſelbſt, ſeine Natur und Zuſtand relative betrach- ten, in welchen er lebet. Seneca ſagt: qui tantum detrahit cupiditati- bus ſuis, quantum ſibi deeſt, der habe neceſſarium, denn quod tibi de- eſt, non cupis. Wir verlangen aber vieles, quod deeſt. Daher ent- ſtehet eine naͤrriſche concupiſcenz, und ſchaden wir uns auch dadurch, e. g. Wir haben hier keine Auſtern, und doch wollen wir bisweilen Auſtern eſſen, daher laſſen wir ſolche anders woher hohlen. Hier ſind keine Fo- rellen, die laſſen wir uͤber zehn Meilweges herhohlen, daher kommt es, daß wir ſein Tage nicht vergnuͤgt leben, ſondern beſtaͤndig in Unruhe ſind, und dasjenige verlangen, was ſie an andern Orten haben. Alle con- fuſion kommt daher. Ein Bauer will haben, quod deeſt, und leben, wie ein Buͤrger, er will in Schlaffrock gehen; wenn die Kutſcher Thée und Coffée trincken, da ſiehet es gewiß auch naͤrriſch aus. Peſſundant ſeſe, ſie werden arm, und wenn ſie es nicht mehr haben, ſterben ſie. Es iſt eben, wie mit einem Kerl, der ſich an Brantewein und Schnupff- Toback gewoͤhnet, der kan auch nicht leicht davon abgehen, und thut ſich damit Schaden. Wenn ich das principium mercke, ſo faͤllet vieles weg, was andere pro neceſſario halten; und alſo kan man den Autorem beſ- ſer verſtehen, wenn man ſagt: Die Gluͤckſeligkeit in ſtatu compoſito ſey, daß man commode lebe, und alles dasjenige thue, ſo ad neceſſitatem, und auch ad jucunditatem etwas beytrage. Denn beſtaͤndig kan man nicht arbeiten, man muß bisweilen ſich eine recreation machen, und ad indifferentia dencken, non ſemper anima poteſt operari ſeria. Das neceſſarium aber muß man einſchraͤncken, nemlich ich muß keine cupidi- tatem haben nach demjenigen, quod mihi deeſt. Langet man aber im- mer mehr ſolche Sachen von fremden her, ſo denckt man hernach, es ſey neceſſarium, und machet eine Gewohnheit draus. Als wir machen je- tzo ein neceſſarium draus, daß man muß Coffée trincken. Wer Kinder hat, gewoͤhne ſie ja nicht dazu, denn unſere Vorfahren haben ja auch keinen getruncken, wenn ſie ja haben wollen des Morgens was eſſen, ha- ben ſie ſich laſſen eine Kuͤmmel-Suppe machen. Ein Menſch, der ſich nicht angewoͤhnt Coffée zu trincken, machet ſich nichts draus, und kan ſeine Sache eben ſowohl verrichten. Die abundantia machet uns mor- bos, ſie machet uns luxuriös, ſie bringet uns in Unordnung, wo aber Unordnung iſt, da iſt keine ſapientia. Wir koͤnnen alſo ſagen, daß der- jenige M 2

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/111>, abgerufen am 24.11.2024.