Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Höre mir nur einer diesen alten, verliebten Schäfer, lachte die Frau Conrectorin. Vetter, Sie sind doch eigentlich ein recht unsittlicher Mensch geworden. Wer hätte das von Ihnen denken sollen! Wissen Sie denn auch -- und dies muß ich Ihnen jetzt noch als Warnung mit auf den Weg geben -- wissen Sie auch, daß, selbst wenn Sie ernstlich eine Heirath im Sinne hätten, dies seine bedeutenden Schwierigkeiten haben würde? Denn es stände dann noch eine Scheidung dazwischen oder wenigstens eine Nichtigkeitserklärung ihrer ersten Ehe. Das vorigemal erzählte ich Ihnen, daß Juliens Mann, Herr Aloys Heister, gestorben sei -- inzwischen habe ich erfahren, daß er noch am Leben ist. Nun wissen Sie, an welchem Abgrund Sie stehen! Vetter Isidor stand einen Augenblick wie verdutzt, dann rief er: Bah, was liegt an hundert solchen Männern? Gar nichts liegt an diesem Patron, gar nichts an diesem Caliban! Hat er diesen Engel in das Elend stürzen können, so verdient er auch keine Schonung. Ich bin zu jeder Schandthat fähig! Ja, das glaub' ich, rief die Conrectorin empört. Und nun kein Wort mehr, Sie ruchloser Mensch. Nein, nein, ich will nichts mehr hören, nichts in der Welt, nichts in der Welt! und indem sie sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt, lief die ehrliche Frau aus dem Gartenhäuschen in den Garten und von dort in das Wohnhaus. Höre mir nur einer diesen alten, verliebten Schäfer, lachte die Frau Conrectorin. Vetter, Sie sind doch eigentlich ein recht unsittlicher Mensch geworden. Wer hätte das von Ihnen denken sollen! Wissen Sie denn auch — und dies muß ich Ihnen jetzt noch als Warnung mit auf den Weg geben — wissen Sie auch, daß, selbst wenn Sie ernstlich eine Heirath im Sinne hätten, dies seine bedeutenden Schwierigkeiten haben würde? Denn es stände dann noch eine Scheidung dazwischen oder wenigstens eine Nichtigkeitserklärung ihrer ersten Ehe. Das vorigemal erzählte ich Ihnen, daß Juliens Mann, Herr Aloys Heister, gestorben sei — inzwischen habe ich erfahren, daß er noch am Leben ist. Nun wissen Sie, an welchem Abgrund Sie stehen! Vetter Isidor stand einen Augenblick wie verdutzt, dann rief er: Bah, was liegt an hundert solchen Männern? Gar nichts liegt an diesem Patron, gar nichts an diesem Caliban! Hat er diesen Engel in das Elend stürzen können, so verdient er auch keine Schonung. Ich bin zu jeder Schandthat fähig! Ja, das glaub' ich, rief die Conrectorin empört. Und nun kein Wort mehr, Sie ruchloser Mensch. Nein, nein, ich will nichts mehr hören, nichts in der Welt, nichts in der Welt! und indem sie sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt, lief die ehrliche Frau aus dem Gartenhäuschen in den Garten und von dort in das Wohnhaus. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <pb facs="#f0063"/> <p>Höre mir nur einer diesen alten, verliebten Schäfer, lachte die Frau Conrectorin. Vetter, Sie sind doch eigentlich ein recht unsittlicher Mensch geworden. Wer hätte das von Ihnen denken sollen! Wissen Sie denn auch — und dies muß ich Ihnen jetzt noch als Warnung mit auf den Weg geben — wissen Sie auch, daß, selbst wenn Sie ernstlich eine Heirath im Sinne hätten, dies seine bedeutenden Schwierigkeiten haben würde? Denn es stände dann noch eine Scheidung dazwischen oder wenigstens eine Nichtigkeitserklärung ihrer ersten Ehe. Das vorigemal erzählte ich Ihnen, daß Juliens Mann, Herr Aloys Heister, gestorben sei — inzwischen habe ich erfahren, daß er noch am Leben ist. Nun wissen Sie, an welchem Abgrund Sie stehen!</p><lb/> <p>Vetter Isidor stand einen Augenblick wie verdutzt, dann rief er: Bah, was liegt an hundert solchen Männern? Gar nichts liegt an diesem Patron, gar nichts an diesem Caliban! Hat er diesen Engel in das Elend stürzen können, so verdient er auch keine Schonung. Ich bin zu jeder Schandthat fähig!</p><lb/> <p>Ja, das glaub' ich, rief die Conrectorin empört. Und nun kein Wort mehr, Sie ruchloser Mensch. Nein, nein, ich will nichts mehr hören, nichts in der Welt, nichts in der Welt! und indem sie sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt, lief die ehrliche Frau aus dem Gartenhäuschen in den Garten und von dort in das Wohnhaus.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
Höre mir nur einer diesen alten, verliebten Schäfer, lachte die Frau Conrectorin. Vetter, Sie sind doch eigentlich ein recht unsittlicher Mensch geworden. Wer hätte das von Ihnen denken sollen! Wissen Sie denn auch — und dies muß ich Ihnen jetzt noch als Warnung mit auf den Weg geben — wissen Sie auch, daß, selbst wenn Sie ernstlich eine Heirath im Sinne hätten, dies seine bedeutenden Schwierigkeiten haben würde? Denn es stände dann noch eine Scheidung dazwischen oder wenigstens eine Nichtigkeitserklärung ihrer ersten Ehe. Das vorigemal erzählte ich Ihnen, daß Juliens Mann, Herr Aloys Heister, gestorben sei — inzwischen habe ich erfahren, daß er noch am Leben ist. Nun wissen Sie, an welchem Abgrund Sie stehen!
Vetter Isidor stand einen Augenblick wie verdutzt, dann rief er: Bah, was liegt an hundert solchen Männern? Gar nichts liegt an diesem Patron, gar nichts an diesem Caliban! Hat er diesen Engel in das Elend stürzen können, so verdient er auch keine Schonung. Ich bin zu jeder Schandthat fähig!
Ja, das glaub' ich, rief die Conrectorin empört. Und nun kein Wort mehr, Sie ruchloser Mensch. Nein, nein, ich will nichts mehr hören, nichts in der Welt, nichts in der Welt! und indem sie sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt, lief die ehrliche Frau aus dem Gartenhäuschen in den Garten und von dort in das Wohnhaus.
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Zitationshilfe: | Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/63>, abgerufen am 16.07.2024. |