Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.und den europäischen insbesondere. vorhandenen Reichsgrundgesetze nicht ausser Augen gelas-sen werden, ob sie gleich in die von den Systematikern angenommenen Formen nicht immer so genau passen. Den teutschen Reichslanden ist die Eigenschaft der Staa- ten nicht füglich ganz abzusprechen. Von den Einwür- fen, welche gegen das System verbundener Staaten in Teutschland gemacht zu werden pflegen, dürften die hauptsächlichsten wohl darin bestehn, daß dieses Reich ein würkliches Oberhaupt habe, und daß die Geschichte von keinem Bündnis etwas wisse, wodurch die Reichs- stände, als Besitzer freier Staaten, in eine solche Ver- einigung zusammengetreten. Aber warum solten die also verbündeten Staaten, unbeschadet der besondern Staats- eigenschaft eines ieden, zu desto stärkerer Befestigung und volkomnerer Erhaltung ihrer Vereinigung, nicht einen Obern wählen können, unter dessen Direction die vorfallenden gemeinschaftlichen Staatsgeschäfte, mit Theilnehmung der übrigen Staatsregenten, behandelt werden müssen? Da dieser für die Handhabung der zur gemeinschaftlichen Wohlfarth von ienen selbst mit festge- setzten Einrichtungen zu sorgen hat, so ist es billig, daß ihm hierinn Gehorsam geleistet werde, und der Ausdruck von Unterthänigkeit in Rücksicht der gemeinschaftlichen Verbindung widerstreitet der Souverainetät [oder viel- mehr Landeshoheit nach der Sprache der Reichsgrundge- setze] der einzelnen Staaten gegen einander und gegen Auswärtige eben nicht. Die ehemalige Heptarchie in England giebt einigermassen ein Beispiel ähnlicher Ver- fassung. Der in teutschen Staatsangelegenheiten bey Erwähnung des Kaisers meistens gewöhnliche Zusatz: und des Reichs zeigt nicht undeutlich, die Beziehung auf den zusammengesetzten Staatskörper. Ob übrigens eine ausdrückliche Verabredung nöthig sey, wo die Sache selbst deutlich genug spricht, will ich hier nicht untersu- chen. Die Behauptung dieser Meinung würde wenig- stens
und den europaͤiſchen insbeſondere. vorhandenen Reichsgrundgeſetze nicht auſſer Augen gelaſ-ſen werden, ob ſie gleich in die von den Syſtematikern angenommenen Formen nicht immer ſo genau paſſen. Den teutſchen Reichslanden iſt die Eigenſchaft der Staa- ten nicht fuͤglich ganz abzuſprechen. Von den Einwuͤr- fen, welche gegen das Syſtem verbundener Staaten in Teutſchland gemacht zu werden pflegen, duͤrften die hauptſaͤchlichſten wohl darin beſtehn, daß dieſes Reich ein wuͤrkliches Oberhaupt habe, und daß die Geſchichte von keinem Buͤndnis etwas wiſſe, wodurch die Reichs- ſtaͤnde, als Beſitzer freier Staaten, in eine ſolche Ver- einigung zuſammengetreten. Aber warum ſolten die alſo verbuͤndeten Staaten, unbeſchadet der beſondern Staats- eigenſchaft eines ieden, zu deſto ſtaͤrkerer Befeſtigung und volkomnerer Erhaltung ihrer Vereinigung, nicht einen Obern waͤhlen koͤnnen, unter deſſen Direction die vorfallenden gemeinſchaftlichen Staatsgeſchaͤfte, mit Theilnehmung der uͤbrigen Staatsregenten, behandelt werden muͤſſen? Da dieſer fuͤr die Handhabung der zur gemeinſchaftlichen Wohlfarth von ienen ſelbſt mit feſtge- ſetzten Einrichtungen zu ſorgen hat, ſo iſt es billig, daß ihm hierinn Gehorſam geleiſtet werde, und der Ausdruck von Unterthaͤnigkeit in Ruͤckſicht der gemeinſchaftlichen Verbindung widerſtreitet der Souverainetaͤt [oder viel- mehr Landeshoheit nach der Sprache der Reichsgrundge- ſetze] der einzelnen Staaten gegen einander und gegen Auswaͤrtige eben nicht. Die ehemalige Heptarchie in England giebt einigermaſſen ein Beiſpiel aͤhnlicher Ver- faſſung. Der in teutſchen Staatsangelegenheiten bey Erwaͤhnung des Kaiſers meiſtens gewoͤhnliche Zuſatz: und des Reichs zeigt nicht undeutlich, die Beziehung auf den zuſammengeſetzten Staatskoͤrper. Ob uͤbrigens eine ausdruͤckliche Verabredung noͤthig ſey, wo die Sache ſelbſt deutlich genug ſpricht, will ich hier nicht unterſu- chen. Die Behauptung dieſer Meinung wuͤrde wenig- ſtens
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und den europaͤiſchen insbeſondere.
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ſen werden, ob ſie gleich in die von den Syſtematikern
angenommenen Formen nicht immer ſo genau paſſen.
Den teutſchen Reichslanden iſt die Eigenſchaft der Staa-
ten nicht fuͤglich ganz abzuſprechen. Von den Einwuͤr-
fen, welche gegen das Syſtem verbundener Staaten in
Teutſchland gemacht zu werden pflegen, duͤrften die
hauptſaͤchlichſten wohl darin beſtehn, daß dieſes Reich
ein wuͤrkliches Oberhaupt habe, und daß die Geſchichte
von keinem Buͤndnis etwas wiſſe, wodurch die Reichs-
ſtaͤnde, als Beſitzer freier Staaten, in eine ſolche Ver-
einigung zuſammengetreten. Aber warum ſolten die alſo
verbuͤndeten Staaten, unbeſchadet der beſondern Staats-
eigenſchaft eines ieden, zu deſto ſtaͤrkerer Befeſtigung
und volkomnerer Erhaltung ihrer Vereinigung, nicht
einen Obern waͤhlen koͤnnen, unter deſſen Direction die
vorfallenden gemeinſchaftlichen Staatsgeſchaͤfte, mit
Theilnehmung der uͤbrigen Staatsregenten, behandelt
werden muͤſſen? Da dieſer fuͤr die Handhabung der zur
gemeinſchaftlichen Wohlfarth von ienen ſelbſt mit feſtge-
ſetzten Einrichtungen zu ſorgen hat, ſo iſt es billig, daß
ihm hierinn Gehorſam geleiſtet werde, und der Ausdruck
von Unterthaͤnigkeit in Ruͤckſicht der gemeinſchaftlichen
Verbindung widerſtreitet der Souverainetaͤt [oder viel-
mehr Landeshoheit nach der Sprache der Reichsgrundge-
ſetze] der einzelnen Staaten gegen einander und gegen
Auswaͤrtige eben nicht. Die ehemalige Heptarchie in
England giebt einigermaſſen ein Beiſpiel aͤhnlicher Ver-
faſſung. Der in teutſchen Staatsangelegenheiten bey
Erwaͤhnung des Kaiſers meiſtens gewoͤhnliche Zuſatz:
und des Reichs zeigt nicht undeutlich, die Beziehung
auf den zuſammengeſetzten Staatskoͤrper. Ob uͤbrigens
eine ausdruͤckliche Verabredung noͤthig ſey, wo die Sache
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