Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.Von der Macht der Nazionen gewichts unter den verschiedenen Republicken Griechen-lands bey. Demosthenes machte in seinen Reden die Nothwendigkeit des Gleichgewichts gegen Philip von Macedonien einleuchtend, und man behauptete es bis zum Treffen bey Chäronea. Philip und Alexander hoben alles Gleichgewicht in Europa und Asien auf, besonders der letztere durch seine so erstaunenden als unaufhaltsamen Siege und Eroberungen. Nachdem seine Generals sich in dessen weitläuftige Staaten geteilt hatten, stritten die nachfolgenden Könige von Macedo- nien, Asien und Egypten lange um das Gleichgewicht der Macht, bis Rom, dieser berühmte Freistaat, der einzige, welcher wider das Beispiel und die Natur der Republicken das Eroberungssystem annahm, die Unei- nigkeit und Unfähigkeit der benachbarten Könige sich zu Nutze machte, und sie zu vertilgen und ganz Griechen- land, Asien und Afrika zu erobern das Glück hatte. Einige von ihnen, als Philip und Perseus von Mace- donien, Pyrrhus König von Epirus und Hiero König von Sicilien versuchten einige Zeitlang, das Gleichge- wicht zwischen den Römern und Karthagern, dieser bei- den wetteifernden Mächte, die so lange um die Herschaft der Welt gestritten haben, aufrecht zu erhalten. Aber es geschah mit eben so wenig Erfolg, als Geschicklich- keit; und einige dieser asiatischen und afrikanischen Köni- ge z. B. Prusias, Attalus und Masinissa waren unüber- legterweise selbst Schuld, daß die Wage auf Seiten Roms überschlug, indem sie sich, aus Nebenabsichten, mit diesem ohnedies schon übermächtigen Staate verban- den; und zwar wider alle Regeln einer gesunden Staats- klugheit, welche iederzeit mindermächtige Staaten von der Verbindung mit einer übermächtigen Nazion abzu- lenken und sie in das Interesse nicht so mächtiger ihnen ähnlicher Staaten zu ziehn sucht. Als endlich die Rö- mer, diese stolzen Eroberer, durch die Ueberlegenheit ihrer
Von der Macht der Nazionen gewichts unter den verſchiedenen Republicken Griechen-lands bey. Demoſthenes machte in ſeinen Reden die Nothwendigkeit des Gleichgewichts gegen Philip von Macedonien einleuchtend, und man behauptete es bis zum Treffen bey Chaͤronea. Philip und Alexander hoben alles Gleichgewicht in Europa und Aſien auf, beſonders der letztere durch ſeine ſo erſtaunenden als unaufhaltſamen Siege und Eroberungen. Nachdem ſeine Generals ſich in deſſen weitlaͤuftige Staaten geteilt hatten, ſtritten die nachfolgenden Koͤnige von Macedo- nien, Aſien und Egypten lange um das Gleichgewicht der Macht, bis Rom, dieſer beruͤhmte Freiſtaat, der einzige, welcher wider das Beiſpiel und die Natur der Republicken das Eroberungsſyſtem annahm, die Unei- nigkeit und Unfaͤhigkeit der benachbarten Koͤnige ſich zu Nutze machte, und ſie zu vertilgen und ganz Griechen- land, Aſien und Afrika zu erobern das Gluͤck hatte. Einige von ihnen, als Philip und Perſeus von Mace- donien, Pyrrhus Koͤnig von Epirus und Hiero Koͤnig von Sicilien verſuchten einige Zeitlang, das Gleichge- wicht zwiſchen den Roͤmern und Karthagern, dieſer bei- den wetteifernden Maͤchte, die ſo lange um die Herſchaft der Welt geſtritten haben, aufrecht zu erhalten. Aber es geſchah mit eben ſo wenig Erfolg, als Geſchicklich- keit; und einige dieſer aſiatiſchen und afrikaniſchen Koͤni- ge z. B. Pruſias, Attalus und Maſiniſſa waren unuͤber- legterweiſe ſelbſt Schuld, daß die Wage auf Seiten Roms uͤberſchlug, indem ſie ſich, aus Nebenabſichten, mit dieſem ohnedies ſchon uͤbermaͤchtigen Staate verban- den; und zwar wider alle Regeln einer geſunden Staats- klugheit, welche iederzeit mindermaͤchtige Staaten von der Verbindung mit einer uͤbermaͤchtigen Nazion abzu- lenken und ſie in das Intereſſe nicht ſo maͤchtiger ihnen aͤhnlicher Staaten zu ziehn ſucht. Als endlich die Roͤ- mer, dieſe ſtolzen Eroberer, durch die Ueberlegenheit ihrer
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Von der Macht der Nazionen
gewichts unter den verſchiedenen Republicken Griechen-
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Nothwendigkeit des Gleichgewichts gegen Philip von
Macedonien einleuchtend, und man behauptete es bis
zum Treffen bey Chaͤronea. Philip und Alexander
hoben alles Gleichgewicht in Europa und Aſien auf,
beſonders der letztere durch ſeine ſo erſtaunenden als
unaufhaltſamen Siege und Eroberungen. Nachdem
ſeine Generals ſich in deſſen weitlaͤuftige Staaten geteilt
hatten, ſtritten die nachfolgenden Koͤnige von Macedo-
nien, Aſien und Egypten lange um das Gleichgewicht
der Macht, bis Rom, dieſer beruͤhmte Freiſtaat, der
einzige, welcher wider das Beiſpiel und die Natur der
Republicken das Eroberungsſyſtem annahm, die Unei-
nigkeit und Unfaͤhigkeit der benachbarten Koͤnige ſich zu
Nutze machte, und ſie zu vertilgen und ganz Griechen-
land, Aſien und Afrika zu erobern das Gluͤck hatte.
Einige von ihnen, als Philip und Perſeus von Mace-
donien, Pyrrhus Koͤnig von Epirus und Hiero Koͤnig
von Sicilien verſuchten einige Zeitlang, das Gleichge-
wicht zwiſchen den Roͤmern und Karthagern, dieſer bei-
den wetteifernden Maͤchte, die ſo lange um die Herſchaft
der Welt geſtritten haben, aufrecht zu erhalten. Aber
es geſchah mit eben ſo wenig Erfolg, als Geſchicklich-
keit; und einige dieſer aſiatiſchen und afrikaniſchen Koͤni-
ge z. B. Pruſias, Attalus und Maſiniſſa waren unuͤber-
legterweiſe ſelbſt Schuld, daß die Wage auf Seiten
Roms uͤberſchlug, indem ſie ſich, aus Nebenabſichten,
mit dieſem ohnedies ſchon uͤbermaͤchtigen Staate verban-
den; und zwar wider alle Regeln einer geſunden Staats-
klugheit, welche iederzeit mindermaͤchtige Staaten von
der Verbindung mit einer uͤbermaͤchtigen Nazion abzu-
lenken und ſie in das Intereſſe nicht ſo maͤchtiger ihnen
aͤhnlicher Staaten zu ziehn ſucht. Als endlich die Roͤ-
mer, dieſe ſtolzen Eroberer, durch die Ueberlegenheit
ihrer
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