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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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Das Mädchen blickte auf, und eine alte Frau stand neben ihm. Sie faßte das Mädchen freundlich an der Hand, und sprach 'vertraue mir nur an was dich drückt.' Da sie so herzlich sprach, so erzählte ihr das Mädchen von seinem traurigen Leben, daß ihm eine Last auf die andere gelegt würde und es mit den aufgegebenen Arbeiten nicht mehr zu Ende kommen könnte. 'Wenn ich mit diesen Federn heute Abend nicht fertig bin, so schlägt mich die Stiefmutter; sie hat mirs angedroht, und ich weiß sie hält Wort.' Jhre Thränen fiengen wieder an zu fließen, aber die gute Alte sprach 'sei unbesorgt, mein Kind, ruhe dich aus, ich will derweil deine Arbeit verrichten.' Das Mädchen legte sich auf sein Bett und schlief bald ein. Die Alte setzte sich an den Tisch bei die Federn, hu! wie flogen sie von den Kielen ab, die sie mit ihren dürren Händen kaum berührte. Bald war sie mit den zwölf Pfund fertig. Als das Mädchen erwachte, lagen große schneeweiße Haufen aufgethürmt, und alles war im Zimmer reinlich aufgeräumt, aber die Alte war verschwunden. Das Mädchen dankte Gott und saß still bis der Abend kam. Da trat die Stiefmutter herein und staunte über die vollbrachte Arbeit. 'Siehst du, Trulle,' sprach sie, 'was man ausrichtet, wenn man fleißig ist? hättest du nicht noch etwas anderes vornehmen können? aber da sitzest du und legst die Hände in den Schooß.' Als sie hinausgieng, sprach sie, 'die Creatur kann mehr als Brot essen, ich muß ihr schwerere Arbeit auflegen.'

Am andern Morgen rief sie das Mädchen und sprach 'da hast du einen Löffel, damit schöpfe mir den großen Teich aus, der bei dem Garten liegt. Und wenn du damit Abends nicht zu Rand gekommen bist, so weißt du was erfolgt.' Das Mädchen nahm den Löffel und sah daß er durchlöchert war, und wenn er es auch nicht gewesen wäre, es hätte nimmermehr damit den Teich ausgeschöpft. Es machte sich gleich an die Arbeit, kniete am Wasser, in das seine Thränen fielen, und schöpfte. Aber die gute Alte erschien wieder,

Das Mädchen blickte auf, und eine alte Frau stand neben ihm. Sie faßte das Mädchen freundlich an der Hand, und sprach ‘vertraue mir nur an was dich drückt.’ Da sie so herzlich sprach, so erzählte ihr das Mädchen von seinem traurigen Leben, daß ihm eine Last auf die andere gelegt würde und es mit den aufgegebenen Arbeiten nicht mehr zu Ende kommen könnte. ‘Wenn ich mit diesen Federn heute Abend nicht fertig bin, so schlägt mich die Stiefmutter; sie hat mirs angedroht, und ich weiß sie hält Wort.’ Jhre Thränen fiengen wieder an zu fließen, aber die gute Alte sprach ‘sei unbesorgt, mein Kind, ruhe dich aus, ich will derweil deine Arbeit verrichten.’ Das Mädchen legte sich auf sein Bett und schlief bald ein. Die Alte setzte sich an den Tisch bei die Federn, hu! wie flogen sie von den Kielen ab, die sie mit ihren dürren Händen kaum berührte. Bald war sie mit den zwölf Pfund fertig. Als das Mädchen erwachte, lagen große schneeweiße Haufen aufgethürmt, und alles war im Zimmer reinlich aufgeräumt, aber die Alte war verschwunden. Das Mädchen dankte Gott und saß still bis der Abend kam. Da trat die Stiefmutter herein und staunte über die vollbrachte Arbeit. ‘Siehst du, Trulle,’ sprach sie, ‘was man ausrichtet, wenn man fleißig ist? hättest du nicht noch etwas anderes vornehmen können? aber da sitzest du und legst die Hände in den Schooß.’ Als sie hinausgieng, sprach sie, ‘die Creatur kann mehr als Brot essen, ich muß ihr schwerere Arbeit auflegen.’

Am andern Morgen rief sie das Mädchen und sprach ‘da hast du einen Löffel, damit schöpfe mir den großen Teich aus, der bei dem Garten liegt. Und wenn du damit Abends nicht zu Rand gekommen bist, so weißt du was erfolgt.’ Das Mädchen nahm den Löffel und sah daß er durchlöchert war, und wenn er es auch nicht gewesen wäre, es hätte nimmermehr damit den Teich ausgeschöpft. Es machte sich gleich an die Arbeit, kniete am Wasser, in das seine Thränen fielen, und schöpfte. Aber die gute Alte erschien wieder,

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[396/0408] Das Mädchen blickte auf, und eine alte Frau stand neben ihm. Sie faßte das Mädchen freundlich an der Hand, und sprach ‘vertraue mir nur an was dich drückt.’ Da sie so herzlich sprach, so erzählte ihr das Mädchen von seinem traurigen Leben, daß ihm eine Last auf die andere gelegt würde und es mit den aufgegebenen Arbeiten nicht mehr zu Ende kommen könnte. ‘Wenn ich mit diesen Federn heute Abend nicht fertig bin, so schlägt mich die Stiefmutter; sie hat mirs angedroht, und ich weiß sie hält Wort.’ Jhre Thränen fiengen wieder an zu fließen, aber die gute Alte sprach ‘sei unbesorgt, mein Kind, ruhe dich aus, ich will derweil deine Arbeit verrichten.’ Das Mädchen legte sich auf sein Bett und schlief bald ein. Die Alte setzte sich an den Tisch bei die Federn, hu! wie flogen sie von den Kielen ab, die sie mit ihren dürren Händen kaum berührte. Bald war sie mit den zwölf Pfund fertig. Als das Mädchen erwachte, lagen große schneeweiße Haufen aufgethürmt, und alles war im Zimmer reinlich aufgeräumt, aber die Alte war verschwunden. Das Mädchen dankte Gott und saß still bis der Abend kam. Da trat die Stiefmutter herein und staunte über die vollbrachte Arbeit. ‘Siehst du, Trulle,’ sprach sie, ‘was man ausrichtet, wenn man fleißig ist? hättest du nicht noch etwas anderes vornehmen können? aber da sitzest du und legst die Hände in den Schooß.’ Als sie hinausgieng, sprach sie, ‘die Creatur kann mehr als Brot essen, ich muß ihr schwerere Arbeit auflegen.’ Am andern Morgen rief sie das Mädchen und sprach ‘da hast du einen Löffel, damit schöpfe mir den großen Teich aus, der bei dem Garten liegt. Und wenn du damit Abends nicht zu Rand gekommen bist, so weißt du was erfolgt.’ Das Mädchen nahm den Löffel und sah daß er durchlöchert war, und wenn er es auch nicht gewesen wäre, es hätte nimmermehr damit den Teich ausgeschöpft. Es machte sich gleich an die Arbeit, kniete am Wasser, in das seine Thränen fielen, und schöpfte. Aber die gute Alte erschien wieder,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/408>, abgerufen am 27.11.2024.