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Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi Oder Der Schluß desselben. Nürnberg, 1669.

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Marggraffschafft Baaden zu/ den Rheinstrom hi-
nunter; in welcher Gegend die Statt Straßburg
mit ihrem hohen Münster-Thum gleichsamb wie
das Hertz mitten mit einem Leib beschlossen hervor
pranget; mit solchem Außsehen und Betrachtun-
gen so schöner Lands-Gegend delectirte ich mich
mehr als ich eyferig bettete; warzu mir mein Per-
spectiv dem ich noch nicht resignirt, treflich anfrisch-
te; wann ich mich aber desselbigen wegen der dunck-
len Nacht nicht mehr gebrauchen kondte/ so nahm
ich mein Jnstrument/ welches ich zu Stärckung des
gehörs erfunden/ zu handen/ und horchte dardurch/
wie etwan uff etlich Sundt Wegs weit von mir die
Bauren Hund bellen/ oder sich ein Gewilt in meiner
Nachbarschafft regte; mit solcher Thorheit gieng ich
umb/ und lieste mit der Zeit zugleich arbeiten und
betten bleiben/ wordurch sie hiebevor die alte Egyp-
tische Einsidel beydes Leib und Geistlicher Weiß er-
halten; Anfänglich als ich noch neu war/ gieng ich
zu Hauß zu Hauß in den nächsten Thälern herumb/
und suchte zu Auffenthaltung meines Lebens das
Allmosen/ nahm auch nit mehr als was ich plößlich
bedorffte/ und sonderlich verachte ich das Gelt/ wel-
ches die umbligende Nachbaren vor ein groß Wun-
der: Ja für ein sonderbare Apostolische Heiligkeit
an mir schätzten; so bald aber meine Wohnung be-
kandt wurde/ kam kein Waldgenoß mehr in Wald/
der mir nit etwas von Essen-Speissen mit sich ge-
bracht hette; diese rühmten meine Heyligkeit und
ungewöhnliches Einsidlerisches Leben auch ander-
werts/ also daß auch die etwas weiters wohnende
Leuth entweder auß Fürwitz oder Andacht getriben/
mit grosser Mühe zu mir kamen/ und mich mit ihren

Ver-
A 5

Marggraffſchafft Baaden zu/ den Rheinſtrom hi-
nunter; in welcher Gegend die Statt Straßburg
mit ihrem hohen Muͤnſter-Thum gleichſamb wie
das Hertz mitten mit einem Leib beſchloſſen hervor
pranget; mit ſolchem Außſehen und Betrachtun-
gen ſo ſchoͤner Lands-Gegend delectirte ich mich
mehr als ich eyferig bettete; warzu mir mein Per-
ſpectiv dem ich noch nicht reſignirt, treflich anfriſch-
te; wann ich mich aber deſſelbigen wegen der dunck-
len Nacht nicht mehr gebrauchen kondte/ ſo nahm
ich mein Jnſtrument/ welches ich zu Staͤrckung des
gehoͤrs erfunden/ zu handen/ und horchte dardurch/
wie etwan uff etlich Sundt Wegs weit von mir die
Bauren Hund bellen/ oder ſich ein Gewilt in meiner
Nachbarſchafft regte; mit ſolcher Thorheit gieng ich
umb/ und lieſte mit der Zeit zugleich arbeiten und
betten bleiben/ wordurch ſie hiebevor die alte Egyp-
tiſche Einſidel beydes Leib und Geiſtlicher Weiß er-
halten; Anfaͤnglich als ich noch neu war/ gieng ich
zu Hauß zu Hauß in den naͤchſten Thaͤlern herumb/
und ſuchte zu Auffenthaltung meines Lebens das
Allmoſen/ nahm auch nit mehr als was ich ploͤßlich
bedorffte/ und ſonderlich verachte ich das Gelt/ wel-
ches die umbligende Nachbaren vor ein groß Wun-
der: Ja fuͤr ein ſonderbare Apoſtoliſche Heiligkeit
an mir ſchaͤtzten; ſo bald aber meine Wohnung be-
kandt wurde/ kam kein Waldgenoß mehr in Wald/
der mir nit etwas von Eſſen-Speiſſen mit ſich ge-
bracht hette; dieſe ruͤhmten meine Heyligkeit und
ungewoͤhnliches Einſidleriſches Leben auch ander-
werts/ alſo daß auch die etwas weiters wohnende
Leuth entweder auß Fuͤrwitz oder Andacht getriben/
mit groſſer Muͤhe zu mir kamen/ und mich mit ihren

Ver-
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[0013] Marggraffſchafft Baaden zu/ den Rheinſtrom hi- nunter; in welcher Gegend die Statt Straßburg mit ihrem hohen Muͤnſter-Thum gleichſamb wie das Hertz mitten mit einem Leib beſchloſſen hervor pranget; mit ſolchem Außſehen und Betrachtun- gen ſo ſchoͤner Lands-Gegend delectirte ich mich mehr als ich eyferig bettete; warzu mir mein Per- ſpectiv dem ich noch nicht reſignirt, treflich anfriſch- te; wann ich mich aber deſſelbigen wegen der dunck- len Nacht nicht mehr gebrauchen kondte/ ſo nahm ich mein Jnſtrument/ welches ich zu Staͤrckung des gehoͤrs erfunden/ zu handen/ und horchte dardurch/ wie etwan uff etlich Sundt Wegs weit von mir die Bauren Hund bellen/ oder ſich ein Gewilt in meiner Nachbarſchafft regte; mit ſolcher Thorheit gieng ich umb/ und lieſte mit der Zeit zugleich arbeiten und betten bleiben/ wordurch ſie hiebevor die alte Egyp- tiſche Einſidel beydes Leib und Geiſtlicher Weiß er- halten; Anfaͤnglich als ich noch neu war/ gieng ich zu Hauß zu Hauß in den naͤchſten Thaͤlern herumb/ und ſuchte zu Auffenthaltung meines Lebens das Allmoſen/ nahm auch nit mehr als was ich ploͤßlich bedorffte/ und ſonderlich verachte ich das Gelt/ wel- ches die umbligende Nachbaren vor ein groß Wun- der: Ja fuͤr ein ſonderbare Apoſtoliſche Heiligkeit an mir ſchaͤtzten; ſo bald aber meine Wohnung be- kandt wurde/ kam kein Waldgenoß mehr in Wald/ der mir nit etwas von Eſſen-Speiſſen mit ſich ge- bracht hette; dieſe ruͤhmten meine Heyligkeit und ungewoͤhnliches Einſidleriſches Leben auch ander- werts/ alſo daß auch die etwas weiters wohnende Leuth entweder auß Fuͤrwitz oder Andacht getriben/ mit groſſer Muͤhe zu mir kamen/ und mich mit ihren Ver- A 5

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Zitationshilfe: Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi Oder Der Schluß desselben. Nürnberg, 1669, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_continuatio_1669/13>, abgerufen am 21.11.2024.