Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sein, sich durch offenes Aussprechen endlich das Herz zu erleichtern, und darauf hatte die Frau Conrectorin gerechnet.

Wir kamen zunächst auf die Eisenbahn, begann er mit trockenem Tone, das heißt, ich ließ auf Frau Juliens Befehl zur Eisenbahn fahren, denn sie behandelte mich gleich von Anfang an als ihren Untergebenen und Reisecourier. Wohin wollen Sie? fragte ich. -- Nehmen Sie nur gleich Billets bis Chur. -- Gut, das geschah. Am Nachmittag schon waren wir in Rorschach. Was soll ich Sie mit allen Einzelheiten belästigen? Es war keine sehr romantische Fahrt. Mitten auf dem Bodensee, den ich zum Erstenmal sah, begann es zu regnen, und wir mußten hinab in die Kajüte. -- Drunten aber waren allerlei Kornmäkler und Viehzüchter, die uns mit zudringlichen Augen anstarrten, so daß wir es lieber vorzogen, wieder auf das Verdeck zu steigen. Ich sage Ihnen, wir haben elend gefroren in der Nässe, und dazu die miserable Angst. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich sah überall Gefahren. Jeder Passagier kam mir vor wie ein Spion, und da sich ein leichter Nebel über das weite Wasser legte, fürchtete ich, daß wir unfehlbar einen Zusammenstoß mit einem anderen Dampfschiff erleben würden, wie es erst neulich vorgekommen war. In Rorschach blieben wir einige Stunden, denn wir waren doch nun auf freiem schweizerischem Boden. Frau Julia wollte durchaus einen Spaziergang durch die saubere Stadt machen, aber ich fürchtete immer, wir

sein, sich durch offenes Aussprechen endlich das Herz zu erleichtern, und darauf hatte die Frau Conrectorin gerechnet.

Wir kamen zunächst auf die Eisenbahn, begann er mit trockenem Tone, das heißt, ich ließ auf Frau Juliens Befehl zur Eisenbahn fahren, denn sie behandelte mich gleich von Anfang an als ihren Untergebenen und Reisecourier. Wohin wollen Sie? fragte ich. — Nehmen Sie nur gleich Billets bis Chur. — Gut, das geschah. Am Nachmittag schon waren wir in Rorschach. Was soll ich Sie mit allen Einzelheiten belästigen? Es war keine sehr romantische Fahrt. Mitten auf dem Bodensee, den ich zum Erstenmal sah, begann es zu regnen, und wir mußten hinab in die Kajüte. — Drunten aber waren allerlei Kornmäkler und Viehzüchter, die uns mit zudringlichen Augen anstarrten, so daß wir es lieber vorzogen, wieder auf das Verdeck zu steigen. Ich sage Ihnen, wir haben elend gefroren in der Nässe, und dazu die miserable Angst. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich sah überall Gefahren. Jeder Passagier kam mir vor wie ein Spion, und da sich ein leichter Nebel über das weite Wasser legte, fürchtete ich, daß wir unfehlbar einen Zusammenstoß mit einem anderen Dampfschiff erleben würden, wie es erst neulich vorgekommen war. In Rorschach blieben wir einige Stunden, denn wir waren doch nun auf freiem schweizerischem Boden. Frau Julia wollte durchaus einen Spaziergang durch die saubere Stadt machen, aber ich fürchtete immer, wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="5">
        <p><pb facs="#f0120"/>
sein, sich durch offenes Aussprechen endlich das Herz zu erleichtern, und darauf                hatte die Frau Conrectorin gerechnet.</p><lb/>
        <p>Wir kamen zunächst auf die Eisenbahn, begann er mit trockenem Tone, das heißt, ich                ließ auf Frau Juliens Befehl zur Eisenbahn fahren, denn sie behandelte mich gleich                von Anfang an als ihren Untergebenen und Reisecourier. Wohin wollen Sie? fragte ich.                &#x2014; Nehmen Sie nur gleich Billets bis Chur. &#x2014; Gut, das geschah. Am Nachmittag schon                waren wir in Rorschach. Was soll ich Sie mit allen Einzelheiten belästigen? Es war                keine sehr romantische Fahrt. Mitten auf dem Bodensee, den ich zum Erstenmal sah,                begann es zu regnen, und wir mußten hinab in die Kajüte. &#x2014; Drunten aber waren                allerlei Kornmäkler und Viehzüchter, die uns mit zudringlichen Augen anstarrten, so                daß wir es lieber vorzogen, wieder auf das Verdeck zu steigen. Ich sage Ihnen, wir                haben elend gefroren in der Nässe, und dazu die miserable Angst. Ich weiß nicht, wie                es kam, aber ich sah überall Gefahren. Jeder Passagier kam mir vor wie ein Spion, und                da sich ein leichter Nebel über das weite Wasser legte, fürchtete ich, daß wir                unfehlbar einen Zusammenstoß mit einem anderen Dampfschiff erleben würden, wie es                erst neulich vorgekommen war. In Rorschach blieben wir einige Stunden, denn wir waren                doch nun auf freiem schweizerischem Boden. Frau Julia wollte durchaus einen                Spaziergang durch die saubere Stadt machen, aber ich fürchtete immer, wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] sein, sich durch offenes Aussprechen endlich das Herz zu erleichtern, und darauf hatte die Frau Conrectorin gerechnet. Wir kamen zunächst auf die Eisenbahn, begann er mit trockenem Tone, das heißt, ich ließ auf Frau Juliens Befehl zur Eisenbahn fahren, denn sie behandelte mich gleich von Anfang an als ihren Untergebenen und Reisecourier. Wohin wollen Sie? fragte ich. — Nehmen Sie nur gleich Billets bis Chur. — Gut, das geschah. Am Nachmittag schon waren wir in Rorschach. Was soll ich Sie mit allen Einzelheiten belästigen? Es war keine sehr romantische Fahrt. Mitten auf dem Bodensee, den ich zum Erstenmal sah, begann es zu regnen, und wir mußten hinab in die Kajüte. — Drunten aber waren allerlei Kornmäkler und Viehzüchter, die uns mit zudringlichen Augen anstarrten, so daß wir es lieber vorzogen, wieder auf das Verdeck zu steigen. Ich sage Ihnen, wir haben elend gefroren in der Nässe, und dazu die miserable Angst. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich sah überall Gefahren. Jeder Passagier kam mir vor wie ein Spion, und da sich ein leichter Nebel über das weite Wasser legte, fürchtete ich, daß wir unfehlbar einen Zusammenstoß mit einem anderen Dampfschiff erleben würden, wie es erst neulich vorgekommen war. In Rorschach blieben wir einige Stunden, denn wir waren doch nun auf freiem schweizerischem Boden. Frau Julia wollte durchaus einen Spaziergang durch die saubere Stadt machen, aber ich fürchtete immer, wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/120
Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/120>, abgerufen am 23.11.2024.