Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.auszuüben im Stande ist. Ich sage nicht zu viel, wenn ich zu behaupten wage, daß seit dieser Zeit meine ganze Anschauung von Kunst und Religion, Geschichte und Politik, von Literatur und Nationalökonomie einen bedeutendsten Umschwung erfahren hat, zu schweigen von den glücklichsten Umwälzungen, die sich in der rein somatischen Sphäre, in den materiellen Gebieten der Blutbildung und Blutbewegung, des Schlafens und Wachens, der Respirations- und Transpirationsorgane vollzogen haben. Die schöne Julia schien endlich zu wissen, weß Geistes Kind sie vor sich hatte. Momentan blitzte ein Lächeln auf ihren Lippen auf, zugleich aber wurde ihr diese Situation doch unerträglich; sie trat zur Thür, um hinauszugehen; aber im selben Moment öffnete sich dieselbe, und die Frau Conrectorin erschien mit Früchten, Kuchen und Wein auf einer silbernen Platte, die sie mit freundlichen Worten auf den Tisch stellte, während ihre forschenden Augen vom Vetter zu Julien eilten, um das Resultat dieses seltsamen Rendezvous zu entziffern. Vetter Isidor hatte die unwillkürliche Bewegung Juliens, ihm zu entfliehen, ganz anders gedeutet. Meine Erläuterung der reinen Freundschaft ist offenbar unbefriedigend gewesen. Dieses schöne Weib will mehr! -- Bah, auch sie ist eine Evastochter wie alle! -- Während er so dachte, stieß ihn die Frau Conrectorin an und flüsterte ihm zu: auszuüben im Stande ist. Ich sage nicht zu viel, wenn ich zu behaupten wage, daß seit dieser Zeit meine ganze Anschauung von Kunst und Religion, Geschichte und Politik, von Literatur und Nationalökonomie einen bedeutendsten Umschwung erfahren hat, zu schweigen von den glücklichsten Umwälzungen, die sich in der rein somatischen Sphäre, in den materiellen Gebieten der Blutbildung und Blutbewegung, des Schlafens und Wachens, der Respirations- und Transpirationsorgane vollzogen haben. Die schöne Julia schien endlich zu wissen, weß Geistes Kind sie vor sich hatte. Momentan blitzte ein Lächeln auf ihren Lippen auf, zugleich aber wurde ihr diese Situation doch unerträglich; sie trat zur Thür, um hinauszugehen; aber im selben Moment öffnete sich dieselbe, und die Frau Conrectorin erschien mit Früchten, Kuchen und Wein auf einer silbernen Platte, die sie mit freundlichen Worten auf den Tisch stellte, während ihre forschenden Augen vom Vetter zu Julien eilten, um das Resultat dieses seltsamen Rendezvous zu entziffern. Vetter Isidor hatte die unwillkürliche Bewegung Juliens, ihm zu entfliehen, ganz anders gedeutet. Meine Erläuterung der reinen Freundschaft ist offenbar unbefriedigend gewesen. Dieses schöne Weib will mehr! — Bah, auch sie ist eine Evastochter wie alle! — Während er so dachte, stieß ihn die Frau Conrectorin an und flüsterte ihm zu: <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0093"/> auszuüben im Stande ist. Ich sage nicht zu viel, wenn ich zu behaupten wage, daß seit dieser Zeit meine ganze Anschauung von Kunst und Religion, Geschichte und Politik, von Literatur und Nationalökonomie einen bedeutendsten Umschwung erfahren hat, zu schweigen von den glücklichsten Umwälzungen, die sich in der rein somatischen Sphäre, in den materiellen Gebieten der Blutbildung und Blutbewegung, des Schlafens und Wachens, der Respirations- und Transpirationsorgane vollzogen haben.</p><lb/> <p>Die schöne Julia schien endlich zu wissen, weß Geistes Kind sie vor sich hatte.</p><lb/> <p>Momentan blitzte ein Lächeln auf ihren Lippen auf, zugleich aber wurde ihr diese Situation doch unerträglich; sie trat zur Thür, um hinauszugehen; aber im selben Moment öffnete sich dieselbe, und die Frau Conrectorin erschien mit Früchten, Kuchen und Wein auf einer silbernen Platte, die sie mit freundlichen Worten auf den Tisch stellte, während ihre forschenden Augen vom Vetter zu Julien eilten, um das Resultat dieses seltsamen Rendezvous zu entziffern.</p><lb/> <p>Vetter Isidor hatte die unwillkürliche Bewegung Juliens, ihm zu entfliehen, ganz anders gedeutet.</p><lb/> <p>Meine Erläuterung der reinen Freundschaft ist offenbar unbefriedigend gewesen. Dieses schöne Weib will mehr! — Bah, auch sie ist eine Evastochter wie alle! — Während er so dachte, stieß ihn die Frau Conrectorin an und flüsterte ihm zu:</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
auszuüben im Stande ist. Ich sage nicht zu viel, wenn ich zu behaupten wage, daß seit dieser Zeit meine ganze Anschauung von Kunst und Religion, Geschichte und Politik, von Literatur und Nationalökonomie einen bedeutendsten Umschwung erfahren hat, zu schweigen von den glücklichsten Umwälzungen, die sich in der rein somatischen Sphäre, in den materiellen Gebieten der Blutbildung und Blutbewegung, des Schlafens und Wachens, der Respirations- und Transpirationsorgane vollzogen haben.
Die schöne Julia schien endlich zu wissen, weß Geistes Kind sie vor sich hatte.
Momentan blitzte ein Lächeln auf ihren Lippen auf, zugleich aber wurde ihr diese Situation doch unerträglich; sie trat zur Thür, um hinauszugehen; aber im selben Moment öffnete sich dieselbe, und die Frau Conrectorin erschien mit Früchten, Kuchen und Wein auf einer silbernen Platte, die sie mit freundlichen Worten auf den Tisch stellte, während ihre forschenden Augen vom Vetter zu Julien eilten, um das Resultat dieses seltsamen Rendezvous zu entziffern.
Vetter Isidor hatte die unwillkürliche Bewegung Juliens, ihm zu entfliehen, ganz anders gedeutet.
Meine Erläuterung der reinen Freundschaft ist offenbar unbefriedigend gewesen. Dieses schöne Weib will mehr! — Bah, auch sie ist eine Evastochter wie alle! — Während er so dachte, stieß ihn die Frau Conrectorin an und flüsterte ihm zu:
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Zitationshilfe: | Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/93>, abgerufen am 22.07.2024. |