Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.Lebendige und Bewegliche. Docen hingegen hat die frühen Vielleicht waltet ein Mißverständniß ob, das ihn jenen 9 b) Das stärkste Beispiel hiergegen scheint einer der trefflichsten
Minnesänger, Ulrich von Lichtenstein abzugeben. Lebendige und Bewegliche. Docen hingegen hat die fruͤhen Vielleicht waltet ein Mißverſtaͤndniß ob, das ihn jenen 9 b) Das ſtaͤrkſte Beiſpiel hiergegen ſcheint einer der trefflichſten
Minneſaͤnger, Ulrich von Lichtenſtein abzugeben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0030" n="20"/> Lebendige und Bewegliche. <hi rendition="#g">Docen</hi> hingegen hat die fruͤhen<lb/> literariſchen Spuren des Meiſtergeſangs nicht verkennen koͤnnen,<lb/> und ſcheint mir damit ſein Spiel verloren zu geben, das Wahre,<lb/> Einfache einzuſehen, hindert ihn eine vorgefaßte Meinung von<lb/> der Harmonie und Leichtigkeit des Minnegeſanges, die ich<lb/> nicht leugne, ſondern hiſtoriſch nachweiſe. Er mag ſie aber<lb/> auf keine Weiſe mit dem Meiſterſang vereinbaren, ſelbſt wenn<lb/> man ihn, wie doch nothwendig, im Entſtehen in der freieſten<lb/> Art, annimmt.</p><lb/> <p>Vielleicht waltet ein Mißverſtaͤndniß ob, das ihn jenen<lb/> Unterſchied zwiſchen den reichen Dichtern, die ihrer Poeſie ſtolz<lb/> ſind, und den armen, die damit dienen wollen, machen laͤßt.<lb/> Vermuthlich denke ich mir die Erſcheinung einer dienenden und<lb/> wandernden Dichtkunſt ganz anders. Meiner Meinung zufolge<lb/> hat aller Kern, alle Kraft des Minneſangs in den dienenden<lb/> Dichtern gelegen, und erſt an ihrem Feuer haben ſich die<lb/> Reichen und Hohen entzuͤndet und begeiſtert, die Lieder aber,<lb/> welche ſie jenen nachgeſungen, reichen an Zahl und Wichtigkeit<lb/> nicht an die der aͤrmeren Dichter <note place="foot" n="9 b)">Das ſtaͤrkſte Beiſpiel hiergegen ſcheint einer der trefflichſten<lb/> Minneſaͤnger, <hi rendition="#g">Ulrich von Lichtenſtein</hi> abzugeben.</note>. Aus dieſem einen Grund-<lb/> ſtock iſt die Minnepoeſie in die ganze Zeit ergangen, die Fuͤr-<lb/> ſten, der hohe Adel mit dem Schutz und Lohn nicht zufrieden,<lb/> den ſie der lieblichen Kunſt gewaͤhrten, wollten ſich ſelber darin<lb/> zeigen; was <hi rendition="#g">Docen</hi> ſo ſehr verwirrt, ſtellt ſich hoͤchſt einfach<lb/> dar. Sie mochten nun beſtimmte Lehre genoſſen oder ſich an<lb/> der bloßen Sitte gebildet haben, ſo war doch all ihre Kunſt<lb/> in dem Bilde des Meiſters empfangen und geboren, und es<lb/> iſt nicht abzuſehen, warum man zu Gefallen ihrer Lieder eine<lb/> eigene, verſchiedene Claſſe machen will. Sind ſie naͤmlich in<lb/> ſich frei und herrlich, ſo ſind es auch die andern nicht min-<lb/> der, denn wie vermochte der Einklang einer Grundweiſe, die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
Lebendige und Bewegliche. Docen hingegen hat die fruͤhen
literariſchen Spuren des Meiſtergeſangs nicht verkennen koͤnnen,
und ſcheint mir damit ſein Spiel verloren zu geben, das Wahre,
Einfache einzuſehen, hindert ihn eine vorgefaßte Meinung von
der Harmonie und Leichtigkeit des Minnegeſanges, die ich
nicht leugne, ſondern hiſtoriſch nachweiſe. Er mag ſie aber
auf keine Weiſe mit dem Meiſterſang vereinbaren, ſelbſt wenn
man ihn, wie doch nothwendig, im Entſtehen in der freieſten
Art, annimmt.
Vielleicht waltet ein Mißverſtaͤndniß ob, das ihn jenen
Unterſchied zwiſchen den reichen Dichtern, die ihrer Poeſie ſtolz
ſind, und den armen, die damit dienen wollen, machen laͤßt.
Vermuthlich denke ich mir die Erſcheinung einer dienenden und
wandernden Dichtkunſt ganz anders. Meiner Meinung zufolge
hat aller Kern, alle Kraft des Minneſangs in den dienenden
Dichtern gelegen, und erſt an ihrem Feuer haben ſich die
Reichen und Hohen entzuͤndet und begeiſtert, die Lieder aber,
welche ſie jenen nachgeſungen, reichen an Zahl und Wichtigkeit
nicht an die der aͤrmeren Dichter 9 b). Aus dieſem einen Grund-
ſtock iſt die Minnepoeſie in die ganze Zeit ergangen, die Fuͤr-
ſten, der hohe Adel mit dem Schutz und Lohn nicht zufrieden,
den ſie der lieblichen Kunſt gewaͤhrten, wollten ſich ſelber darin
zeigen; was Docen ſo ſehr verwirrt, ſtellt ſich hoͤchſt einfach
dar. Sie mochten nun beſtimmte Lehre genoſſen oder ſich an
der bloßen Sitte gebildet haben, ſo war doch all ihre Kunſt
in dem Bilde des Meiſters empfangen und geboren, und es
iſt nicht abzuſehen, warum man zu Gefallen ihrer Lieder eine
eigene, verſchiedene Claſſe machen will. Sind ſie naͤmlich in
ſich frei und herrlich, ſo ſind es auch die andern nicht min-
der, denn wie vermochte der Einklang einer Grundweiſe, die
9 b) Das ſtaͤrkſte Beiſpiel hiergegen ſcheint einer der trefflichſten
Minneſaͤnger, Ulrich von Lichtenſtein abzugeben.
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