Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi Oder Der Schluß desselben. Nürnberg, 1669.

Bild:
<< vorherige Seite

nunmehr zuerzehlen/ wie ich mich in solchem Standt
verhalten; die erste baar Monat alldieweil auch die
erste Hitz noch tauret/ giengs treflich wol ab/ die Be-
gierde der fleischlichen Wollüste oder besser zusagen/
Vnlüste/ denen ich sonst treflich ergeben gewesen/
dämpffte ich gleich anfangs mit zimblicher geringer
Mühe/ dann weil ich dem Baccho vnd der Cerera
nit mehr dienete/ wolte Venus auch nicht mehr bey
mir einkehren; aber damit war ich drumb bey wei-
tem nit vollkommen/ sonder hatte stündlich tausend-
sältige Anfechtungen; wann ich etwan an meine al-
te begangne losse Stücklein gedachte und eine Reu
dardurch zuerwecken/ so kamen mir zugleich die Wol-
lüste mit ins Gedächtnuß/ deren ich etwan da und
dort genossen/ welches mir nit allemal gesund war/
noch zu meinem geistlichen Fortgang aufferbaulich;
wie ich mich seithero erinnert/ und der Sach nach-
gedacht/ ist der Müssiggang mein gröster Feind:
Und die Freyheit (weil ich keinem Geistlichen un-
derworffen/ der meiner gepflegt und wargenommen
hätte.) die Ursach gewesen/ daß ich nicht in meinem
angefangenen Leben beständig verharret; ich woh-
nete auff einem hohen Gebürg die Moß genant/ so
ein stück vom Schwartzwald: und überal mit einem
sinstern Dannen-Wald überwachsen ist/ von dem-
selben hatte ich ein schönes Außsehen gegen Auffgang
in das Oppenauer Thal und dessen Neben-Zincken;
gegen Mittag in das Kintzinger Thal und die Graf-
schafft Geroltzeck/ alwo dasselbe hohe Schloß zwi-
schen seinen benachbarten Bergen das Ansehen hat/
wie der König in einem auffgesetzten Kegel-Spill;
gegen Nidergang kondte ich das Ober und Unter El-
saß übersehen/ und gegen Mitternacht der Nidern

Marg-

nunmehr zuerzehlen/ wie ich mich in ſolchem Standt
verhalten; die erſte baar Monat alldieweil auch die
erſte Hitz noch tauret/ giengs treflich wol ab/ die Be-
gierde der fleiſchlichen Wolluͤſte oder beſſer zuſagen/
Vnluͤſte/ denen ich ſonſt treflich ergeben geweſen/
daͤmpffte ich gleich anfangs mit zimblicher geringer
Muͤhe/ dann weil ich dem Baccho vnd der Cerera
nit mehr dienete/ wolte Venus auch nicht mehr bey
mir einkehren; aber damit war ich drumb bey wei-
tem nit vollkommen/ ſonder hatte ſtuͤndlich tauſend-
ſaͤltige Anfechtungen; wann ich etwan an meine al-
te begangne loſſe Stuͤcklein gedachte und eine Reu
dardurch zuerwecken/ ſo kamen mir zugleich die Wol-
luͤſte mit ins Gedaͤchtnuß/ deren ich etwan da und
dort genoſſen/ welches mir nit allemal geſund war/
noch zu meinem geiſtlichen Fortgang aufferbaulich;
wie ich mich ſeithero erinnert/ und der Sach nach-
gedacht/ iſt der Muͤſſiggang mein groͤſter Feind:
Und die Freyheit (weil ich keinem Geiſtlichen un-
derworffen/ der meiner gepflegt und wargenommen
haͤtte.) die Urſach geweſen/ daß ich nicht in meinem
angefangenen Leben beſtaͤndig verharꝛet; ich woh-
nete auff einem hohen Gebuͤrg die Moß genant/ ſo
ein ſtuͤck vom Schwartzwald: und uͤberal mit einem
ſinſtern Dannen-Wald uͤberwachſen iſt/ von dem-
ſelben hatte ich ein ſchoͤnes Außſehen gegen Auffgang
in das Oppenauer Thal und deſſen Neben-Zincken;
gegen Mittag in das Kintzinger Thal und die Graf-
ſchafft Geroltzeck/ alwo daſſelbe hohe Schloß zwi-
ſchen ſeinen benachbarten Bergen das Anſehen hat/
wie der Koͤnig in einem auffgeſetzten Kegel-Spill;
gegen Nidergang kondte ich das Ober und Unter El-
ſaß uͤberſehen/ und gegen Mitternacht der Nidern

