Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.ist nichts zu verdienen, und auf dem Lande gehen die Leute lieber barfuß.' Sie wanderten also zusammen weiter und setzten immer einen Fuß vor den andern wie die Wiesel im Schnee. Zeit genug hatten sie beide, aber wenig zu beißen und zu brechen. Wenn sie in eine Stadt kamen, so giengen sie umher und grüßten das Handwerk, und weil das Schneiderlein so frisch und munter aussah und so hübsche rothe Backen hatte, so gab ihm jeder gerne, und wenn das Glück gut war, so gab ihm die Meistertochter unter der Hausthüre auch noch einen Kuß auf den Weg. Wenn er mit dem Schuster wieder zusammen traf, so hatte er immer mehr in seinem Bündel. Der griesgrämige Schuster schnitt ein schiefes Gesicht und meinte 'je größer der Schelm, je größer das Glück.' Aber der Schneider fieng an zu lachen und zu singen, und theilte alles, was er bekam, mit seinem Kameraden. Klingelten nun ein paar Groschen in seiner Tasche, so ließ er auftragen, schlug vor Freude auf den Tisch daß die Gläser tanzten, und es hieß bei ihm 'leicht verdient und leicht verthan'. Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an einen großen Wald, durch welchen der Weg nach der Königsstadt gieng. Es führten aber zwei Fußsteige hindurch, davon war der eine sieben Tage lang, der andere nur zwei Tage, aber niemand von ihnen wußte, welcher der kürzere Weg war. Die zwei Wanderer setzten sich unter einen Eichenbaum und rathschlagten wie sie sich vorsehen und für wie viel Tage sie Brot mitnehmen wollten. Der Schuster sagte 'man muß weiter denken als man geht, ich will für sieben Tage Brot mit nehmen.' 'Was,' sagte der Schneider, 'für sieben Tage Brot auf dem Rücken schleppen wie ein Lastthier und sich nicht umschauen? ich halte mich an Gott und kehre mich an nichts. Das Geld, das ich in der Tasche habe, das ist im Sommer so gut als im Winter, aber das Brot wird in der heißen Zeit trocken und obendrein schimmelig. Mein Rock geht auch ist nichts zu verdienen, und auf dem Lande gehen die Leute lieber barfuß.’ Sie wanderten also zusammen weiter und setzten immer einen Fuß vor den andern wie die Wiesel im Schnee. Zeit genug hatten sie beide, aber wenig zu beißen und zu brechen. Wenn sie in eine Stadt kamen, so giengen sie umher und grüßten das Handwerk, und weil das Schneiderlein so frisch und munter aussah und so hübsche rothe Backen hatte, so gab ihm jeder gerne, und wenn das Glück gut war, so gab ihm die Meistertochter unter der Hausthüre auch noch einen Kuß auf den Weg. Wenn er mit dem Schuster wieder zusammen traf, so hatte er immer mehr in seinem Bündel. Der griesgrämige Schuster schnitt ein schiefes Gesicht und meinte ‘je größer der Schelm, je größer das Glück.’ Aber der Schneider fieng an zu lachen und zu singen, und theilte alles, was er bekam, mit seinem Kameraden. Klingelten nun ein paar Groschen in seiner Tasche, so ließ er auftragen, schlug vor Freude auf den Tisch daß die Gläser tanzten, und es hieß bei ihm ‘leicht verdient und leicht verthan’. Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an einen großen Wald, durch welchen der Weg nach der Königsstadt gieng. Es führten aber zwei Fußsteige hindurch, davon war der eine sieben Tage lang, der andere nur zwei Tage, aber niemand von ihnen wußte, welcher der kürzere Weg war. Die zwei Wanderer setzten sich unter einen Eichenbaum und rathschlagten wie sie sich vorsehen und für wie viel Tage sie Brot mitnehmen wollten. Der Schuster sagte ‘man muß weiter denken als man geht, ich will für sieben Tage Brot mit nehmen.’ ‘Was,’ sagte der Schneider, ‘für sieben Tage Brot auf dem Rücken schleppen wie ein Lastthier und sich nicht umschauen? ich halte mich an Gott und kehre mich an nichts. Das Geld, das ich in der Tasche habe, das ist im Sommer so gut als im Winter, aber das Brot wird in der heißen Zeit trocken und obendrein schimmelig. Mein Rock geht auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0115" n="103"/> ist nichts zu verdienen, und auf dem Lande gehen die Leute lieber barfuß.’ Sie wanderten also zusammen weiter und setzten immer einen Fuß vor den andern wie die Wiesel im Schnee.</p><lb/> <p>Zeit genug hatten sie beide, aber wenig zu beißen und zu brechen. Wenn sie in eine Stadt kamen, so giengen sie umher und grüßten das Handwerk, und weil das Schneiderlein so frisch und munter aussah und so hübsche rothe Backen hatte, so gab ihm jeder gerne, und wenn das Glück gut war, so gab ihm die Meistertochter unter der Hausthüre auch noch einen Kuß auf den Weg. Wenn er mit dem Schuster wieder zusammen traf, so hatte er immer mehr in seinem Bündel. Der griesgrämige Schuster schnitt ein schiefes Gesicht und meinte ‘je größer der Schelm, je größer das Glück.’ Aber der Schneider fieng an zu lachen und zu singen, und theilte alles, was er bekam, mit seinem Kameraden. Klingelten nun ein paar Groschen in seiner Tasche, so ließ er auftragen, schlug vor Freude auf den Tisch daß die Gläser tanzten, und es hieß bei ihm ‘leicht verdient und leicht verthan’.</p><lb/> <p>Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an einen großen Wald, durch welchen der Weg nach der Königsstadt gieng. Es führten aber zwei Fußsteige hindurch, davon war der eine sieben Tage lang, der andere nur zwei Tage, aber niemand von ihnen wußte, welcher der kürzere Weg war. Die zwei Wanderer setzten sich unter einen Eichenbaum und rathschlagten wie sie sich vorsehen und für wie viel Tage sie Brot mitnehmen wollten. Der Schuster sagte ‘man muß weiter denken als man geht, ich will für sieben Tage Brot mit nehmen.’ ‘Was,’ sagte der Schneider, ‘für sieben Tage Brot auf dem Rücken schleppen wie ein Lastthier und sich nicht umschauen? ich halte mich an Gott und kehre mich an nichts. Das Geld, das ich in der Tasche habe, das ist im Sommer so gut als im Winter, aber das Brot wird in der heißen Zeit trocken und obendrein schimmelig. Mein Rock geht auch </p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0115]
ist nichts zu verdienen, und auf dem Lande gehen die Leute lieber barfuß.’ Sie wanderten also zusammen weiter und setzten immer einen Fuß vor den andern wie die Wiesel im Schnee.
Zeit genug hatten sie beide, aber wenig zu beißen und zu brechen. Wenn sie in eine Stadt kamen, so giengen sie umher und grüßten das Handwerk, und weil das Schneiderlein so frisch und munter aussah und so hübsche rothe Backen hatte, so gab ihm jeder gerne, und wenn das Glück gut war, so gab ihm die Meistertochter unter der Hausthüre auch noch einen Kuß auf den Weg. Wenn er mit dem Schuster wieder zusammen traf, so hatte er immer mehr in seinem Bündel. Der griesgrämige Schuster schnitt ein schiefes Gesicht und meinte ‘je größer der Schelm, je größer das Glück.’ Aber der Schneider fieng an zu lachen und zu singen, und theilte alles, was er bekam, mit seinem Kameraden. Klingelten nun ein paar Groschen in seiner Tasche, so ließ er auftragen, schlug vor Freude auf den Tisch daß die Gläser tanzten, und es hieß bei ihm ‘leicht verdient und leicht verthan’.
Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an einen großen Wald, durch welchen der Weg nach der Königsstadt gieng. Es führten aber zwei Fußsteige hindurch, davon war der eine sieben Tage lang, der andere nur zwei Tage, aber niemand von ihnen wußte, welcher der kürzere Weg war. Die zwei Wanderer setzten sich unter einen Eichenbaum und rathschlagten wie sie sich vorsehen und für wie viel Tage sie Brot mitnehmen wollten. Der Schuster sagte ‘man muß weiter denken als man geht, ich will für sieben Tage Brot mit nehmen.’ ‘Was,’ sagte der Schneider, ‘für sieben Tage Brot auf dem Rücken schleppen wie ein Lastthier und sich nicht umschauen? ich halte mich an Gott und kehre mich an nichts. Das Geld, das ich in der Tasche habe, das ist im Sommer so gut als im Winter, aber das Brot wird in der heißen Zeit trocken und obendrein schimmelig. Mein Rock geht auch
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