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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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fend, als ob einer sagte, Veldeck sey Vorbereiter des Minne-
sangs gewesen: welcher erst mit Walter oder Gottfried (wen
man will) entspringe! das Gegentheil aber würde ich unter an-
dern aus Gottfrieds verschiedener Meinung darthun, wie ich aus
der der späten Meister jene Identität mit den frühern auch ge-
rechtfertigt habe. Etwas zu natürlich scheint mir also die An-
merkung Hagens S. 171, daß die späten Meistersänger dem
Regenbogen "gewiß mittelbar (!) viel verdanken", oder daß
(S. 182.) "Mögelin mit den Meistersängern schon näher zusam-
menhänge", oder wenn (S. 152.) von "bedeutendem, wenn auch
schon nicht unmittelbarem Einfluß" geredet wird. Mir steht
klarer als je vor Augen, daß Vogelweide und Hans Sachs Mei-
stersänger sind, obschon sie nicht einerlei sind noch aussehen, aus
dem trivialen Grund, weil sie nicht in einem Jahrhundert ge-
lebt haben, allein wenn wir von des ersten Nachkommen in der
Kunst historisch schreiben wollen, so werden wir unausbleiblich auf
den letzten gerathen und alle Mittelglieder nachweisen können.
Ich wünsche, daß v. d. Hagen zu Ehren der Wahrheit sein Sy-
stem von Meistersingern, Meistersängern, vorbereitenden Acade-
mikern und niedergesessenen Scholastikern (S. 149.) fahren lasse,
indem darin lauter Ehebrüche, Trauungen an die linke Hand,
Mißheirathen und Adoptivfälle vorausgesetzt werden, davon
der einfache Gang unserer alten Poesie nichts weiß; denn är-
mer und schwächer ist das Geschlecht immer geworden, hat sich
aber in rechter Liebe und Hausehe fort gezeugt bis ans Ende.
Das bezeugt vor allem die Nothwendigkeit der Dreiform, wel-
che auch unser Gegner erkannt, vielmehr bloß gefühlt hat (S.
175.), da sich das wie gesucht aussehende Beispiel Wenzels
ganz unschuldig in lauter Gesellschaft gleichgewachsener Lieder
siehet. Was sich v. d. Hagen vielleicht in meine Seele von ei-
nem fixirten Orden einbildet, habe ich längst widerlegt, und wie-
derhohle hier, daß sich nicht einmal im spätesten Meisterg. alles
so streng-zünftig nehmen läßt, sondern beträchtlich loser gewe-
sen seyn muß, als das eigentliche Handwerk. Wie man aber von
der früheren und mittleren Meisterkunst sagen kann: (S. 149)
"dennoch ist bis dahin noch nirgends eine bestimmte Hinweisung
auf eine auch nur in den freiesten Verhältnissen sich gegenseitig
bildende und gesammtthätig wirkende Gesellschaft", da man doch
gerade die Wettstreite, das Merken, das Aufgeben und Lösen,
die Singversammlung vor Augen hat, welche gesellschaftliches Trei-
ben und mancher Art Convenienz beurkunden, ist mir unbegreif-
lich. Nicht weniger falsch, wenn noch dazu etwas darauf an-
käme, heißt es S. 147, daß sich in der Colmarer H. S. keine
fürstliche, adliche Minnesänger zeigen, da doch der Brennberger
und ein Graf von Arberg mitten darunter stehen, (S. 184.)

fend, als ob einer ſagte, Veldeck ſey Vorbereiter des Minne-
ſangs geweſen: welcher erſt mit Walter oder Gottfried (wen
man will) entſpringe! das Gegentheil aber wuͤrde ich unter an-
dern aus Gottfrieds verſchiedener Meinung darthun, wie ich aus
der der ſpaͤten Meiſter jene Identitaͤt mit den fruͤhern auch ge-
rechtfertigt habe. Etwas zu natuͤrlich ſcheint mir alſo die An-
merkung Hagens S. 171, daß die ſpaͤten Meiſterſaͤnger dem
Regenbogen „gewiß mittelbar (!) viel verdanken“, oder daß
(S. 182.) „Moͤgelin mit den Meiſterſaͤngern ſchon naͤher zuſam-
menhaͤnge“, oder wenn (S. 152.) von „bedeutendem, wenn auch
ſchon nicht unmittelbarem Einfluß“ geredet wird. Mir ſteht
klarer als je vor Augen, daß Vogelweide und Hans Sachs Mei-
ſterſaͤnger ſind, obſchon ſie nicht einerlei ſind noch ausſehen, aus
dem trivialen Grund, weil ſie nicht in einem Jahrhundert ge-
lebt haben, allein wenn wir von des erſten Nachkommen in der
Kunſt hiſtoriſch ſchreiben wollen, ſo werden wir unausbleiblich auf
den letzten gerathen und alle Mittelglieder nachweiſen koͤnnen.
Ich wuͤnſche, daß v. d. Hagen zu Ehren der Wahrheit ſein Sy-
ſtem von Meiſterſingern, Meiſterſaͤngern, vorbereitenden Acade-
mikern und niedergeſeſſenen Scholaſtikern (S. 149.) fahren laſſe,
indem darin lauter Ehebruͤche, Trauungen an die linke Hand,
Mißheirathen und Adoptivfaͤlle vorausgeſetzt werden, davon
der einfache Gang unſerer alten Poeſie nichts weiß; denn aͤr-
mer und ſchwaͤcher iſt das Geſchlecht immer geworden, hat ſich
aber in rechter Liebe und Hausehe fort gezeugt bis ans Ende.
Das bezeugt vor allem die Nothwendigkeit der Dreiform, wel-
che auch unſer Gegner erkannt, vielmehr bloß gefuͤhlt hat (S.
175.), da ſich das wie geſucht ausſehende Beiſpiel Wenzels
ganz unſchuldig in lauter Geſellſchaft gleichgewachſener Lieder
ſiehet. Was ſich v. d. Hagen vielleicht in meine Seele von ei-
nem fixirten Orden einbildet, habe ich laͤngſt widerlegt, und wie-
derhohle hier, daß ſich nicht einmal im ſpaͤteſten Meiſterg. alles
ſo ſtreng-zuͤnftig nehmen laͤßt, ſondern betraͤchtlich loſer gewe-
ſen ſeyn muß, als das eigentliche Handwerk. Wie man aber von
der fruͤheren und mittleren Meiſterkunſt ſagen kann: (S. 149)
„dennoch iſt bis dahin noch nirgends eine beſtimmte Hinweiſung
auf eine auch nur in den freieſten Verhaͤltniſſen ſich gegenſeitig
bildende und geſammtthaͤtig wirkende Geſellſchaft“, da man doch
gerade die Wettſtreite, das Merken, das Aufgeben und Loͤſen,
die Singverſammlung vor Augen hat, welche geſellſchaftliches Trei-
ben und mancher Art Convenienz beurkunden, iſt mir unbegreif-
lich. Nicht weniger falſch, wenn noch dazu etwas darauf an-
kaͤme, heißt es S. 147, daß ſich in der Colmarer H. S. keine
fuͤrſtliche, adliche Minneſaͤnger zeigen, da doch der Brennberger
und ein Graf von Arberg mitten darunter ſtehen, (S. 184.)

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[190/0200] fend, als ob einer ſagte, Veldeck ſey Vorbereiter des Minne- ſangs geweſen: welcher erſt mit Walter oder Gottfried (wen man will) entſpringe! das Gegentheil aber wuͤrde ich unter an- dern aus Gottfrieds verſchiedener Meinung darthun, wie ich aus der der ſpaͤten Meiſter jene Identitaͤt mit den fruͤhern auch ge- rechtfertigt habe. Etwas zu natuͤrlich ſcheint mir alſo die An- merkung Hagens S. 171, daß die ſpaͤten Meiſterſaͤnger dem Regenbogen „gewiß mittelbar (!) viel verdanken“, oder daß (S. 182.) „Moͤgelin mit den Meiſterſaͤngern ſchon naͤher zuſam- menhaͤnge“, oder wenn (S. 152.) von „bedeutendem, wenn auch ſchon nicht unmittelbarem Einfluß“ geredet wird. Mir ſteht klarer als je vor Augen, daß Vogelweide und Hans Sachs Mei- ſterſaͤnger ſind, obſchon ſie nicht einerlei ſind noch ausſehen, aus dem trivialen Grund, weil ſie nicht in einem Jahrhundert ge- lebt haben, allein wenn wir von des erſten Nachkommen in der Kunſt hiſtoriſch ſchreiben wollen, ſo werden wir unausbleiblich auf den letzten gerathen und alle Mittelglieder nachweiſen koͤnnen. Ich wuͤnſche, daß v. d. Hagen zu Ehren der Wahrheit ſein Sy- ſtem von Meiſterſingern, Meiſterſaͤngern, vorbereitenden Acade- mikern und niedergeſeſſenen Scholaſtikern (S. 149.) fahren laſſe, indem darin lauter Ehebruͤche, Trauungen an die linke Hand, Mißheirathen und Adoptivfaͤlle vorausgeſetzt werden, davon der einfache Gang unſerer alten Poeſie nichts weiß; denn aͤr- mer und ſchwaͤcher iſt das Geſchlecht immer geworden, hat ſich aber in rechter Liebe und Hausehe fort gezeugt bis ans Ende. Das bezeugt vor allem die Nothwendigkeit der Dreiform, wel- che auch unſer Gegner erkannt, vielmehr bloß gefuͤhlt hat (S. 175.), da ſich das wie geſucht ausſehende Beiſpiel Wenzels ganz unſchuldig in lauter Geſellſchaft gleichgewachſener Lieder ſiehet. Was ſich v. d. Hagen vielleicht in meine Seele von ei- nem fixirten Orden einbildet, habe ich laͤngſt widerlegt, und wie- derhohle hier, daß ſich nicht einmal im ſpaͤteſten Meiſterg. alles ſo ſtreng-zuͤnftig nehmen laͤßt, ſondern betraͤchtlich loſer gewe- ſen ſeyn muß, als das eigentliche Handwerk. Wie man aber von der fruͤheren und mittleren Meiſterkunſt ſagen kann: (S. 149) „dennoch iſt bis dahin noch nirgends eine beſtimmte Hinweiſung auf eine auch nur in den freieſten Verhaͤltniſſen ſich gegenſeitig bildende und geſammtthaͤtig wirkende Geſellſchaft“, da man doch gerade die Wettſtreite, das Merken, das Aufgeben und Loͤſen, die Singverſammlung vor Augen hat, welche geſellſchaftliches Trei- ben und mancher Art Convenienz beurkunden, iſt mir unbegreif- lich. Nicht weniger falſch, wenn noch dazu etwas darauf an- kaͤme, heißt es S. 147, daß ſich in der Colmarer H. S. keine fuͤrſtliche, adliche Minneſaͤnger zeigen, da doch der Brennberger und ein Graf von Arberg mitten darunter ſtehen, (S. 184.)

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/200>, abgerufen am 22.11.2024.