Marg-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012"/>
nunmehr zuerzehlen/ wie ich mich in &#x017F;olchem Standt<lb/>
verhalten; die er&#x017F;te baar Monat alldieweil auch die<lb/>
er&#x017F;te Hitz noch tauret/ giengs treflich wol ab/ die Be-<lb/>
gierde der flei&#x017F;chlichen Wollu&#x0364;&#x017F;te oder be&#x017F;&#x017F;er zu&#x017F;agen/<lb/>
Vnlu&#x0364;&#x017F;te/ denen ich &#x017F;on&#x017F;t treflich ergeben gewe&#x017F;en/<lb/>
da&#x0364;mpffte ich gleich anfangs mit zimblicher geringer<lb/>
Mu&#x0364;he/ dann weil ich dem <hi rendition="#aq">Baccho</hi> vnd der <hi rendition="#aq">Cerera</hi><lb/>
nit mehr dienete/ wolte <hi rendition="#aq">Venus</hi> auch nicht mehr bey<lb/>
mir einkehren; aber damit war ich drumb bey wei-<lb/>
tem nit vollkommen/ &#x017F;onder hatte &#x017F;tu&#x0364;ndlich tau&#x017F;end-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;ltige Anfechtungen; wann ich etwan an meine al-<lb/>
te begangne lo&#x017F;&#x017F;e Stu&#x0364;cklein gedachte und eine Reu<lb/><choice><sic>bardurch</sic><corr>dardurch</corr></choice> zuerwecken/ &#x017F;o kamen mir zugleich die Wol-<lb/>
lu&#x0364;&#x017F;te mit ins Geda&#x0364;chtnuß/ deren ich etwan da und<lb/>
dort geno&#x017F;&#x017F;en/ welches mir nit allemal ge&#x017F;und war/<lb/>
noch zu meinem gei&#x017F;tlichen Fortgang aufferbaulich;<lb/>
wie ich mich &#x017F;eithero erinnert/ und der Sach nach-<lb/>
gedacht/ i&#x017F;t der Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;iggang mein gro&#x0364;&#x017F;ter Feind:<lb/>
Und die Freyheit (weil ich keinem Gei&#x017F;tlichen un-<lb/>
derworffen/ der meiner gepflegt und wargenommen<lb/>
ha&#x0364;tte.) die Ur&#x017F;ach gewe&#x017F;en/ daß ich nicht in meinem<lb/>
angefangenen Leben be&#x017F;ta&#x0364;ndig verhar&#xA75B;et; ich woh-<lb/>
nete auff einem hohen Gebu&#x0364;rg die Moß genant/ &#x017F;o<lb/>
ein &#x017F;tu&#x0364;ck vom Schwartzwald: und u&#x0364;beral mit einem<lb/>
&#x017F;in&#x017F;tern Dannen-Wald u&#x0364;berwach&#x017F;en i&#x017F;t/ von dem-<lb/>
&#x017F;elben hatte ich ein &#x017F;cho&#x0364;nes Auß&#x017F;ehen gegen Auffgang<lb/>
in das Oppenauer Thal und de&#x017F;&#x017F;en Neben-Zincken;<lb/>
gegen Mittag in das Kintzinger Thal und die Graf-<lb/>
&#x017F;chafft Geroltzeck/ alwo da&#x017F;&#x017F;elbe hohe Schloß zwi-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;einen benachbarten Bergen das An&#x017F;ehen hat/<lb/>
wie der Ko&#x0364;nig in einem auffge&#x017F;etzten Kegel-Spill;<lb/>
gegen Nidergang kondte ich das Ober und Unter El-<lb/>
&#x017F;aß u&#x0364;ber&#x017F;ehen/ und gegen Mitternacht der Nidern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Marg-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] nunmehr zuerzehlen/ wie ich mich in ſolchem Standt verhalten; die erſte baar Monat alldieweil auch die erſte Hitz noch tauret/ giengs treflich wol ab/ die Be- gierde der fleiſchlichen Wolluͤſte oder beſſer zuſagen/ Vnluͤſte/ denen ich ſonſt treflich ergeben geweſen/ daͤmpffte ich gleich anfangs mit zimblicher geringer Muͤhe/ dann weil ich dem Baccho vnd der Cerera nit mehr dienete/ wolte Venus auch nicht mehr bey mir einkehren; aber damit war ich drumb bey wei- tem nit vollkommen/ ſonder hatte ſtuͤndlich tauſend- ſaͤltige Anfechtungen; wann ich etwan an meine al- te begangne loſſe Stuͤcklein gedachte und eine Reu dardurch zuerwecken/ ſo kamen mir zugleich die Wol- luͤſte mit ins Gedaͤchtnuß/ deren ich etwan da und dort genoſſen/ welches mir nit allemal geſund war/ noch zu meinem geiſtlichen Fortgang aufferbaulich; wie ich mich ſeithero erinnert/ und der Sach nach- gedacht/ iſt der Muͤſſiggang mein groͤſter Feind: Und die Freyheit (weil ich keinem Geiſtlichen un- derworffen/ der meiner gepflegt und wargenommen haͤtte.) die Urſach geweſen/ daß ich nicht in meinem angefangenen Leben beſtaͤndig verharꝛet; ich woh- nete auff einem hohen Gebuͤrg die Moß genant/ ſo ein ſtuͤck vom Schwartzwald: und uͤberal mit einem ſinſtern Dannen-Wald uͤberwachſen iſt/ von dem- ſelben hatte ich ein ſchoͤnes Außſehen gegen Auffgang in das Oppenauer Thal und deſſen Neben-Zincken; gegen Mittag in das Kintzinger Thal und die Graf- ſchafft Geroltzeck/ alwo daſſelbe hohe Schloß zwi- ſchen ſeinen benachbarten Bergen das Anſehen hat/ wie der Koͤnig in einem auffgeſetzten Kegel-Spill; gegen Nidergang kondte ich das Ober und Unter El- ſaß uͤberſehen/ und gegen Mitternacht der Nidern Marg-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_continuatio_1669
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_continuatio_1669/12
Zitationshilfe: Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi Oder Der Schluß desselben. Nürnberg, 1669, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_continuatio_1669/12>, abgerufen am 27.11.2024.