Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Dinge mehr, nein, um keinen Preis, dabei kommt nichts Gutes heraus! Aber was wollen Sie denn von mir? -- und Frau Julia blieb zwischen den Gräbern stehen, und ihr dunkles, großes Auge richtete sich forschend auf die Begleiterin. Mein Gott, was kann man wollen? -- Sich das Herz ausschütten, von alten Zeiten reden, von Ihrer seligen Frau Mutter, meiner geliebten Freundin -- ach, daß sie so früh von hinnen mußte! Wäre sie noch am Leben, vielleicht wäre Alles jetzt anders -- und dann Ihre Lage! Man kann dabei vielleicht Rath und That brauchen, meine Theure? Wieder sah Julia sie forschend an, aber die redselige Frau ließ sich nicht stören. Ja, was ich noch sagen wollte: mögen Sie nicht einmal wieder unsere Himbeeren versuchen? Früher war das ein Freudenfest für Sie -- o, ich sehe Sie noch als Kind, als meine kleine Lulu, wie Sie in weißen Höschen durch die grünen Büsche schlüpften und vor Freude sprangen, wenn Sie wieder eine reife Beere erwischt hatten -- und jetzt gerade ist Alles reif. Ja, die schönen Jugendjahre, sagte Julia, wo sind sie hin? Kommen Sie, Frau Conrectorin, Sie haben Recht, wir wollen ein Stündchen verplaudern und verträumen. Zwar -- Sie wissen, es ist mir verboten, zu Ihnen zu kommen. Ach was, der alte Herr soll sich was schämen, Sie wie ein kleines Kind zu halten! Er soll nur kommen, ich Dinge mehr, nein, um keinen Preis, dabei kommt nichts Gutes heraus! Aber was wollen Sie denn von mir? — und Frau Julia blieb zwischen den Gräbern stehen, und ihr dunkles, großes Auge richtete sich forschend auf die Begleiterin. Mein Gott, was kann man wollen? — Sich das Herz ausschütten, von alten Zeiten reden, von Ihrer seligen Frau Mutter, meiner geliebten Freundin — ach, daß sie so früh von hinnen mußte! Wäre sie noch am Leben, vielleicht wäre Alles jetzt anders — und dann Ihre Lage! Man kann dabei vielleicht Rath und That brauchen, meine Theure? Wieder sah Julia sie forschend an, aber die redselige Frau ließ sich nicht stören. Ja, was ich noch sagen wollte: mögen Sie nicht einmal wieder unsere Himbeeren versuchen? Früher war das ein Freudenfest für Sie — o, ich sehe Sie noch als Kind, als meine kleine Lulu, wie Sie in weißen Höschen durch die grünen Büsche schlüpften und vor Freude sprangen, wenn Sie wieder eine reife Beere erwischt hatten — und jetzt gerade ist Alles reif. Ja, die schönen Jugendjahre, sagte Julia, wo sind sie hin? Kommen Sie, Frau Conrectorin, Sie haben Recht, wir wollen ein Stündchen verplaudern und verträumen. Zwar — Sie wissen, es ist mir verboten, zu Ihnen zu kommen. Ach was, der alte Herr soll sich was schämen, Sie wie ein kleines Kind zu halten! Er soll nur kommen, ich <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0085"/> Dinge mehr, nein, um keinen Preis, dabei kommt nichts Gutes heraus!</p><lb/> <p>Aber was wollen Sie denn von mir? — und Frau Julia blieb zwischen den Gräbern stehen, und ihr dunkles, großes Auge richtete sich forschend auf die Begleiterin.</p><lb/> <p>Mein Gott, was kann man wollen? — Sich das Herz ausschütten, von alten Zeiten reden, von Ihrer seligen Frau Mutter, meiner geliebten Freundin — ach, daß sie so früh von hinnen mußte! Wäre sie noch am Leben, vielleicht wäre Alles jetzt anders — und dann Ihre Lage! Man kann dabei vielleicht Rath und That brauchen, meine Theure?</p><lb/> <p>Wieder sah Julia sie forschend an, aber die redselige Frau ließ sich nicht stören.</p><lb/> <p>Ja, was ich noch sagen wollte: mögen Sie nicht einmal wieder unsere Himbeeren versuchen? Früher war das ein Freudenfest für Sie — o, ich sehe Sie noch als Kind, als meine kleine Lulu, wie Sie in weißen Höschen durch die grünen Büsche schlüpften und vor Freude sprangen, wenn Sie wieder eine reife Beere erwischt hatten — und jetzt gerade ist Alles reif.</p><lb/> <p>Ja, die schönen Jugendjahre, sagte Julia, wo sind sie hin? Kommen Sie, Frau Conrectorin, Sie haben Recht, wir wollen ein Stündchen verplaudern und verträumen. Zwar — Sie wissen, es ist mir verboten, zu Ihnen zu kommen.</p><lb/> <p>Ach was, der alte Herr soll sich was schämen, Sie wie ein kleines Kind zu halten! Er soll nur kommen, ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0085]
Dinge mehr, nein, um keinen Preis, dabei kommt nichts Gutes heraus!
Aber was wollen Sie denn von mir? — und Frau Julia blieb zwischen den Gräbern stehen, und ihr dunkles, großes Auge richtete sich forschend auf die Begleiterin.
Mein Gott, was kann man wollen? — Sich das Herz ausschütten, von alten Zeiten reden, von Ihrer seligen Frau Mutter, meiner geliebten Freundin — ach, daß sie so früh von hinnen mußte! Wäre sie noch am Leben, vielleicht wäre Alles jetzt anders — und dann Ihre Lage! Man kann dabei vielleicht Rath und That brauchen, meine Theure?
Wieder sah Julia sie forschend an, aber die redselige Frau ließ sich nicht stören.
Ja, was ich noch sagen wollte: mögen Sie nicht einmal wieder unsere Himbeeren versuchen? Früher war das ein Freudenfest für Sie — o, ich sehe Sie noch als Kind, als meine kleine Lulu, wie Sie in weißen Höschen durch die grünen Büsche schlüpften und vor Freude sprangen, wenn Sie wieder eine reife Beere erwischt hatten — und jetzt gerade ist Alles reif.
Ja, die schönen Jugendjahre, sagte Julia, wo sind sie hin? Kommen Sie, Frau Conrectorin, Sie haben Recht, wir wollen ein Stündchen verplaudern und verträumen. Zwar — Sie wissen, es ist mir verboten, zu Ihnen zu kommen.
Ach was, der alte Herr soll sich was schämen, Sie wie ein kleines Kind zu halten! Er soll nur kommen, ich
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Zitationshilfe: | Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/85>, abgerufen am 22.07.2024. |