Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.98. Doctor Allwissend. Es war einmal ein armer Bauer Namens Krebs, der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Thaler an einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doctor gerade zu Tisch: da sah der Bauer wie er schön aß und trank, und das Herz gieng ihm danach auf und er wäre auch gern ein Doctor gewesen. Also blieb er noch ein Weilchen stehen und fragte endlich ob er nicht auch könnte ein Doctor werden. 'O ja,' sagte der Doctor, 'das ist bald geschehen.' 'Was muß ich thun?' fragte der Baur. 'Erstlich kauf dir ein Abcbuch, so ist eins, wo vorn ein Göckelhahn drin ist; zweitens mache deinen Wagen und deine zwei Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an, und was sonst zur Doctorei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den Worten 'ich bin der Doctor Allwissend,' und laß das oben über deine Hausthür nageln.' Der Bauer that alles, wies ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoctert hatte, aber noch nicht viel, ward einem reichen großen Herrn Geld gestohlen. Da ward ihm von dem Doctor Allwissend gesagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen müßte wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und fragte bei ihm an ob er der Doctor Allwissend wäre? 'Ja, der wär er.' 'So sollte er mitgehen und das gestohlene Geld wieder schaffen.' 'O ja, aber die Grethe, seine Frau, müßte auch mit.' Der Herr war das zufrieden, und ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie 98. Doctor Allwissend. Es war einmal ein armer Bauer Namens Krebs, der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Thaler an einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doctor gerade zu Tisch: da sah der Bauer wie er schön aß und trank, und das Herz gieng ihm danach auf und er wäre auch gern ein Doctor gewesen. Also blieb er noch ein Weilchen stehen und fragte endlich ob er nicht auch könnte ein Doctor werden. ‘O ja,’ sagte der Doctor, ‘das ist bald geschehen.’ ‘Was muß ich thun?’ fragte der Baur. ‘Erstlich kauf dir ein Abcbuch, so ist eins, wo vorn ein Göckelhahn drin ist; zweitens mache deinen Wagen und deine zwei Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an, und was sonst zur Doctorei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den Worten ‘ich bin der Doctor Allwissend,’ und laß das oben über deine Hausthür nageln.’ Der Bauer that alles, wies ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoctert hatte, aber noch nicht viel, ward einem reichen großen Herrn Geld gestohlen. Da ward ihm von dem Doctor Allwissend gesagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen müßte wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und fragte bei ihm an ob er der Doctor Allwissend wäre? ‘Ja, der wär er.’ ‘So sollte er mitgehen und das gestohlene Geld wieder schaffen.’ ‘O ja, aber die Grethe, seine Frau, müßte auch mit.’ Der Herr war das zufrieden, und ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0081" n="69"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">98.<lb/> Doctor Allwissend.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein armer Bauer Namens <hi rendition="#g">Krebs,</hi> der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Thaler an einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doctor gerade zu Tisch: da sah der Bauer wie er schön aß und trank, und das Herz gieng ihm danach auf und er wäre auch gern ein Doctor gewesen. Also blieb er noch ein Weilchen stehen und fragte endlich ob er nicht auch könnte ein Doctor werden. ‘O ja,’ sagte der Doctor, ‘das ist bald geschehen.’ ‘Was muß ich thun?’ fragte der Baur. ‘Erstlich kauf dir ein Abcbuch, so ist eins, wo vorn ein Göckelhahn drin ist; zweitens mache deinen Wagen und deine zwei Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an, und was sonst zur Doctorei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den Worten ‘ich bin der Doctor Allwissend,’ und laß das oben über deine Hausthür nageln.’ Der Bauer that alles, wies ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoctert hatte, aber noch nicht viel, ward einem reichen großen Herrn Geld gestohlen. Da ward ihm von dem Doctor Allwissend gesagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen müßte wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und fragte bei ihm an ob er der Doctor Allwissend wäre? ‘Ja, der wär er.’ ‘So sollte er mitgehen und das gestohlene Geld wieder schaffen.’ ‘O ja, aber die Grethe, seine Frau, müßte auch mit.’ Der Herr war das zufrieden, und ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0081]
98.
Doctor Allwissend.
Es war einmal ein armer Bauer Namens Krebs, der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Thaler an einen Doctor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doctor gerade zu Tisch: da sah der Bauer wie er schön aß und trank, und das Herz gieng ihm danach auf und er wäre auch gern ein Doctor gewesen. Also blieb er noch ein Weilchen stehen und fragte endlich ob er nicht auch könnte ein Doctor werden. ‘O ja,’ sagte der Doctor, ‘das ist bald geschehen.’ ‘Was muß ich thun?’ fragte der Baur. ‘Erstlich kauf dir ein Abcbuch, so ist eins, wo vorn ein Göckelhahn drin ist; zweitens mache deinen Wagen und deine zwei Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an, und was sonst zur Doctorei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den Worten ‘ich bin der Doctor Allwissend,’ und laß das oben über deine Hausthür nageln.’ Der Bauer that alles, wies ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoctert hatte, aber noch nicht viel, ward einem reichen großen Herrn Geld gestohlen. Da ward ihm von dem Doctor Allwissend gesagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen müßte wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und fragte bei ihm an ob er der Doctor Allwissend wäre? ‘Ja, der wär er.’ ‘So sollte er mitgehen und das gestohlene Geld wieder schaffen.’ ‘O ja, aber die Grethe, seine Frau, müßte auch mit.’ Der Herr war das zufrieden, und ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie
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