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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,' und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. 'Herr Richter, au weih geschrien! seht wie mich auf offener Landstraße ein gottloser Mensch beraubt und übel zugerichtet hat: ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! mein bischen Armuth sammt dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängnis werfen.' Sprach der Richter 'wars ein Soldat, der dich mit seinem Säbel so zugerichtet hat?' 'Gott bewahr!' sagte der Jude, 'einen nackten Degen hat er nicht gehabt, aber ein Rohr hat er gehabt auf dem Buckel hängen und eine Geige am Hals; der Bösewicht ist leicht zu erkennen.' Der Richter schickte seine Leute nach ihm aus, die fanden den guten Knecht, der ganz langsam weiter gezogen war, und fanden auch den Beutel mit Gold bei ihm. Als er vor Gericht gestellt wurde, sagte er 'ich habe den Juden nicht angerührt und ihm das Geld nicht genommen, er hat mirs aus freien Stücken angeboten, damit ich nur aufhörte zu geigen, weil er meine Musik nicht vertragen konnte.' 'Gott bewahr!' schrie der Jude, 'der greift die Lügen wie Fliegen an der Wand.' Aber der Richter glaubte es auch nicht und sprach 'das ist eine schlechte Entschuldigung, das thut kein Jude,' und verurtheilte den guten Knecht, weil er auf offener Straße einen Raub begangen hätte, zum Galgen. Als er aber abgeführt ward, schrie ihm noch der Jude zu 'du Bärenhäuter, du Hundemusikant, jetzt kriegst du deinen wohlverdienten Lohn.' Der Knecht stieg ganz ruhig mit dem Henker die Leiter hinauf, auf der letzten Sproße aber drehte er sich um und sprach zum Richter 'gewährt mir noch eine Bitte, eh ich sterbe.' 'Ja,' sprach der Richter, 'wenn du

daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,’ und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. ‘Herr Richter, au weih geschrien! seht wie mich auf offener Landstraße ein gottloser Mensch beraubt und übel zugerichtet hat: ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! mein bischen Armuth sammt dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängnis werfen.’ Sprach der Richter ‘wars ein Soldat, der dich mit seinem Säbel so zugerichtet hat?’ ‘Gott bewahr!’ sagte der Jude, ‘einen nackten Degen hat er nicht gehabt, aber ein Rohr hat er gehabt auf dem Buckel hängen und eine Geige am Hals; der Bösewicht ist leicht zu erkennen.’ Der Richter schickte seine Leute nach ihm aus, die fanden den guten Knecht, der ganz langsam weiter gezogen war, und fanden auch den Beutel mit Gold bei ihm. Als er vor Gericht gestellt wurde, sagte er ‘ich habe den Juden nicht angerührt und ihm das Geld nicht genommen, er hat mirs aus freien Stücken angeboten, damit ich nur aufhörte zu geigen, weil er meine Musik nicht vertragen konnte.’ ‘Gott bewahr!’ schrie der Jude, ‘der greift die Lügen wie Fliegen an der Wand.’ Aber der Richter glaubte es auch nicht und sprach ‘das ist eine schlechte Entschuldigung, das thut kein Jude,’ und verurtheilte den guten Knecht, weil er auf offener Straße einen Raub begangen hätte, zum Galgen. Als er aber abgeführt ward, schrie ihm noch der Jude zu ‘du Bärenhäuter, du Hundemusikant, jetzt kriegst du deinen wohlverdienten Lohn.’ Der Knecht stieg ganz ruhig mit dem Henker die Leiter hinauf, auf der letzten Sproße aber drehte er sich um und sprach zum Richter ‘gewährt mir noch eine Bitte, eh ich sterbe.’ ‘Ja,’ sprach der Richter, ‘wenn du

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[124/0136] daß du die Schuhsohlen verlieren sollst: du Lump, steck einen Groschen ins Maul, daß du sechs Heller werth bist,’ und schimpfte weiter was er nur los bringen konnte. Und als er sich damit etwas zu Gute gethan und Luft gemacht hatte, lief er in die Stadt zum Richter. ‘Herr Richter, au weih geschrien! seht wie mich auf offener Landstraße ein gottloser Mensch beraubt und übel zugerichtet hat: ein Stein auf dem Erdboden möcht sich erbarmen: die Kleider zerfetzt! der Leib zerstochen und zerkratzt! mein bischen Armuth sammt dem Beutel genommen! lauter Dukaten, ein Stück schöner als das andere: um Gotteswillen, laßt den Menschen ins Gefängnis werfen.’ Sprach der Richter ‘wars ein Soldat, der dich mit seinem Säbel so zugerichtet hat?’ ‘Gott bewahr!’ sagte der Jude, ‘einen nackten Degen hat er nicht gehabt, aber ein Rohr hat er gehabt auf dem Buckel hängen und eine Geige am Hals; der Bösewicht ist leicht zu erkennen.’ Der Richter schickte seine Leute nach ihm aus, die fanden den guten Knecht, der ganz langsam weiter gezogen war, und fanden auch den Beutel mit Gold bei ihm. Als er vor Gericht gestellt wurde, sagte er ‘ich habe den Juden nicht angerührt und ihm das Geld nicht genommen, er hat mirs aus freien Stücken angeboten, damit ich nur aufhörte zu geigen, weil er meine Musik nicht vertragen konnte.’ ‘Gott bewahr!’ schrie der Jude, ‘der greift die Lügen wie Fliegen an der Wand.’ Aber der Richter glaubte es auch nicht und sprach ‘das ist eine schlechte Entschuldigung, das thut kein Jude,’ und verurtheilte den guten Knecht, weil er auf offener Straße einen Raub begangen hätte, zum Galgen. Als er aber abgeführt ward, schrie ihm noch der Jude zu ‘du Bärenhäuter, du Hundemusikant, jetzt kriegst du deinen wohlverdienten Lohn.’ Der Knecht stieg ganz ruhig mit dem Henker die Leiter hinauf, auf der letzten Sproße aber drehte er sich um und sprach zum Richter ‘gewährt mir noch eine Bitte, eh ich sterbe.’ ‘Ja,’ sprach der Richter, ‘wenn du

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/136>, abgerufen am 24.11.2024.