German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.Erstes Buch. ment biß 10. Uhr/ ehe er mit mir zum Gouverneurgieng/ ihm meinen Entschluß zu sagen/ damit er bey demselben/ weil er ein freye Tafel hielte/ zu Mittags ein Gast seyn könne; dann es war damals Hanau blocquirt/ und ein solche klemme Zeit bey dem gemei- nen Mann/ bevorab den geflehnten Leuten in selbiger Vestung/ daß auch etliche/ die sich etwas einbildeten/ die angefrorne Rübschälen auff der Gassen/ so die Reiche etwan hinwarffen/ auffzuheben nit verschmä- heten: Es glückte ihm auch so wol/ daß er neben den Gouverneur selbst über der Tafel zu sitzen kam/ ich aber wartete auff mit einem Deller in der Hand/ wie mich der Hofmeister anwiese; in welches ich mich zu schicken wuste/ wie ein Esel ins Schach-Spiel: Aber der Pfarrer ersetzte allein mit seiner Zung/ was die Ungeschicklichkeit meines Leibs nicht vermochte/ Er sagte/ daß ich in der Wildnus erzogen/ niemals bey Leuten gewesen/ und dahero wol vor entschuldigt zu halten/ weil ich noch nicht wissen könte/ wie ich mich halten solte; meine Treu/ die ich dem Einsidel erwiesen/ und das harte Leben/ so ich bey demselben überstanden/ wären verwunderns würdig/ und allein werth/ nicht allein meine Ungeschicklichkeit zu ge- dulden/ sondern auch mich dem feinsten Edelknaben vorzuziehen. Weiters erzehlte er/ daß der Einsidel alle seine Freud an mir gehabt/ weil ich/ wie er öff- ters gesagt/ seiner Liebsten von Angesicht so ähnlich seye/ und daß er sich offt über meine Beständigkeit und ohnveränderlichen Willen/ bey ihm zu bleiben/ und sonst noch über viel Tugenden/ die er an mir ge- rühmt/ verwundert hätte. Jn Summa/ er konte nicht genugsam außsprechen/ wie mit ernstlicher Jnbrün- stigkeit D jv
Erſtes Buch. ment biß 10. Uhr/ ehe er mit mir zum Gouverneurgieng/ ihm meinen Entſchluß zu ſagen/ damit er bey demſelben/ weil er ein freye Tafel hielte/ zu Mittags ein Gaſt ſeyn koͤnne; dann es war damals Hanau blocquirt/ und ein ſolche klemme Zeit bey dem gemei- nen Mann/ bevorab den geflehnten Leuten in ſelbiger Veſtung/ daß auch etliche/ die ſich etwas einbildeten/ die angefrorne Ruͤbſchaͤlen auff der Gaſſen/ ſo die Reiche etwan hinwarffen/ auffzuheben nit verſchmaͤ- heten: Es gluͤckte ihm auch ſo wol/ daß er neben den Gouverneur ſelbſt uͤber der Tafel zu ſitzen kam/ ich aber wartete auff mit einem Deller in der Hand/ wie mich der Hofmeiſter anwieſe; in welches ich mich zu ſchicken wuſte/ wie ein Eſel ins Schach-Spiel: Aber der Pfarꝛer erſetzte allein mit ſeiner Zung/ was die Ungeſchicklichkeit meines Leibs nicht vermochte/ Er ſagte/ daß ich in der Wildnus erzogen/ niemals bey Leuten geweſen/ und dahero wol vor entſchuldigt zu halten/ weil ich noch nicht wiſſen koͤnte/ wie ich mich halten ſolte; meine Treu/ die ich dem Einſidel erwieſen/ und das harte Leben/ ſo ich bey demſelben uͤberſtanden/ waͤren verwunderns wuͤrdig/ und allein werth/ nicht allein meine Ungeſchicklichkeit zu ge- dulden/ ſondern auch mich dem feinſten Edelknaben vorzuziehen. Weiters erzehlte er/ daß der Einſidel alle ſeine Freud an mir gehabt/ weil ich/ wie er oͤff- ters geſagt/ ſeiner Liebſten von Angeſicht ſo aͤhnlich ſeye/ und daß er ſich offt uͤber meine Beſtaͤndigkeit und ohnveraͤnderlichen Willen/ bey ihm zu bleiben/ und ſonſt noch uͤber viel Tugenden/ die er an mir ge- ruͤhmt/ verwundert haͤtte. Jn Summa/ er konte nicht genugſam außſprechen/ wie mit ernſtlicher Jnbruͤn- ſtigkeit D jv
