German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.Fünfftes Buch. redlich/ warhafftig/ demütig/ eingezogen/ mäs-sig/ keusch/ schamhafftig/ fromm und andäch- tig; bin aber bald boßhafftig/ falsch/ verlogen/ hoffärtig/ unruhig/ und überall gantz gottlos wor- den/ welche Laster ich alle ohne einen Lehrmeister gelernet; Jch nam meine Ehr in acht/ nicht ihrer selbst/ sondern meiner Erhöhung wegen; Jch beob- achtet die Zeit/ nicht solche zu meiner Seeligkeit wol anzulegen/ sondern meinem Leib zu nutz zu machen; Jch hab mein Leben vielmal in Gefahr geben/ und hab mich doch niemal beflissen solches zu bessern/ da- mit ich auch getrost und seelig sterben könte; Jch sahe nur auff das gegenwärtige und meinen zeitlichen Nutz/ und gedachte nicht einmal an das künfftige/ viel weniger/ daß ich dermaleins vor Gottes Ange- sicht müste Rechenschafft geben! Mit solchen Ge- dancken quälte ich mich täglich/ und eben damals kamen mir etliche Schrifften deß Queva[r]ae unter die Hände/ darvon ich etwas hieher setzen muß/ weil sie so kräfftig waren/ mir die Welt vollends zu erleiden. Diese lauteten also: Das XXIV. Capitel. ADjeu Welt/ dann auff dich ist nicht zu trauen/ unter C c vj
Fuͤnfftes Buch. redlich/ warhafftig/ demuͤtig/ eingezogen/ maͤſ-ſig/ keuſch/ ſchamhafftig/ fromm und andaͤch- tig; bin aber bald boßhafftig/ falſch/ verlogen/ hoffaͤrtig/ unruhig/ und uͤberall gantz gottlos woꝛ- den/ welche Laſter ich alle ohne einen Lehrmeiſter gelernet; Jch nam meine Ehr in acht/ nicht ihrer ſelbſt/ ſondern meiner Erhoͤhung wegen; Jch beob- achtet die Zeit/ nicht ſolche zu meiner Seeligkeit wol anzulegen/ ſondern meinem Leib zu nutz zu machen; Jch hab mein Leben vielmal in Gefahr geben/ und hab mich doch niemal befliſſen ſolches zu beſſern/ da- mit ich auch getroſt und ſeelig ſterben koͤnte; Jch ſahe nur auff das gegenwaͤrtige und meinen zeitlichen Nutz/ und gedachte nicht einmal an das kuͤnfftige/ viel weniger/ daß ich dermaleins vor Gottes Ange- ſicht muͤſte Rechenſchafft geben! Mit ſolchen Ge- dancken quaͤlte ich mich taͤglich/ und eben damals kamen mir etliche Schrifften deß Queva[r]æ unter die Haͤnde/ darvon ich etwas hieher ſetzen muß/ weil ſie ſo kraͤfftig waren/ mir die Welt vollends zu erleiden. Dieſe lauteten alſo: Das XXIV. Capitel. ADjeu Welt/ dann auff dich iſt nicht zu trauen/ unter C c vj
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Fuͤnfftes Buch.
redlich/ warhafftig/ demuͤtig/ eingezogen/ maͤſ-
ſig/ keuſch/ ſchamhafftig/ fromm und andaͤch-
tig; bin aber bald boßhafftig/ falſch/ verlogen/
hoffaͤrtig/ unruhig/ und uͤberall gantz gottlos woꝛ-
den/ welche Laſter ich alle ohne einen Lehrmeiſter
gelernet; Jch nam meine Ehr in acht/ nicht ihrer
ſelbſt/ ſondern meiner Erhoͤhung wegen; Jch beob-
achtet die Zeit/ nicht ſolche zu meiner Seeligkeit wol
anzulegen/ ſondern meinem Leib zu nutz zu machen;
Jch hab mein Leben vielmal in Gefahr geben/ und
hab mich doch niemal befliſſen ſolches zu beſſern/ da-
mit ich auch getroſt und ſeelig ſterben koͤnte; Jch ſahe
nur auff das gegenwaͤrtige und meinen zeitlichen
Nutz/ und gedachte nicht einmal an das kuͤnfftige/
viel weniger/ daß ich dermaleins vor Gottes Ange-
ſicht muͤſte Rechenſchafft geben! Mit ſolchen Ge-
dancken quaͤlte ich mich taͤglich/ und eben damals
kamen mir etliche Schrifften deß Quevaræ unter die
Haͤnde/ darvon ich etwas hieher ſetzen muß/ weil ſie
ſo kraͤfftig waren/ mir die Welt vollends zu erleiden.
Dieſe lauteten alſo:
Das XXIV. Capitel.
ADjeu Welt/ dann auff dich iſt nicht zu trauen/
noch von dir nichts zu hoffen/ in deinem Hauß
iſt das vergangene ſchon verſchwunden/ das gegen-
waͤrtige verſchwindet uns unter den Haͤnden/ das
zukuͤnfftige hat nie angefangen/ das aller-beſtaͤndig-
ſte faͤllt/ das aller-ſtaͤrckſte zerbricht/ und das aller-
ewigſte nimmt ein End; alſo/ daß du ein Todter biſt
unter
C c vj
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