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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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und deren Gleichgewicht.
Gerechtsame anderer in sich. Hat der Mächtige gleich
mehr Kräfte zu schaden, so ist doch der Grundsatz des
Hobbes und seiner Anhänger: daß der, welcher die
Kräfte zu schaden habe, solche gewis auch dazu anwen-
den werde, aus der Vernunft unerweislich a]. Viel-
mehr sollte man folgern, daß eine Nazion, die der
gemeinschaftlichen Glückseligkeit halber mit andern in
Verbindung getreten ist, ihre Macht auch diesem edlen
Zwecke gemäs gebrauchen werde. Was solten die übri-
gen also für Grund haben, sich der Vergrösserung einer
andern zu widersetzen?

Da iedoch die Erfahrung aller Zeiten bewährt hat,
daß mächtige Staaten ihre Kräfte leider! nur zu oft zur
Unterdrückung ihrer Mitstaaten gemisbraucht haben, so
erfoderte auch die Klugheit der Mindermächtigen dagegen
alle zu ihrer Erhaltung erfoderlichen Anstalten zu treffen:
und da, wie schon in der Einleitung §. 22. erinnert
worden, bey den geselschaftlichen Pflichten der Völker
auch nothwendig auf die nach und nach entstandenen
Zufälligkeiten Rücksicht zu nehmen ist, so kan man den
Grund des Systems vom Gleichgewichte füglich in dem
freiwilligen Völkerrechte suchen. Hauptsächlich aber
beruht es theils auf stilschweigende, theils auf ausdrück-
liche Verträge der Nazionen b], wodurch sie ihrer na-
türlichen Vergrösserungsfreiheit, zum Besten des Gan-
zen, Schranken zu setzen für gut befunden haben c].
Ehemals gründete sich dasselbe größtentheils auf stil-
schweigende durch Handlungen an den Tag gelegte Ein-
willigung d], und erst in neuern Zeiten hat man diese
auch durch ausdrückliche Verträge zu bestätigen gesucht,
wie aus der folgenden Geschichte erhellen wird.

a] Nic. Hier. Gundlingii status naturalis Hobbesii in Cor-
pore I. C. defensus et defendendus, Halae
1706. 4.
Viele Völkerrechtslehrer nehmen diesen als den Haupt-

und deren Gleichgewicht.
Gerechtſame anderer in ſich. Hat der Maͤchtige gleich
mehr Kraͤfte zu ſchaden, ſo iſt doch der Grundſatz des
Hobbes und ſeiner Anhaͤnger: daß der, welcher die
Kraͤfte zu ſchaden habe, ſolche gewis auch dazu anwen-
den werde, aus der Vernunft unerweislich a]. Viel-
mehr ſollte man folgern, daß eine Nazion, die der
gemeinſchaftlichen Gluͤckſeligkeit halber mit andern in
Verbindung getreten iſt, ihre Macht auch dieſem edlen
Zwecke gemaͤs gebrauchen werde. Was ſolten die uͤbri-
gen alſo fuͤr Grund haben, ſich der Vergroͤſſerung einer
andern zu widerſetzen?

Da iedoch die Erfahrung aller Zeiten bewaͤhrt hat,
daß maͤchtige Staaten ihre Kraͤfte leider! nur zu oft zur
Unterdruͤckung ihrer Mitſtaaten gemisbraucht haben, ſo
erfoderte auch die Klugheit der Mindermaͤchtigen dagegen
alle zu ihrer Erhaltung erfoderlichen Anſtalten zu treffen:
und da, wie ſchon in der Einleitung §. 22. erinnert
worden, bey den geſelſchaftlichen Pflichten der Voͤlker
auch nothwendig auf die nach und nach entſtandenen
Zufaͤlligkeiten Ruͤckſicht zu nehmen iſt, ſo kan man den
Grund des Syſtems vom Gleichgewichte fuͤglich in dem
freiwilligen Voͤlkerrechte ſuchen. Hauptſaͤchlich aber
beruht es theils auf ſtilſchweigende, theils auf ausdruͤck-
liche Vertraͤge der Nazionen b], wodurch ſie ihrer na-
tuͤrlichen Vergroͤſſerungsfreiheit, zum Beſten des Gan-
zen, Schranken zu ſetzen fuͤr gut befunden haben c].
Ehemals gruͤndete ſich daſſelbe groͤßtentheils auf ſtil-
ſchweigende durch Handlungen an den Tag gelegte Ein-
willigung d], und erſt in neuern Zeiten hat man dieſe
auch durch ausdruͤckliche Vertraͤge zu beſtaͤtigen geſucht,
wie aus der folgenden Geſchichte erhellen wird.

a] Nic. Hier. Gundlingii ſtatus naturalis Hobbeſii in Cor-
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1706. 4.
Viele Voͤlkerrechtslehrer nehmen dieſen als den Haupt-
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[333/0359] und deren Gleichgewicht. Gerechtſame anderer in ſich. Hat der Maͤchtige gleich mehr Kraͤfte zu ſchaden, ſo iſt doch der Grundſatz des Hobbes und ſeiner Anhaͤnger: daß der, welcher die Kraͤfte zu ſchaden habe, ſolche gewis auch dazu anwen- den werde, aus der Vernunft unerweislich a]. Viel- mehr ſollte man folgern, daß eine Nazion, die der gemeinſchaftlichen Gluͤckſeligkeit halber mit andern in Verbindung getreten iſt, ihre Macht auch dieſem edlen Zwecke gemaͤs gebrauchen werde. Was ſolten die uͤbri- gen alſo fuͤr Grund haben, ſich der Vergroͤſſerung einer andern zu widerſetzen? Da iedoch die Erfahrung aller Zeiten bewaͤhrt hat, daß maͤchtige Staaten ihre Kraͤfte leider! nur zu oft zur Unterdruͤckung ihrer Mitſtaaten gemisbraucht haben, ſo erfoderte auch die Klugheit der Mindermaͤchtigen dagegen alle zu ihrer Erhaltung erfoderlichen Anſtalten zu treffen: und da, wie ſchon in der Einleitung §. 22. erinnert worden, bey den geſelſchaftlichen Pflichten der Voͤlker auch nothwendig auf die nach und nach entſtandenen Zufaͤlligkeiten Ruͤckſicht zu nehmen iſt, ſo kan man den Grund des Syſtems vom Gleichgewichte fuͤglich in dem freiwilligen Voͤlkerrechte ſuchen. Hauptſaͤchlich aber beruht es theils auf ſtilſchweigende, theils auf ausdruͤck- liche Vertraͤge der Nazionen b], wodurch ſie ihrer na- tuͤrlichen Vergroͤſſerungsfreiheit, zum Beſten des Gan- zen, Schranken zu ſetzen fuͤr gut befunden haben c]. Ehemals gruͤndete ſich daſſelbe groͤßtentheils auf ſtil- ſchweigende durch Handlungen an den Tag gelegte Ein- willigung d], und erſt in neuern Zeiten hat man dieſe auch durch ausdruͤckliche Vertraͤge zu beſtaͤtigen geſucht, wie aus der folgenden Geſchichte erhellen wird. a] Nic. Hier. Gundlingii ſtatus naturalis Hobbeſii in Cor- pore I. C. defenſus et defendendus, Halae 1706. 4. Viele Voͤlkerrechtslehrer nehmen dieſen als den Haupt- grund-

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/359>, abgerufen am 23.11.2024.