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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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noch ein Spielraum im großen übrig blieb, ja nothwendig war.
Wagenseil führt nur 8 sieben- und 7 achtreimige Töne an,
allein 30 von 20 und 16 von 21 Reimen. Indessen hat
z. B. Frauenlob vorzüglich eine Menge Lieder in seiner kur-
zen Weis (von 8 Reimen) gedichtet, von gewiß simpler Zu-
sammensetzung. Unter den Meistergesängen des 17ten Jahrh.
sind einige von solcher Einfachheit, daß sie darin alle Minne-
lieder zu übertreffen scheinen, wenn man ihnen das Gesuchte
und Gezwungene eben in dieser Kürze nicht ansähe. Ich ver-
weise auf des vielgeübten Ambr. Metzger's Felten und über-
kurze Senftkörnlin und Einbeer W. In der letzten ist nur ein
einziger Reim, auf den die zwei Zeilen jedes Stollen und die
eine des Abges. ausgehen, auch findet sich in der Silbenzahl
keine Abweichung (wie in gleichem Fall bei Canzler 2. 243.
"leider winter ungestalt etc."); aber gewiß ist durch die Musik
etwas hervorgehoben worden.

In dem Aufsteigen hingegen suchte einer den andern zu
überbieten, und unter den späten lassen sich mehrere Strophen
aufsuchen, die es zu hundert und drüber Reimen bringen.
Benedicts v. Watt Riesenweis hat 97, dessen überlanger
122, Puschmanns Adlerweis 100, M. Gumpels überlan-
ger T. 120, die eben so benannten des Caspar Betz u. Mich.
Vogel 108 und 105 Reime. Die gute Wahl des letzten
Namens erzeigt sich beim Lesen eines solchen Meistersangs noch
viel unzweifelhafter, ich möchte aber diese reimüberbietende Pe-
riode nicht, sondern eher die mittlere (des 14ten Jahrh.) für
die aller kunstreichste halten, denn hier entdecken sich Schwie-
rigkeiten im Kleinen, Feinheiten in Worten und Farben, die
kein Meistersänger zu Nürnberg herausgebracht hätte.



noch ein Spielraum im großen uͤbrig blieb, ja nothwendig war.
Wagenſeil fuͤhrt nur 8 ſieben- und 7 achtreimige Toͤne an,
allein 30 von 20 und 16 von 21 Reimen. Indeſſen hat
z. B. Frauenlob vorzuͤglich eine Menge Lieder in ſeiner kur-
zen Weis (von 8 Reimen) gedichtet, von gewiß ſimpler Zu-
ſammenſetzung. Unter den Meiſtergeſaͤngen des 17ten Jahrh.
ſind einige von ſolcher Einfachheit, daß ſie darin alle Minne-
lieder zu uͤbertreffen ſcheinen, wenn man ihnen das Geſuchte
und Gezwungene eben in dieſer Kuͤrze nicht anſaͤhe. Ich ver-
weiſe auf des vielgeuͤbten Ambr. Metzger’s Felten und uͤber-
kurze Senftkoͤrnlin und Einbeer W. In der letzten iſt nur ein
einziger Reim, auf den die zwei Zeilen jedes Stollen und die
eine des Abgeſ. ausgehen, auch findet ſich in der Silbenzahl
keine Abweichung (wie in gleichem Fall bei Canzler 2. 243.
„leider winter ungeſtalt ꝛc.“); aber gewiß iſt durch die Muſik
etwas hervorgehoben worden.

In dem Aufſteigen hingegen ſuchte einer den andern zu
uͤberbieten, und unter den ſpaͤten laſſen ſich mehrere Strophen
aufſuchen, die es zu hundert und druͤber Reimen bringen.
Benedicts v. Watt Rieſenweis hat 97, deſſen uͤberlanger
122, Puſchmanns Adlerweis 100, M. Gumpels uͤberlan-
ger T. 120, die eben ſo benannten des Caſpar Betz u. Mich.
Vogel 108 und 105 Reime. Die gute Wahl des letzten
Namens erzeigt ſich beim Leſen eines ſolchen Meiſterſangs noch
viel unzweifelhafter, ich moͤchte aber dieſe reimuͤberbietende Pe-
riode nicht, ſondern eher die mittlere (des 14ten Jahrh.) fuͤr
die aller kunſtreichſte halten, denn hier entdecken ſich Schwie-
rigkeiten im Kleinen, Feinheiten in Worten und Farben, die
kein Meiſterſaͤnger zu Nuͤrnberg herausgebracht haͤtte.



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[74/0084] noch ein Spielraum im großen uͤbrig blieb, ja nothwendig war. Wagenſeil fuͤhrt nur 8 ſieben- und 7 achtreimige Toͤne an, allein 30 von 20 und 16 von 21 Reimen. Indeſſen hat z. B. Frauenlob vorzuͤglich eine Menge Lieder in ſeiner kur- zen Weis (von 8 Reimen) gedichtet, von gewiß ſimpler Zu- ſammenſetzung. Unter den Meiſtergeſaͤngen des 17ten Jahrh. ſind einige von ſolcher Einfachheit, daß ſie darin alle Minne- lieder zu uͤbertreffen ſcheinen, wenn man ihnen das Geſuchte und Gezwungene eben in dieſer Kuͤrze nicht anſaͤhe. Ich ver- weiſe auf des vielgeuͤbten Ambr. Metzger’s Felten und uͤber- kurze Senftkoͤrnlin und Einbeer W. In der letzten iſt nur ein einziger Reim, auf den die zwei Zeilen jedes Stollen und die eine des Abgeſ. ausgehen, auch findet ſich in der Silbenzahl keine Abweichung (wie in gleichem Fall bei Canzler 2. 243. „leider winter ungeſtalt ꝛc.“); aber gewiß iſt durch die Muſik etwas hervorgehoben worden. In dem Aufſteigen hingegen ſuchte einer den andern zu uͤberbieten, und unter den ſpaͤten laſſen ſich mehrere Strophen aufſuchen, die es zu hundert und druͤber Reimen bringen. Benedicts v. Watt Rieſenweis hat 97, deſſen uͤberlanger 122, Puſchmanns Adlerweis 100, M. Gumpels uͤberlan- ger T. 120, die eben ſo benannten des Caſpar Betz u. Mich. Vogel 108 und 105 Reime. Die gute Wahl des letzten Namens erzeigt ſich beim Leſen eines ſolchen Meiſterſangs noch viel unzweifelhafter, ich moͤchte aber dieſe reimuͤberbietende Pe- riode nicht, ſondern eher die mittlere (des 14ten Jahrh.) fuͤr die aller kunſtreichſte halten, denn hier entdecken ſich Schwie- rigkeiten im Kleinen, Feinheiten in Worten und Farben, die kein Meiſterſaͤnger zu Nuͤrnberg herausgebracht haͤtte.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/84>, abgerufen am 22.11.2024.