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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Num. 10. Die zweite Silbe des ersten Stollen mit der letz-
ten des Ganzen.
-- 25. Die letzte Silbe diesmal im Abgesang selbst ge-
bunden und zwar in der Anfangssilbe seiner zweiten Zeile.
-- 38. Hier binden sich die erste und letzte Silbe des Abges.
-- 43. Letzte Silbe gebunden mit des zweiten Stollen erster.
-- 45. Die letzte Zeile gebunden durch die vierte Silbe des
ersten Stollen und der Schlußreim des zweiten Stollen
mit der dritten Silbe der zweiten Zeile des Abgesangs.
(In diesem reimverwirrten Lied werden überdem die
Stollenreime erst im Abgesang vermählt. Oder will man
zwei gleiche Hälften jeder Strophe annehmen?)

Das merkwürdigste Beispiel und einer der unverständigsten
Töne, die je erdacht worden, ist der, welcher gleich die wei-
marische Handschrift eröffnet, dessen Namen ich nicht ange-
ben kann, weil mit einigen verlorenen Blättern die Rubrik
mangelt. (Ich bezweifle nicht, daß er von Frauenlob; sollte
es dessen Tagsweis oder Kupferton seyn, die ich mir noch
nicht verschaffen können? denn beide sind zwanzigreimig.)
Schon ist es alles mögliche, daß die Stollenreime erst im
Abges. Band erhalten, und zwar auf folgende Art: jeder
Stoll hat 5, der Abg. 10, das Ganze also 20 Reime, 1
bindet mit 13, 2 mit 17, 3 mit 11, 4 mit 19, 5 mit 18,
6 mit 15, 7 mit 12, 8 mit 16, 9 mit 14, 10 mit 20.
Allein das ist lange noch nicht alle Kunst, denn nun treten
unsere Anfangsreime daneben auf. Die erste Silbe der er-
sten, zweiten und vierten, imgleichen die zweite der dritten
Zeile reimen sich unter einander. Ferner die erste Silbe der
fünften, sechsten und eilften Zeile reimen sich und zwar auf
denselben Endreim, den die zehnte und zwanzigste Zeile ha-
ben. Die Anfangssilbe der siebenten und achten Zeile endlich
reimen wiederum die erste der neunzehnten und zwanzigsten.
Es müssen wenig Lieder so steif seyn, als dieß überladene,

Num. 10. Die zweite Silbe des erſten Stollen mit der letz-
ten des Ganzen.
— 25. Die letzte Silbe diesmal im Abgeſang ſelbſt ge-
bunden und zwar in der Anfangsſilbe ſeiner zweiten Zeile.
— 38. Hier binden ſich die erſte und letzte Silbe des Abgeſ.
— 43. Letzte Silbe gebunden mit des zweiten Stollen erſter.
— 45. Die letzte Zeile gebunden durch die vierte Silbe des
erſten Stollen und der Schlußreim des zweiten Stollen
mit der dritten Silbe der zweiten Zeile des Abgeſangs.
(In dieſem reimverwirrten Lied werden uͤberdem die
Stollenreime erſt im Abgeſang vermaͤhlt. Oder will man
zwei gleiche Haͤlften jeder Strophe annehmen?)

Das merkwuͤrdigſte Beiſpiel und einer der unverſtaͤndigſten
Toͤne, die je erdacht worden, iſt der, welcher gleich die wei-
mariſche Handſchrift eroͤffnet, deſſen Namen ich nicht ange-
ben kann, weil mit einigen verlorenen Blaͤttern die Rubrik
mangelt. (Ich bezweifle nicht, daß er von Frauenlob; ſollte
es deſſen Tagsweis oder Kupferton ſeyn, die ich mir noch
nicht verſchaffen koͤnnen? denn beide ſind zwanzigreimig.)
Schon iſt es alles moͤgliche, daß die Stollenreime erſt im
Abgeſ. Band erhalten, und zwar auf folgende Art: jeder
Stoll hat 5, der Abg. 10, das Ganze alſo 20 Reime, 1
bindet mit 13, 2 mit 17, 3 mit 11, 4 mit 19, 5 mit 18,
6 mit 15, 7 mit 12, 8 mit 16, 9 mit 14, 10 mit 20.
Allein das iſt lange noch nicht alle Kunſt, denn nun treten
unſere Anfangsreime daneben auf. Die erſte Silbe der er-
ſten, zweiten und vierten, imgleichen die zweite der dritten
Zeile reimen ſich unter einander. Ferner die erſte Silbe der
fuͤnften, ſechsten und eilften Zeile reimen ſich und zwar auf
denſelben Endreim, den die zehnte und zwanzigſte Zeile ha-
ben. Die Anfangsſilbe der ſiebenten und achten Zeile endlich
reimen wiederum die erſte der neunzehnten und zwanzigſten.
Es muͤſſen wenig Lieder ſo ſteif ſeyn, als dieß uͤberladene,

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[57/0067] Num. 10. Die zweite Silbe des erſten Stollen mit der letz- ten des Ganzen. — 25. Die letzte Silbe diesmal im Abgeſang ſelbſt ge- bunden und zwar in der Anfangsſilbe ſeiner zweiten Zeile. — 38. Hier binden ſich die erſte und letzte Silbe des Abgeſ. — 43. Letzte Silbe gebunden mit des zweiten Stollen erſter. — 45. Die letzte Zeile gebunden durch die vierte Silbe des erſten Stollen und der Schlußreim des zweiten Stollen mit der dritten Silbe der zweiten Zeile des Abgeſangs. (In dieſem reimverwirrten Lied werden uͤberdem die Stollenreime erſt im Abgeſang vermaͤhlt. Oder will man zwei gleiche Haͤlften jeder Strophe annehmen?) Das merkwuͤrdigſte Beiſpiel und einer der unverſtaͤndigſten Toͤne, die je erdacht worden, iſt der, welcher gleich die wei- mariſche Handſchrift eroͤffnet, deſſen Namen ich nicht ange- ben kann, weil mit einigen verlorenen Blaͤttern die Rubrik mangelt. (Ich bezweifle nicht, daß er von Frauenlob; ſollte es deſſen Tagsweis oder Kupferton ſeyn, die ich mir noch nicht verſchaffen koͤnnen? denn beide ſind zwanzigreimig.) Schon iſt es alles moͤgliche, daß die Stollenreime erſt im Abgeſ. Band erhalten, und zwar auf folgende Art: jeder Stoll hat 5, der Abg. 10, das Ganze alſo 20 Reime, 1 bindet mit 13, 2 mit 17, 3 mit 11, 4 mit 19, 5 mit 18, 6 mit 15, 7 mit 12, 8 mit 16, 9 mit 14, 10 mit 20. Allein das iſt lange noch nicht alle Kunſt, denn nun treten unſere Anfangsreime daneben auf. Die erſte Silbe der er- ſten, zweiten und vierten, imgleichen die zweite der dritten Zeile reimen ſich unter einander. Ferner die erſte Silbe der fuͤnften, ſechsten und eilften Zeile reimen ſich und zwar auf denſelben Endreim, den die zehnte und zwanzigſte Zeile ha- ben. Die Anfangsſilbe der ſiebenten und achten Zeile endlich reimen wiederum die erſte der neunzehnten und zwanzigſten. Es muͤſſen wenig Lieder ſo ſteif ſeyn, als dieß uͤberladene,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/67>, abgerufen am 22.11.2024.