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Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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O sagen Sie, der Entwürdigung alles Menschenwerths, der Entweihung alles Seelenadels! rief Isidor begeistert und wie von einem Alp befreit, daß sie keine Absichten auf ihn habe und daß somit die Frau Conrectorin angeführt sei. O wir verstehen uns, Frau Julia! rief er. Sehen Sie, Sie wären ein Weib, eine Freundin nach meinem Herzen, hoch erhaben über den Dunst spießbürgerlicher Vorurtheile, geheiligt durch die Läuterung der Leiden, ein Ideal, dem man Leben und Lieben, Träumen, Denken und Fühlen hingeben kann, ohne befürchten zu müssen, in Bande geschlagen zu werden.

Jetzt machen Sie ja doch eine Erklärung, sagte Julia lachend.

Ja, Frau Julia, aber eine Erklärung der selbstlosesten Leidenschaft, der andächtigsten Verehrung. Der Eindruck Ihres Seins und Wesens wirkt immer unwiderstehlicher auf mich ein; ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich will Ihr Freund, Ihr Bruder, Ihr Diener und Sklave sein -- o lassen Sie mir diese kleine Hand mit den feinen, durchsichtigen Fingern, mit den schmalen, rosigen Nägeln, die jeder Chiromant als Symbol aristokratischen Hochsinns und erregbarer Phantasie verehren würde -- lassen Sie mir dies weiche Händchen und seien Sie meine Elsa und Isold, die mir Liebe zugetrunken hat in diesem magischen Becher!

Lieber Freund, erwiderte Julia mit heiterem Tone, ich glaube, Sie wären im vorigen Jahrhundert ein treff-

O sagen Sie, der Entwürdigung alles Menschenwerths, der Entweihung alles Seelenadels! rief Isidor begeistert und wie von einem Alp befreit, daß sie keine Absichten auf ihn habe und daß somit die Frau Conrectorin angeführt sei. O wir verstehen uns, Frau Julia! rief er. Sehen Sie, Sie wären ein Weib, eine Freundin nach meinem Herzen, hoch erhaben über den Dunst spießbürgerlicher Vorurtheile, geheiligt durch die Läuterung der Leiden, ein Ideal, dem man Leben und Lieben, Träumen, Denken und Fühlen hingeben kann, ohne befürchten zu müssen, in Bande geschlagen zu werden.

Jetzt machen Sie ja doch eine Erklärung, sagte Julia lachend.

Ja, Frau Julia, aber eine Erklärung der selbstlosesten Leidenschaft, der andächtigsten Verehrung. Der Eindruck Ihres Seins und Wesens wirkt immer unwiderstehlicher auf mich ein; ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich will Ihr Freund, Ihr Bruder, Ihr Diener und Sklave sein — o lassen Sie mir diese kleine Hand mit den feinen, durchsichtigen Fingern, mit den schmalen, rosigen Nägeln, die jeder Chiromant als Symbol aristokratischen Hochsinns und erregbarer Phantasie verehren würde — lassen Sie mir dies weiche Händchen und seien Sie meine Elsa und Isold, die mir Liebe zugetrunken hat in diesem magischen Becher!

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

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Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/96>, abgerufen am 27.11.2024.