Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.vorbei?' 'Denkst du nicht daran,' fuhr die Alte fort, 'daß du heute vor drei Jahren zu mir gekommen bist? Deine Zeit ist aus, wir können nicht länger beisammen bleiben.' Das Mädchen erschrack und sagte 'ach, liebe Mutter, wollt ihr mich verstoßen? wo soll ich hin? ich habe keine Freunde und keine Heimath, wohin ich mich wenden kann. Jch habe alles gethan was ihr verlangt habt, und ihr seid immer zufrieden mit mir gewesen: schickt mich nicht fort.' Die Alte wollte dem Mädchen nicht sagen was ihm bevorstand. 'Meines Bleibens ist nicht länger hier,' sprach sie zu ihm, 'wenn ich aber ausziehe, muß Haus und Stube sauber sein: darum halt mich nicht auf in meiner Arbeit. Deinetwegen sei ohne Sorgen, du sollst ein Dach finden, unter dem du wohnen kannst, und mit dem Lohn, den ich dir geben will, wirst du auch zufrieden sein.' 'Aber sagt mir nur was ist vor?' fragte das Mädchen weiter. 'Jch sage dir nochmals störe mich nicht in meiner Arbeit. Rede kein Wort weiter, geh in deine Kammer, nimm die Haut vom Gesicht und zieh das seidene Kleid an, das du trugst als du zu mir kamst, und dann harre in deiner Kammer, bis ich dich rufe.' Aber ich muß wieder von dem König und der Königin erzählen, die mit dem Grafen ausgezogen waren und die Alte in der Einöde aufsuchen wollten. Der Graf war Nachts in dem Walde von ihnen abgekommen, und mußte allein weiter gehen. Am andern Tag kam es ihm vor, als befände er sich auf dem rechten Weg. Er gieng immer fort, bis die Dunkelheit einbrach, da stieg er auf einen Baum und wollte da übernachten, denn er war besorgt er möchte sich verirren. Als der Mond die Gegend erhellte, so erblickte er eine Gestalt, die den Berg herabwandelte. Sie hatte keine Ruthe in der Hand, aber er konnte doch sehen daß es die Gänsehirtin war, die er früher bei dem Haus der Alten gesehen hatte. 'Oho!' rief er, 'da kommt sie, und habe ich erst die eine Hexe, so soll mir die andere auch nicht entgehen.' Wie erstaunte er aber, als sie zu vorbei?’ ‘Denkst du nicht daran,’ fuhr die Alte fort, ‘daß du heute vor drei Jahren zu mir gekommen bist? Deine Zeit ist aus, wir können nicht länger beisammen bleiben.’ Das Mädchen erschrack und sagte ‘ach, liebe Mutter, wollt ihr mich verstoßen? wo soll ich hin? ich habe keine Freunde und keine Heimath, wohin ich mich wenden kann. Jch habe alles gethan was ihr verlangt habt, und ihr seid immer zufrieden mit mir gewesen: schickt mich nicht fort.’ Die Alte wollte dem Mädchen nicht sagen was ihm bevorstand. ‘Meines Bleibens ist nicht länger hier,’ sprach sie zu ihm, ‘wenn ich aber ausziehe, muß Haus und Stube sauber sein: darum halt mich nicht auf in meiner Arbeit. Deinetwegen sei ohne Sorgen, du sollst ein Dach finden, unter dem du wohnen kannst, und mit dem Lohn, den ich dir geben will, wirst du auch zufrieden sein.’ ‘Aber sagt mir nur was ist vor?’ fragte das Mädchen weiter. ‘Jch sage dir nochmals störe mich nicht in meiner Arbeit. Rede kein Wort weiter, geh in deine Kammer, nimm die Haut vom Gesicht und zieh das seidene Kleid an, das du trugst als du zu mir kamst, und dann harre in deiner Kammer, bis ich dich rufe.’ Aber ich muß wieder von dem König und der Königin erzählen, die mit dem Grafen ausgezogen waren und die Alte in der Einöde aufsuchen wollten. Der Graf war Nachts in dem Walde von ihnen abgekommen, und mußte allein weiter gehen. Am andern Tag kam es ihm vor, als befände er sich auf dem rechten Weg. Er gieng immer fort, bis die Dunkelheit einbrach, da stieg er auf einen Baum und wollte da übernachten, denn er war besorgt er möchte sich verirren. Als der Mond die Gegend erhellte, so erblickte er eine Gestalt, die den Berg herabwandelte. Sie hatte keine Ruthe in der Hand, aber er konnte doch sehen daß es die Gänsehirtin war, die er früher bei dem Haus der Alten gesehen hatte. ‘Oho!’ rief er, ‘da kommt sie, und habe ich erst die eine Hexe, so soll mir die andere auch nicht entgehen.’ Wie erstaunte er aber, als sie zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0382" n="370"/> vorbei?’ ‘Denkst du nicht daran,’ fuhr die Alte fort, ‘daß du heute vor drei Jahren zu mir gekommen bist? Deine Zeit ist aus, wir können nicht länger beisammen bleiben.’ Das Mädchen erschrack und sagte ‘ach, liebe Mutter, wollt ihr mich verstoßen? wo soll ich hin? ich habe keine Freunde und keine Heimath, wohin ich mich wenden kann. Jch habe alles gethan was ihr verlangt habt, und ihr seid immer zufrieden mit mir gewesen: schickt mich nicht fort.’ Die Alte wollte dem Mädchen nicht sagen was ihm bevorstand. ‘Meines Bleibens ist nicht länger hier,’ sprach sie zu ihm, ‘wenn ich aber ausziehe, muß Haus und Stube sauber sein: darum halt mich nicht auf in meiner Arbeit. Deinetwegen sei ohne Sorgen, du sollst ein Dach finden, unter dem du wohnen kannst, und mit dem Lohn, den ich dir geben will, wirst du auch zufrieden sein.’ ‘Aber sagt mir nur was ist vor?’ fragte das Mädchen weiter. ‘Jch sage dir nochmals störe mich nicht in meiner Arbeit. Rede kein Wort weiter, geh in deine Kammer, nimm die Haut vom Gesicht und zieh das seidene Kleid an, das du trugst als du zu mir kamst, und dann harre in deiner Kammer, bis ich dich rufe.’</p><lb/> <p>Aber ich muß wieder von dem König und der Königin erzählen, die mit dem Grafen ausgezogen waren und die Alte in der Einöde aufsuchen wollten. Der Graf war Nachts in dem Walde von ihnen abgekommen, und mußte allein weiter gehen. Am andern Tag kam es ihm vor, als befände er sich auf dem rechten Weg. Er gieng immer fort, bis die Dunkelheit einbrach, da stieg er auf einen Baum und wollte da übernachten, denn er war besorgt er möchte sich verirren. Als der Mond die Gegend erhellte, so erblickte er eine Gestalt, die den Berg herabwandelte. Sie hatte keine Ruthe in der Hand, aber er konnte doch sehen daß es die Gänsehirtin war, die er früher bei dem Haus der Alten gesehen hatte. ‘Oho!’ rief er, ‘da kommt sie, und habe ich erst die eine Hexe, so soll mir die andere auch nicht entgehen.’ Wie erstaunte er aber, als sie zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [370/0382]
vorbei?’ ‘Denkst du nicht daran,’ fuhr die Alte fort, ‘daß du heute vor drei Jahren zu mir gekommen bist? Deine Zeit ist aus, wir können nicht länger beisammen bleiben.’ Das Mädchen erschrack und sagte ‘ach, liebe Mutter, wollt ihr mich verstoßen? wo soll ich hin? ich habe keine Freunde und keine Heimath, wohin ich mich wenden kann. Jch habe alles gethan was ihr verlangt habt, und ihr seid immer zufrieden mit mir gewesen: schickt mich nicht fort.’ Die Alte wollte dem Mädchen nicht sagen was ihm bevorstand. ‘Meines Bleibens ist nicht länger hier,’ sprach sie zu ihm, ‘wenn ich aber ausziehe, muß Haus und Stube sauber sein: darum halt mich nicht auf in meiner Arbeit. Deinetwegen sei ohne Sorgen, du sollst ein Dach finden, unter dem du wohnen kannst, und mit dem Lohn, den ich dir geben will, wirst du auch zufrieden sein.’ ‘Aber sagt mir nur was ist vor?’ fragte das Mädchen weiter. ‘Jch sage dir nochmals störe mich nicht in meiner Arbeit. Rede kein Wort weiter, geh in deine Kammer, nimm die Haut vom Gesicht und zieh das seidene Kleid an, das du trugst als du zu mir kamst, und dann harre in deiner Kammer, bis ich dich rufe.’
Aber ich muß wieder von dem König und der Königin erzählen, die mit dem Grafen ausgezogen waren und die Alte in der Einöde aufsuchen wollten. Der Graf war Nachts in dem Walde von ihnen abgekommen, und mußte allein weiter gehen. Am andern Tag kam es ihm vor, als befände er sich auf dem rechten Weg. Er gieng immer fort, bis die Dunkelheit einbrach, da stieg er auf einen Baum und wollte da übernachten, denn er war besorgt er möchte sich verirren. Als der Mond die Gegend erhellte, so erblickte er eine Gestalt, die den Berg herabwandelte. Sie hatte keine Ruthe in der Hand, aber er konnte doch sehen daß es die Gänsehirtin war, die er früher bei dem Haus der Alten gesehen hatte. ‘Oho!’ rief er, ‘da kommt sie, und habe ich erst die eine Hexe, so soll mir die andere auch nicht entgehen.’ Wie erstaunte er aber, als sie zu
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