Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Damit schob sie ihn zur Thür hinaus. Die hohen Himbeerbüsche nickten hinter ihm, und die Bienen summten. Die Rosen dufteten, und die Schwalben flogen niedriger in der Abendkühle um das schindelgedeckte Wohnhaus und die grüne, dichte Gartenwildniß am Wasser. III. Die gute Frau Conrectorin hatte genau genommen mehr versprochen, als sie halten konnte, ja sie hatte im Grunde etwas zugesagt, was gefährlich für alle Theile war. Frau Julien selbst hatte sie seit Monaten nicht gesprochen, denn der alte Schnorrigl hatte ihr peremptorisch das Haus verboten, als sie nach den erwähnten Unglücksfällen einen Besuch machen wollte. Zwar fehlte es nicht an Gelegenheiten, Frau Julien indirect eine Botschaft zukommen zu lassen. Da war zuerst der lahme Milchmann, dann der rothe Hansjürge, der zuweilen Fische brachte, auch die Zeitungsfrau und der Postbote ließen sich gewinnen, aber die brave Frau Conrectorin wollte einmal keine krummen Wege gehen. Außerdem aber war sie unzufrieden mit sich selbst, denn sie hatte sich gleichsam überrumpeln lassen und dem Vetter Dienste angeboten, die ihr Gewissen nicht gutheißen konnte. Dann war noch ein sonderbarer Umstand dazugekommen, der ihre Unruhe nicht wenig vermehrte. Damit schob sie ihn zur Thür hinaus. Die hohen Himbeerbüsche nickten hinter ihm, und die Bienen summten. Die Rosen dufteten, und die Schwalben flogen niedriger in der Abendkühle um das schindelgedeckte Wohnhaus und die grüne, dichte Gartenwildniß am Wasser. III. Die gute Frau Conrectorin hatte genau genommen mehr versprochen, als sie halten konnte, ja sie hatte im Grunde etwas zugesagt, was gefährlich für alle Theile war. Frau Julien selbst hatte sie seit Monaten nicht gesprochen, denn der alte Schnorrigl hatte ihr peremptorisch das Haus verboten, als sie nach den erwähnten Unglücksfällen einen Besuch machen wollte. Zwar fehlte es nicht an Gelegenheiten, Frau Julien indirect eine Botschaft zukommen zu lassen. Da war zuerst der lahme Milchmann, dann der rothe Hansjürge, der zuweilen Fische brachte, auch die Zeitungsfrau und der Postbote ließen sich gewinnen, aber die brave Frau Conrectorin wollte einmal keine krummen Wege gehen. Außerdem aber war sie unzufrieden mit sich selbst, denn sie hatte sich gleichsam überrumpeln lassen und dem Vetter Dienste angeboten, die ihr Gewissen nicht gutheißen konnte. Dann war noch ein sonderbarer Umstand dazugekommen, der ihre Unruhe nicht wenig vermehrte. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <pb facs="#f0068"/> <p>Damit schob sie ihn zur Thür hinaus. Die hohen Himbeerbüsche nickten hinter ihm, und die Bienen summten. Die Rosen dufteten, und die Schwalben flogen niedriger in der Abendkühle um das schindelgedeckte Wohnhaus und die grüne, dichte Gartenwildniß am Wasser.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="3"> <head>III.</head> <p>Die gute Frau Conrectorin hatte genau genommen mehr versprochen, als sie halten konnte, ja sie hatte im Grunde etwas zugesagt, was gefährlich für alle Theile war. Frau Julien selbst hatte sie seit Monaten nicht gesprochen, denn der alte Schnorrigl hatte ihr peremptorisch das Haus verboten, als sie nach den erwähnten Unglücksfällen einen Besuch machen wollte. Zwar fehlte es nicht an Gelegenheiten, Frau Julien indirect eine Botschaft zukommen zu lassen. Da war zuerst der lahme Milchmann, dann der rothe Hansjürge, der zuweilen Fische brachte, auch die Zeitungsfrau und der Postbote ließen sich gewinnen, aber die brave Frau Conrectorin wollte einmal keine krummen Wege gehen.</p><lb/> <p>Außerdem aber war sie unzufrieden mit sich selbst, denn sie hatte sich gleichsam überrumpeln lassen und dem Vetter Dienste angeboten, die ihr Gewissen nicht gutheißen konnte.</p><lb/> <p>Dann war noch ein sonderbarer Umstand dazugekommen, der ihre Unruhe nicht wenig vermehrte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
Damit schob sie ihn zur Thür hinaus. Die hohen Himbeerbüsche nickten hinter ihm, und die Bienen summten. Die Rosen dufteten, und die Schwalben flogen niedriger in der Abendkühle um das schindelgedeckte Wohnhaus und die grüne, dichte Gartenwildniß am Wasser.
III. Die gute Frau Conrectorin hatte genau genommen mehr versprochen, als sie halten konnte, ja sie hatte im Grunde etwas zugesagt, was gefährlich für alle Theile war. Frau Julien selbst hatte sie seit Monaten nicht gesprochen, denn der alte Schnorrigl hatte ihr peremptorisch das Haus verboten, als sie nach den erwähnten Unglücksfällen einen Besuch machen wollte. Zwar fehlte es nicht an Gelegenheiten, Frau Julien indirect eine Botschaft zukommen zu lassen. Da war zuerst der lahme Milchmann, dann der rothe Hansjürge, der zuweilen Fische brachte, auch die Zeitungsfrau und der Postbote ließen sich gewinnen, aber die brave Frau Conrectorin wollte einmal keine krummen Wege gehen.
Außerdem aber war sie unzufrieden mit sich selbst, denn sie hatte sich gleichsam überrumpeln lassen und dem Vetter Dienste angeboten, die ihr Gewissen nicht gutheißen konnte.
Dann war noch ein sonderbarer Umstand dazugekommen, der ihre Unruhe nicht wenig vermehrte.
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Zitationshilfe: | Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/68>, abgerufen am 16.07.2024. |