Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine Infamie, so, so -- dann ist's wohl noch eine größere Infamie, Familie zu haben, Vetterchen? -- Ihr verdient eigentlich gar nicht auf die Welt gekommen zu sein, denn die Welt hätte wenig an Euch verloren, Isidörchen, und Eure gute Mutter hätte auch besser gethan, Nein zu sagen, statt solchem Stockfisch das Leben zu geben, -- da sehe mir doch Einer! -- Die brave Frau Conrectorin hatte sich fast in Zorn geredet, der jedoch sofort verflog, als sie sah, daß Vetter Isidor an der Thüre noch einmal umkehrte; sie mußte lachen, denn der Vetter spielte wirklich eine drollige Figur.

Er hatte bereits seinen Strohhut, den ein himmelblaues Band schmückte, auf den blonden Locken, als er sich noch einmal umwandte.

Also Die da drüben, und er deutete mit dem Knopf des Regenschirms auf das Hofgut, hat auch schon Familie gehabt?

Sie lassen einen ja nicht ausreden, Vetter, und zur Strafe sollten Sie eigentlich nichts weiter hören. Nein, Kinder hat Frau Julia nie gehabt.

Erzählen Sie weiter, Frau Conrectorin, sagte der Vetter und lehnte sich nachdenklich an einen altmodischen Schrank, auf welchem in chinesischen Vasen alte Blumensträuße aus Schilfblüten und getrockneten Pflanzen prangten.

Die Frau Conrectorin sah den wunderlichen Vetter eine Weile über die Brille weg an, und zwar mit seltsam spöttischem, halb mitleidigem Blick. Dann

Eine Infamie, so, so — dann ist's wohl noch eine größere Infamie, Familie zu haben, Vetterchen? — Ihr verdient eigentlich gar nicht auf die Welt gekommen zu sein, denn die Welt hätte wenig an Euch verloren, Isidörchen, und Eure gute Mutter hätte auch besser gethan, Nein zu sagen, statt solchem Stockfisch das Leben zu geben, — da sehe mir doch Einer! — Die brave Frau Conrectorin hatte sich fast in Zorn geredet, der jedoch sofort verflog, als sie sah, daß Vetter Isidor an der Thüre noch einmal umkehrte; sie mußte lachen, denn der Vetter spielte wirklich eine drollige Figur.

Er hatte bereits seinen Strohhut, den ein himmelblaues Band schmückte, auf den blonden Locken, als er sich noch einmal umwandte.

Also Die da drüben, und er deutete mit dem Knopf des Regenschirms auf das Hofgut, hat auch schon Familie gehabt?

Sie lassen einen ja nicht ausreden, Vetter, und zur Strafe sollten Sie eigentlich nichts weiter hören. Nein, Kinder hat Frau Julia nie gehabt.

Erzählen Sie weiter, Frau Conrectorin, sagte der Vetter und lehnte sich nachdenklich an einen altmodischen Schrank, auf welchem in chinesischen Vasen alte Blumensträuße aus Schilfblüten und getrockneten Pflanzen prangten.

Die Frau Conrectorin sah den wunderlichen Vetter eine Weile über die Brille weg an, und zwar mit seltsam spöttischem, halb mitleidigem Blick. Dann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <pb facs="#f0027"/>
        <p>Eine Infamie, so, so &#x2014; dann ist's wohl noch eine größere Infamie, Familie zu haben,                Vetterchen? &#x2014; Ihr verdient eigentlich gar nicht auf die Welt gekommen zu sein, denn                die Welt hätte wenig an Euch verloren, Isidörchen, und Eure gute Mutter hätte auch                besser gethan, Nein zu sagen, statt solchem Stockfisch das Leben zu geben, &#x2014; da sehe                mir doch Einer! &#x2014; Die brave Frau Conrectorin hatte sich fast in Zorn geredet, der                jedoch sofort verflog, als sie sah, daß Vetter Isidor an der Thüre noch einmal                umkehrte; sie mußte lachen, denn der Vetter spielte wirklich eine drollige Figur.</p><lb/>
        <p>Er hatte bereits seinen Strohhut, den ein himmelblaues Band schmückte, auf den                blonden Locken, als er sich noch einmal umwandte.</p><lb/>
        <p>Also Die da drüben, und er deutete mit dem Knopf des Regenschirms auf das Hofgut, hat                auch schon Familie gehabt?</p><lb/>
        <p>Sie lassen einen ja nicht ausreden, Vetter, und zur Strafe sollten Sie eigentlich                nichts weiter hören. Nein, Kinder hat Frau Julia nie gehabt.</p><lb/>
        <p>Erzählen Sie weiter, Frau Conrectorin, sagte der Vetter und lehnte sich nachdenklich                an einen altmodischen Schrank, auf welchem in chinesischen Vasen alte Blumensträuße                aus Schilfblüten und getrockneten Pflanzen prangten.</p><lb/>
        <p>Die Frau Conrectorin sah den wunderlichen Vetter eine Weile über die Brille weg an,                und zwar mit seltsam spöttischem, halb mitleidigem Blick. Dann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] Eine Infamie, so, so — dann ist's wohl noch eine größere Infamie, Familie zu haben, Vetterchen? — Ihr verdient eigentlich gar nicht auf die Welt gekommen zu sein, denn die Welt hätte wenig an Euch verloren, Isidörchen, und Eure gute Mutter hätte auch besser gethan, Nein zu sagen, statt solchem Stockfisch das Leben zu geben, — da sehe mir doch Einer! — Die brave Frau Conrectorin hatte sich fast in Zorn geredet, der jedoch sofort verflog, als sie sah, daß Vetter Isidor an der Thüre noch einmal umkehrte; sie mußte lachen, denn der Vetter spielte wirklich eine drollige Figur. Er hatte bereits seinen Strohhut, den ein himmelblaues Band schmückte, auf den blonden Locken, als er sich noch einmal umwandte. Also Die da drüben, und er deutete mit dem Knopf des Regenschirms auf das Hofgut, hat auch schon Familie gehabt? Sie lassen einen ja nicht ausreden, Vetter, und zur Strafe sollten Sie eigentlich nichts weiter hören. Nein, Kinder hat Frau Julia nie gehabt. Erzählen Sie weiter, Frau Conrectorin, sagte der Vetter und lehnte sich nachdenklich an einen altmodischen Schrank, auf welchem in chinesischen Vasen alte Blumensträuße aus Schilfblüten und getrockneten Pflanzen prangten. Die Frau Conrectorin sah den wunderlichen Vetter eine Weile über die Brille weg an, und zwar mit seltsam spöttischem, halb mitleidigem Blick. Dann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/27
Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/27>, abgerufen am 24.11.2024.