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0087" n="81"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erſtes Buch.</hi></fw><lb/> ment biß 10. Uhr/ ehe er mit mir zum <hi rendition="#aq">Gouverneur</hi><lb/> gieng/ ihm meinen Entſchluß zu ſagen/ damit er bey<lb/> demſelben/ weil er ein freye Tafel hielte/ zu Mittags<lb/> ein Gaſt ſeyn koͤnne; dann es war damals Hanau<lb/> blocquirt/ und ein ſolche klemme Zeit bey dem gemei-<lb/> nen Mann/ bevorab den geflehnten Leuten in ſelbiger<lb/> Veſtung/ daß auch etliche/ die ſich etwas einbildeten/<lb/> die angefrorne Ruͤbſchaͤlen auff der Gaſſen/ ſo die<lb/> Reiche etwan hinwarffen/ auffzuheben nit verſchmaͤ-<lb/> heten: Es gluͤckte ihm auch ſo wol/ daß er neben den<lb/><hi rendition="#aq">Gouverneur</hi> ſelbſt uͤber der Tafel zu ſitzen kam/ ich<lb/> aber wartete auff mit einem Deller in der Hand/ wie<lb/> mich der Hofmeiſter anwieſe; in welches ich mich<lb/> zu ſchicken wuſte/ wie ein Eſel ins Schach-Spiel:<lb/> Aber der Pfarꝛer erſetzte allein mit ſeiner Zung/ was<lb/> die Ungeſchicklichkeit meines Leibs nicht vermochte/<lb/> Er ſagte/ daß ich in der Wildnus erzogen/ niemals<lb/> bey Leuten geweſen/ und dahero wol vor entſchuldigt<lb/> zu halten/ weil ich noch nicht wiſſen koͤnte/ wie ich<lb/> mich halten ſolte; meine Treu/ die ich dem Einſidel<lb/> erwieſen/ und das harte Leben/ ſo ich bey demſelben<lb/> uͤberſtanden/ waͤren verwunderns wuͤrdig/ und allein<lb/> werth/ nicht allein meine Ungeſchicklichkeit zu ge-<lb/> dulden/ ſondern auch mich dem feinſten Edelknaben<lb/> vorzuziehen. Weiters erzehlte er/ daß der Einſidel<lb/> alle ſeine Freud an mir gehabt/ weil ich/ wie er oͤff-<lb/> ters geſagt/ ſeiner Liebſten von Angeſicht ſo aͤhnlich<lb/> ſeye/ und daß er ſich offt uͤber meine Beſtaͤndigkeit<lb/> und ohnveraͤnderlichen Willen/ bey ihm zu bleiben/<lb/> und ſonſt noch uͤber viel Tugenden/ die er an mir ge-<lb/> ruͤhmt/ verwundert haͤtte. Jn Summa/ er konte nicht<lb/> genugſam außſprechen/ wie mit ernſtlicher Jnbruͤn-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">D jv</fw><fw place="bottom" type="catch">ſtigkeit</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [81/0087]
Erſtes Buch.
ment biß 10. Uhr/ ehe er mit mir zum Gouverneur
gieng/ ihm meinen Entſchluß zu ſagen/ damit er bey
demſelben/ weil er ein freye Tafel hielte/ zu Mittags
ein Gaſt ſeyn koͤnne; dann es war damals Hanau
blocquirt/ und ein ſolche klemme Zeit bey dem gemei-
nen Mann/ bevorab den geflehnten Leuten in ſelbiger
Veſtung/ daß auch etliche/ die ſich etwas einbildeten/
die angefrorne Ruͤbſchaͤlen auff der Gaſſen/ ſo die
Reiche etwan hinwarffen/ auffzuheben nit verſchmaͤ-
heten: Es gluͤckte ihm auch ſo wol/ daß er neben den
Gouverneur ſelbſt uͤber der Tafel zu ſitzen kam/ ich
aber wartete auff mit einem Deller in der Hand/ wie
mich der Hofmeiſter anwieſe; in welches ich mich
zu ſchicken wuſte/ wie ein Eſel ins Schach-Spiel:
Aber der Pfarꝛer erſetzte allein mit ſeiner Zung/ was
die Ungeſchicklichkeit meines Leibs nicht vermochte/
Er ſagte/ daß ich in der Wildnus erzogen/ niemals
bey Leuten geweſen/ und dahero wol vor entſchuldigt
zu halten/ weil ich noch nicht wiſſen koͤnte/ wie ich
mich halten ſolte; meine Treu/ die ich dem Einſidel
erwieſen/ und das harte Leben/ ſo ich bey demſelben
uͤberſtanden/ waͤren verwunderns wuͤrdig/ und allein
werth/ nicht allein meine Ungeſchicklichkeit zu ge-
dulden/ ſondern auch mich dem feinſten Edelknaben
vorzuziehen. Weiters erzehlte er/ daß der Einſidel
alle ſeine Freud an mir gehabt/ weil ich/ wie er oͤff-
ters geſagt/ ſeiner Liebſten von Angeſicht ſo aͤhnlich
ſeye/ und daß er ſich offt uͤber meine Beſtaͤndigkeit
und ohnveraͤnderlichen Willen/ bey ihm zu bleiben/
und ſonſt noch uͤber viel Tugenden/ die er an mir ge-
ruͤhmt/ verwundert haͤtte. Jn Summa/ er konte nicht
genugſam außſprechen/ wie mit ernſtlicher Jnbruͤn-
ſtigkeit
D jv
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDer angegebene Verlag (Fillion) ist fiktiv. Die k… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |