Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.hungrigen Kinder gesättigt, und wäre das auch nicht, du hast einmal das Versprechen gegeben und mußt du es halten.' Bei einbrechender Nacht gieng er auf den Kirchhof und setzte sich auf den Grabhügel. Es war alles still, nur der Mond schien über die Grabhügel und manchmal flog eine Eule vorbei und ließ ihre kläglichen Töne hören. Als die Sonne aufgieng, begab sich der Arme ungefährdet heim, und ebenso gieng die zweite Nacht ruhig vorüber. Den Abend des dritten Tags empfand er eine besondere Angst, es war ihm als stände noch etwas bevor. Als er hinaus kam, erblickte er an der Mauer des Kirchhofs einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er war nicht mehr jung, hatte Narben im Gesicht und seine Augen blickten scharf und feurig umher. Er war ganz von einem alten Mantel bedeckt und nur große Reiterstiefeln waren sichtbar. 'Was sucht ihr hier?' redete ihn der Bauer an, 'gruselt euch nicht auf dem einsamen Kirchhof?' 'Jch suche nichts,' antwortete er, 'aber ich fürchte auch nichts. Jch bin wie der Junge, der ausgieng das Gruseln zu lernen, und sich vergeblich bemühte, der aber bekam die Königstochter zur Frau und mit ihr große Reichthümer, und ich bin immer arm geblieben. Jch bin nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die Nacht zubringen, weil ich sonst kein Obdach habe.' 'Wenn ihr keine Furcht habt,' sprach der Bauer, 'so bleibt bei mir und helft mir dort den Grabhügel bewachen.' 'Wacht halten ist Sache des Soldaten' antwortete er, 'was uns hier begegnet, Gutes oder Böses, das wollen wir gemeinschaftlich tragen.' Der Bauer schlug ein und sie setzten sich zusammen auf das Grab. hungrigen Kinder gesättigt, und wäre das auch nicht, du hast einmal das Versprechen gegeben und mußt du es halten.’ Bei einbrechender Nacht gieng er auf den Kirchhof und setzte sich auf den Grabhügel. Es war alles still, nur der Mond schien über die Grabhügel und manchmal flog eine Eule vorbei und ließ ihre kläglichen Töne hören. Als die Sonne aufgieng, begab sich der Arme ungefährdet heim, und ebenso gieng die zweite Nacht ruhig vorüber. Den Abend des dritten Tags empfand er eine besondere Angst, es war ihm als stände noch etwas bevor. Als er hinaus kam, erblickte er an der Mauer des Kirchhofs einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er war nicht mehr jung, hatte Narben im Gesicht und seine Augen blickten scharf und feurig umher. Er war ganz von einem alten Mantel bedeckt und nur große Reiterstiefeln waren sichtbar. ‘Was sucht ihr hier?’ redete ihn der Bauer an, ‘gruselt euch nicht auf dem einsamen Kirchhof?’ ‘Jch suche nichts,’ antwortete er, ‘aber ich fürchte auch nichts. Jch bin wie der Junge, der ausgieng das Gruseln zu lernen, und sich vergeblich bemühte, der aber bekam die Königstochter zur Frau und mit ihr große Reichthümer, und ich bin immer arm geblieben. Jch bin nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die Nacht zubringen, weil ich sonst kein Obdach habe.’ ‘Wenn ihr keine Furcht habt,’ sprach der Bauer, ‘so bleibt bei mir und helft mir dort den Grabhügel bewachen.’ ‘Wacht halten ist Sache des Soldaten’ antwortete er, ‘was uns hier begegnet, Gutes oder Böses, das wollen wir gemeinschaftlich tragen.’ Der Bauer schlug ein und sie setzten sich zusammen auf das Grab. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0529" n="517"/> hungrigen Kinder gesättigt, und wäre das auch nicht, du hast einmal das Versprechen gegeben und mußt du es halten.’ Bei einbrechender Nacht gieng er auf den Kirchhof und setzte sich auf den Grabhügel. Es war alles still, nur der Mond schien über die Grabhügel und manchmal flog eine Eule vorbei und ließ ihre kläglichen Töne hören. Als die Sonne aufgieng, begab sich der Arme ungefährdet heim, und ebenso gieng die zweite Nacht ruhig vorüber. Den Abend des dritten Tags empfand er eine besondere Angst, es war ihm als stände noch etwas bevor. Als er hinaus kam, erblickte er an der Mauer des Kirchhofs einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er war nicht mehr jung, hatte Narben im Gesicht und seine Augen blickten scharf und feurig umher. Er war ganz von einem alten Mantel bedeckt und nur große Reiterstiefeln waren sichtbar. ‘Was sucht ihr hier?’ redete ihn der Bauer an, ‘gruselt euch nicht auf dem einsamen Kirchhof?’ ‘Jch suche nichts,’ antwortete er, ‘aber ich fürchte auch nichts. Jch bin wie der Junge, der ausgieng das Gruseln zu lernen, und sich vergeblich bemühte, der aber bekam die Königstochter zur Frau und mit ihr große Reichthümer, und ich bin immer arm geblieben. Jch bin nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die Nacht zubringen, weil ich sonst kein Obdach habe.’ ‘Wenn ihr keine Furcht habt,’ sprach der Bauer, ‘so bleibt bei mir und helft mir dort den Grabhügel bewachen.’ ‘Wacht halten ist Sache des Soldaten’ antwortete er, ‘was uns hier begegnet, Gutes oder Böses, das wollen wir gemeinschaftlich tragen.’ Der Bauer schlug ein und sie setzten sich zusammen auf das Grab.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [517/0529]
hungrigen Kinder gesättigt, und wäre das auch nicht, du hast einmal das Versprechen gegeben und mußt du es halten.’ Bei einbrechender Nacht gieng er auf den Kirchhof und setzte sich auf den Grabhügel. Es war alles still, nur der Mond schien über die Grabhügel und manchmal flog eine Eule vorbei und ließ ihre kläglichen Töne hören. Als die Sonne aufgieng, begab sich der Arme ungefährdet heim, und ebenso gieng die zweite Nacht ruhig vorüber. Den Abend des dritten Tags empfand er eine besondere Angst, es war ihm als stände noch etwas bevor. Als er hinaus kam, erblickte er an der Mauer des Kirchhofs einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er war nicht mehr jung, hatte Narben im Gesicht und seine Augen blickten scharf und feurig umher. Er war ganz von einem alten Mantel bedeckt und nur große Reiterstiefeln waren sichtbar. ‘Was sucht ihr hier?’ redete ihn der Bauer an, ‘gruselt euch nicht auf dem einsamen Kirchhof?’ ‘Jch suche nichts,’ antwortete er, ‘aber ich fürchte auch nichts. Jch bin wie der Junge, der ausgieng das Gruseln zu lernen, und sich vergeblich bemühte, der aber bekam die Königstochter zur Frau und mit ihr große Reichthümer, und ich bin immer arm geblieben. Jch bin nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die Nacht zubringen, weil ich sonst kein Obdach habe.’ ‘Wenn ihr keine Furcht habt,’ sprach der Bauer, ‘so bleibt bei mir und helft mir dort den Grabhügel bewachen.’ ‘Wacht halten ist Sache des Soldaten’ antwortete er, ‘was uns hier begegnet, Gutes oder Böses, das wollen wir gemeinschaftlich tragen.’ Der Bauer schlug ein und sie setzten sich zusammen auf das Grab.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-03T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |